Österreich:Eine Berghütte wie ein Raumschiff

Seethalerhütte am Dachstein in Österreich

Wie das Dachsteinmassiv hat auch die neue Hütte eine steil abfallende Südwand - mit Wintereingang. Der Vorgängerbau versinkt links davon im Schnee.

(Foto: Dominik Prantl)

Komfortabel, futuristisch, umweltfreundlich: Die neue Seethalerhütte am Dachstein zeigt, was Schutzbauten heutzutage leisten können. Jetzt müsste sie den Wanderer nur noch auf den Gipfel beamen.

Von Dominik Prantl

Es herrschen geradezu patagonische Verhältnisse am Dachstein: minus 15 Grad Celsius, dazu ein Wind, der die Wangen gefrieren lässt während der Gletscherüberquerung von der Südwandbahn-Bergstation hinauf auf 2740 Meter. Friedrich Macher, dem Vorsitzenden der Alpenvereinssektion Austria, kommt das im Grunde ganz gelegen, vor allem, weil er jetzt in der warmen Stube sitzt und von der Stube mit viel hellem Holz heraus zusehen kann, wie draußen die Wolkendecke aufreißt: "Da kann man gleich sehen, welche Schutzfunktion die Hütte im Hochgebirge hat." Es sind außer Macher ja auch einige gekommen zur Pressekonferenz und Eröffnung der neuen Seethalerhütte: die Architekten vom Büro Dreiplus in Innsbruck, der Energiespezialist, der Projektleiter und Peter Kapelari, beim Österreichischen Alpenverein unter anderem für die Hütten zuständig. Und sie alle stimmen ein ins Loblied auf das Werk, das im Alpenvereinsdeutsch unter Ersatzbau läuft. Macher personifiziert die Hütte zur "Hüterin der Dachsteinsüdwand". Kapelari sagt: "Die Seethalerhütte ist ein Leuchtturm für den gesamten Alpenverein."

Dabei sieht dieser Leuchtturm von Weitem eher erst einmal aus wie ein schwarzer Bergkristall: eine dunkle Fassade um einen kompakten geometrischen Köper. Er soll laut den Architekten das Dachsteinmassiv symbolisieren, mit steil abfallender Südwand und flach vergletscherter Rampe nach Norden. Steht das Gebäude doch nicht nur an der Grenze zwischen Oberösterreich und der Steiermark, sondern auch zwischen Gletschereis und Abgrund. Unter der Hütte fließt der für diese Höhenlage immer noch imposante Hallstätter Gletscher ins Tal, links und rechts ragen die Zacken der Dirndln und natürlich der Hohe Dachstein (2995 Meter) empor. Hinter dem winterfesten Zweckbau geht es senkrecht die Dachstein-Südwand hinab. Mitten in dieser Welt aus Eis und Felsen, zwischen Himmel und Hölle also dieses Implantat heutiger Ingenieurskunst.

Es gibt freilich noch immer Menschen, die das einigermaßen gewöhnungsbedürftig bis völlig daneben finden. So erzählt der Architekt Stephan Hoinkes von Forumsbeiträgen mit den Ratschlägen, man solle ihn doch bitte an den Testikeln aufhängen oder gleich die Südwand hinunterschmeißen. Womöglich ist das aber nur ein Fingerzeig, dass den Modernisierungsgegnern langsam die Argumente ausgehen.

Denn auch wenn bei den jüngeren Bauten wie etwa der neuen Monte-Rosa-Hütte in den Walliser Alpen oder der Schwarzensteinhütte in Südtirol eine gewisse Gleichförmigkeit festzustellen ist, können Giebeldachtraditionalisten und Geranienromantiker am Dachstein sehen, wie es um die glorifizierten alten Zeiten bestellt ist. Ein paar Meter neben dem Neubau steht noch eine Seethalerhütte, das Vorgängermodell. Wobei: Zu sehen gibt es da genau genommen gerade recht wenig. Das alte Gebäude erstickt mal wieder unter einer dicken weißen Decke, nur ein paar Ecken spitzen noch hervor.

Der 1929 als Notunterkunft errichtete Verschlag war nie für den Winterbetrieb gedacht - auch deshalb, weil damals noch keine Bahn den Zustieg auf weniger als eine Stunde verkürzte. Ein tiefer Graben führt dennoch durch den Schnee zum komplett verschneiten Eingang, drinnen frisst sich der Schimmel in das Holz. Es wurde kaum etwas mitgenommen ins neue Gebäude außer dem Namen und ein wenig Nostalgie. Im Sommer soll die alte Hütte abgetragen und der Standort renaturiert werden.

Der Gastraum des neuen Modells dagegen liegt im dritten der fünf Stockwerke, ebenso der Wintereingang. Wenn sich der Schnee hier meterhoch türmt, ist das Gebäude damit ohne größere Buddelei über eine natürliche weiße Rampe zu erreichen. Im Inneren wiederum kommt manchmal das Gefühl auf, in einem autarken Raumschiff zu sitzen. So verfügt die Hütte - was für eine maßlose Untertreibung für dieses Refugium - über einen Monitor, der die Energieleistung der Solaranlage meldet, und eine Regenwasser sammelnde Außenwand. Fehlt nur noch, dass gleich Captain James Kirk um die Ecke biegt.

Ah, da ist er ja schon. Nur heißt Captain Kirk hier Wilfried Schrempf. Seit dem Jahr 2000 betreibt er mit seiner Frau Carmen die Seethalerhütte. Vor den beiden hat es hier überhaupt nur zwei Wirte gegeben. Das hat vor allem damit zu tun, dass der erste Wirt länger Dienst tat als die meisten Menschen arbeiten: 50 Jahre. Sepp Seethaler, dessen Vater Johann den lange unter Dachsteinwarte firmierenden Bau initiiert hatte, quittierte erst 1979 den Dienst und starb ein Jahr später. Da trug die "Brettlbude", wie Captain Schrempf sie eher liebevoll als abwertend nennt, schon seinen Namen: Seethaler.

Die Schrempfs sind nicht wirklich traurig darüber, dass sie nun die Enterprise des alpinen Hüttenbaus leiten dürfen, mit Stahlträgern und Solarfassade statt Schimmel und Schindeldach. Zwischen der mehrmals notdürftig erweiterten Brettlbude und dem von Spezialkräften mit Hilfe von Wind- und Schneesimulationen durchorganisierten Zweckbau liegen zwar nur wenige Meter, aber eben auch rund 90 Jahre, eine Klimaerwärmung und eine siebenstellige Eurosumme. Zwei Millionen hat der in zwei Sommern realisierte Bau gekostet, zur Hälfte finanziert von der Sektion Austria und zu gut einem Drittel vom Hauptverein. Immerhin 200 000 Euro steuerte das Land Oberösterreich bei, etwa 70 000 kamen über ein noch laufendes Spendenprojekt.

Das Geld wurde nicht nur für das "geänderte Anforderungsdenken" (Macher) der Gäste benötigt, auch wenn die 22 Schlafplätze weiterhin auf Mehrbettzimmer verteilt sind. Sondern auch, um den baulichen Auflagen sowie dem ökologischen Anspruch des Alpenvereins gerecht zu werden. Man muss gar nicht alle Kniffe dieses so hochalpinen wie hochtechnologischen Hauses im Detail kapieren, um zu erkennen, dass im Sinne der Umwelt gewirtschaftet wurde. An der Südwand der Hütte befindet sich die Fotovoltaikanlage, im Keller stehen ein mit Rapsöl betriebenes Miniblockheizkraftwerk und elf Batterien zum Stückpreis von 5000 Euro. Ein normaler Haushalt ließe sich damit fünf Tage lang betreiben. Brauchwasser-Tanklager, Hinterlüftungsebene, mineralische Dämmung. Der Laie versteht vor allem, dass die beteiligten Firmen ihr Handwerk verstehen. Immerhin sind die Kühlschränke ganz normale Haushaltsgeräte.

Geht ja auch schlecht, Gastronomiekühlschränke mit miserablen Verbrauchswerten in diesen Ökotempel zu pflanzen. Vor allem dann, wenn einem die alte Hütte wegen des globalen Fiebers unter den Füßen in Richtung Gletscher abzurutschen drohte. Dies war neben dem maroden Zustand und mangelnder Winterfestigkeit letztlich ein weiterer Grund, warum das 1929er-Modell nicht mehr haltbar war und ein Architekturwettbewerb ausgerufen wurde. Seethaler hatte auf einer Doline gebaut, gefüllt mit Permafrost, dem die einst nicht absehbare Erderwärmung seine festigende Wirkung nahm. Auch deshalb wurde der Boden unter dem Ersatzbau geologisch untersucht und mit Beton verschlossen.

Beim Abschied scheint die Sonne. Die Hütte ist beinahe vergessen; man schaut auf die Spitze des verlockenden, aber steilen Westlichen Dirndl und wünscht sich heimlich: "Beam me up, Scotty."

Reiseinformationen

Zustieg: Am einfachsten mit der Dachstein-Südwandbahn zur Bergstation (2687 m) und dann über den Gletscher in etwa einer Stunde zur Hütten queren. Könner können über den sehr schweren Johann Klettersteig (D/E) in sechs bis acht Stunden durch die Dachstein-Südwand bis direkt zu Hütte aufsteigen.

Unterkunft: Wilfried und Carmen Schrempf; Tel. 0043/3687/81209 oder 0043 /664/3240640, seethalerhuette@aon.at, www.alpenverein.at/seethalerhuette/, Öffnungszeiten: 25. Dezember bis 22. April und Anfang Juni bis Ende Oktober, Übernachtung ab 13 Euro für AV-Mitglieder, sonst ab 25 Euro.

Tour: Der Hohe Dachstein (2295) lässt sich nach längerer Gletscherpassage über zwei Klettersteigvarianten (je B) in einer guten Stunde besteigen

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