Sicherheitskonferenz:Merkels letzter Berg

Die Kanzlerin hält eine fast angriffslustige Rede. Die aber täuscht nicht darüber hinweg, wie schwierig das Verhältnis zwischen Berlin und Paris ist.

Von Daniel Brössler

Die Teilnehmer der Sicherheitskonferenz sind Zeugen einer Verwandlung geworden. Sie haben eine Bundeskanzlerin erlebt, die frei geredet hat. Frei in einem sehr wörtlichen Sinne. Angela Merkel hat ihre harte Analyse der Lage der Welt, Europas und Deutschlands nicht mehr versteckt in einem Nebel aus Rücksicht und Vorsicht. Sie hat ihre Botschaft auch nicht gleich wieder "ein Stück weit" relativiert, um die Bevölkerung nicht zu sehr in Unruhe zu versetzen. 13 Jahre lang war die Kanzlerschaft Merkels geprägt von der Unlust, sich und die Welt zu erklären. Zwei Monate nach dem Ende ihrer Zeit als CDU-Vorsitzende scheint damit Schluss zu sein. Das hat Gründe. Die Frage ist, ob es Folgen hat.

Was die Gründe betrifft, so dürften sie dort liegen, wo Merkel nach so langer Zeit an der Macht angelangt ist. An jenem Punkt, an dem sie zum einen befreit ist von parteipolitischer Verantwortung und zum anderen nicht mehr annehmen kann, über allzu viel Zeit zu verfügen. Unübersehbar ist, dass Merkel Größe und Herkunft der Gefahren, die Deutschland drohen, deutlich anders einschätzt als sehr viele Bürger, die das Verhalten Russlands oder der Aufstieg Chinas mehrheitlich nicht zu beunruhigen scheint. Diese Kluft zu verringern, ist Merkels letzte Mission.

Berlins Verhältnis zu Paris wird die entscheidende Prüfung für Europas Außenpolitik

Das beginnt mit der Beschreibung der Wirklichkeit. Merkel sprach bei der Sicherheitskonferenz nicht nur über den Völkerrechtsbruch Russlands in der Ukraine, sondern auch über seinen untergründigen Krieg gegen die westlichen Demokratien. Sie machte klar, dass das Ende des INF-Abrüstungsvertrages elementare europäische Sicherheitsinteressen berührt, ohne dass die Europäer ernsthaft Einfluss nehmen können. Sie beschrieb das Selbstbewusstsein Chinas, das sich zielstrebig auf dem Rückweg ins Zentrum der Welt sieht. Und sie hat - wenn auch nicht so offen wie das meiste andere - das große deutsche Dilemma aufgezeigt.

Während deutsche Autos von Donald Trump in den USA als Sicherheitsrisiko gebrandmarkt und wohl mit Strafzöllen belegt werden, bleibt Deutschland für seine Verteidigung in hohem Maße angewiesen auf die Nato - also auf die USA. Nicht Merkels Appell, in dieser Lage das transatlantische Band und die multilaterale Ordnung zu erhalten, war neu. Neu war der Ton. Er war, das war das Besondere, ausgesprochen angriffslustig. So gut das beim Publikum im Bayerischen Hof ankam, so wenig klar ist geworden, wohin es führt. Seit Langem schon sitzt Deutschland im Wartesaal der Weltpolitik. Merkel selbst beklagte in München die zuweilen quälend langen Selbstbefragungsprozesse, die in Deutschland der Entscheidung zu außenpolitischem Handeln vorausgehen. Amerikaner, Briten und Franzosen wundern sich darüber schon lange - insbesondere Letztere verzweifeln zunehmend daran.

Wenn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine gemeinsame strategische Kultur fordert, so geht es ihm nicht nur darum, dass Deutsche schneller entscheiden, sondern anders. Mit größerer Bereitschaft, notfalls militärisch einzugreifen. Mit weniger Skrupeln beim Export von Waffen. Die Franzosen würden sagen: mit weniger moralischer Selbstgewissheit.

Vor diesem steilen Berg steht jetzt die deutsche Politik. Einerseits muss sie da hinauf, andererseits kann sie keinesfalls einfach alles Gepäck abwerfen, das sie seit den Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg mitschleppt. Das Misstrauen gegen militärische Mittel, das Beharren auf Demokratie und Menschenrechte, die Scheu vor purer Interessenpolitik gehören auch in ihrem 70. Jahr zur DNA der Bundesrepublik. Gäbe sie das alles auf, gäbe sie sich selber auf. Doch auf der anderen Seite steht ein Widerspruch, den sie nicht auf sich beruhen lassen kann. Wer nach mehr Europa, auch militärisch, ruft, und wer sich wortreich zu mehr Verantwortung bekennt, muss zumindest versuchen, ihn aufzulösen.

Zwar ist in München der geplante gemeinsame Auftritt der Kanzlerin mit dem französischen Präsidenten ausgefallen. Macron ließ sich entschuldigen wegen Unabkömmlichkeit im Kampf gegen die Gelbwesten-Bewegung und vielleicht auch, weil er nach den zähen Verhandlungen um den Aachener Vertrag mal eine Pause brauchte. Dennoch ist Merkel ihm in München noch mal entgegengegangen, als sie von der "Riesenaufgabe" sprach, die Exportregeln für Waffen zu europäisieren. Wenn es Deutschland nicht gelingt, seine begründeten Bedenken gegen eine Lockerung in Einklang zu bringen mit ebenso begründeten europäischen Notwendigkeiten, bleibt das Versprechen einer stärkeren außenpolitischen und militärischen Rolle der EU leer.

Mit ihrer Bundesregierung wird Merkel den Berg nicht mehr hochkommen. Zumal die SPD der Chance nicht wird widerstehen können, sich als Friedenspartei zu profilieren. Wenn sich nun aber die Erkenntnis durchsetzen würde, dass der Berg da ist, wäre schon viel gewonnen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: