Liedermacher:Haltung zeigen

Eventmanager, Tennislehrer und zuletzt Koordinator für Altenheimumzüge: Als Josef Hien über seinen Alltag einen Song schrieb, verlor er seinen Job. Jetzt macht er Musik - und wird von Konstantin Wecker gefördert

Von Martina Scherf

Am Anfang stand ein Lied. Josef Hien war in jenem Sommer an einem Punkt in seinem Leben angekommen, an dem er sich die Sinnfrage stellte. An dem es beruflich nicht mehr weiterging und er sich entscheiden musste: Anpassen, wegducken oder Haltung zeigen? Er entschied sich für Letzteres. Seinen Ärger über die Verhältnisse hat er damals in Verse gegossen, und "dann musste dieses Lied einfach raus", erzählt er heute. Rückblickend kann er sagen: Es war der erste Schritt zu einem glücklicheren Leben.

Josef Hien sitzt im Schwabinger Café Rigoletto, das so früh am Tag noch fast leer ist, und bestellt Ingwertee. Er kommt gerne her, es ist ein guter Platz zum Nachdenken, sagt er. Im Musikkeller nebenan wird er bald erstmals öffentlich seine Lieder zum Besten geben, "ich habe mir den Abend schon frei gehalten", ruft ihm die Kellnerin zu.

Musik hat immer eine Rolle gespielt in Josef Hiens Leben, doch lange Zeit stand sie im Hintergrund. Der 45-Jährige ist in einer sehr musikalischen Familie in Parsberg in der Oberpfalz aufgewachsen. Der Vater war Musiklehrer und Chorleiter, auch zu Hause wurde oft und viel musiziert. Sohn Josef spielte Klavier und Geige, er sang im Chor des Vaters, und alle sagten damals: Du wirst sicher auch mal Musiker. Er probierte es dann auch tatsächlich an der Musikhochschule, "doch das war nicht der richtige Platz für mich", sagt er. Allerdings: Seine klare, modulierfähige Stimme fiel auf. Er nahm Gesangsunterricht und hatte einige Engagements als Opernsänger am Passauer Stadttheater. Den Papageno in der Zauberflöte hat er unter anderem gesungen.

Doch das Risiko eines freien Künstlerlebens schien ihm damals zu groß zu sein. Er studierte in Passau Kulturwirtschaft und fand eine Stelle beim Konzertveranstalter, der unter anderem die Thurn-und-Taxis-Festspiele auf Glorias Schloss ausrichtete. Von dort ging er zu Audi, organisierte die Sommerkonzerte des Autobauers, ein hochkarätiges Festival. Hien hatte es dort mit Weltstars zu tun - aber auch das Gefühl, "jedes Mal wieder die Freiheit der Kunst gegen die Rentabilitätserwartungen des Konzerns verteidigen zu müssen". Dem Management einer Anne-Sophie Mutter Vertragsdetails zu erläutern, macht keine Freude. Eines Tages, erzählt Hien und grinst dabei, saß er mit Hans-Jürgen Buchner (Haindling) beim Essen. Der Musiker hatte gerade seinen Audi abgeholt, "da sagte er zu mir: Sie passen doch gar nicht hierher."

Stimmt, dachte sich der empfindsame Kulturfreund, machte erst mal Urlaub auf Teneriffa, spielte dort Tennis, und beim Abschied sagte der Club-Betreiber zu ihm, sie könnten einen Co-Trainer brauchen. "Wenig später saß ich wieder in Ingolstadt, es kam der Winter, alles war grau, und ich dachte: Haindling hatte recht." Er kündigte und zog nach Teneriffa.

Doch nur aufs Meer schauen und Tennis spielen, das war es nicht, was er suchte. Hien ist treuer Sozialdemokrat, ein politischer Mensch, es hat ihn immer interessiert, was in Deutschland passiert. So bewarb er sich bei verschiedenen sozialen Institutionen und landete als Umzugsmanager für Altenheime bei einer Münchner Einrichtung. "Es war eine logistische Herausforderung, so ein ganzes Heim umzuziehen für eine Sanierung. Und es stellte mich zufrieden, wenn ich das Gefühl hatte, den alten Menschen diesen Weg ein wenig leichter machen zu können."

Liedermacher: Seine Kindheit war von Musik geprägt, seine Stimme ist an der Oper geschult. Doch erst über Umwege fand Josef Hien zum Songschreiben.

Seine Kindheit war von Musik geprägt, seine Stimme ist an der Oper geschult. Doch erst über Umwege fand Josef Hien zum Songschreiben.

(Foto: Catherina Hess)

Nach Jahren kam es dann zum Zerwürfnis mit der Geschäftsführer. "Ich kann schlecht mit Ungerechtigkeiten umgehen, auch wenn es andere trifft", sagt Hien. Er wurde krank, saß zu Hause - und plötzlich war da dieses Lied.

"Schwarzes Gefieder" hat er es genannt: "Krähen klettern schnell nach oben, achten gut auf ihren Platz. Was sie in den Schnabel kriegen, hüten sie wie einen Schatz. Krähen hacken, kacken, schubsen, sind schnell Herrn in manchem Haus. Und vor allem hackt eine Krähe keiner anderen ein Auge aus." Es ist in einem Unternehmen wie in der Politik, so geht es weiter: Seilschaften zählen mehr als ehrliche Leistung. Wer oben ist, bleibt oben und fördert seinesgleichen, denn "sie haben eins gemeinsam: schwarzes Gefieder".

Ein Kollege überließ ihm damals eine alte Gitarre, Hien brachte sich selbst die ersten Griffe bei, komponierte eine Melodie - und trat mit dem Krähenlied beim Sommerfest der Firma auf. "Ich dachte: Wenn ihr nicht auf meine Argumente hören wollt, dann sing' ich euch halt was." Seine Laufbahn im Altenheim war damit beendet. Mit einer Abfindung schied er von dannen.

Er begann daraufhin, wie wild Gitarre zu üben, "und plötzlich kamen die Lieder wie von selbst". Beim Autofahren, beim Spazierengehen, unter der Dusche, "mal ist zuerst der Text da, mal die Melodie".

Er kaufte sich ein neues Instrument und ließ sich von einem Gesangslehrer coachen. Als die Flüchtlinge nach Bayern kamen und der ersten Euphorie der Münchner die Hetze aus der rechten Ecke folgte, schrieb er "Sei bei mir", ein Mutmach-Lied. Er drehte ein Youtube-Video und stellte es online. Dann lernte er Konstantin Wecker kennen, der ihn nicht nur als Gesinnungsgenossen akzeptierte, sondern auch seine außergewöhnliche Stimme erkannte. Jetzt erscheint das erste Album in Weckers Label "Sturm & Klang".

Produziert hat es Yoyo Röhm in Berlin, der schon für Sänger und Schauspielerinnen wie Ben Becker, Katharina Franck oder Jasmin Tabatabai gearbeitet hat, und die Arrangements und Studiomusiker besorgte. "Das Ganze hat jetzt eine große Bandbreite an Klangfarben", sagt Hien erfreut. Tatsächlich reicht die Musik von der Klavierballade über Streicherhintergrund bis zur rhythmischen Brassband.

Hien verehrt Reinhard Mey, das ist nicht zu überhören. Er hat dem Barden und Geschichtenerzähler auch ein Lied auf seinem Album gewidmet "Respekt". "Wecker, Wader und Mey haben mich immer begleitet," sagt Hien.

Dass manche sagen, so viel Moral in den Liedern, das sei doch nicht mehr zeitgemäß, ficht ihn nicht an. "Andreas Gabalier macht sein Angebot, und ich mache meins", sagt er, und: "Brecht hat gesagt: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Aber heute bleiben die meisten doch beim Fressen stehen. Alles dreht sich nur noch ums Geld. Was ist verkehrt an der Moral?" Haltung zeigen, das ist ihm wichtig. Das kann er jetzt mit seiner Musik tun.

Seine Texte sind mal melancholisch, mal heiter-ironisch wie beim "Elite-Partner" und bisweilen skurril. Eines seiner Lieder heißt "Mitten im August". Es geht darin um den Weltüberlastungstag. "Ich habe erst vor einiger Zeit gehört, dass es so was gibt: Den Tag im Jahr, an dem wir unsere Ressourcen rein statistisch schon verbraucht haben." Ab August leben die Deutschen demnach über ihre Verhältnisse. Es ist ein makabres Lied.

"Mit dir" lautet der Titel seines Debütalbums. Er hat es seinem Ehemann gewidmet, "ohne ihn hätte ich nicht die Kraft gehabt, diesen Weg zu gehen". Sie sind seit vielen Jahren zusammen, vor zwei Jahren haben sie geheiratet.

Auf dem Cover ist Hien mit einem Adler abgebildet. Es ist sein Lieblingstier und so etwas wie das Leitmotiv des ganzen Albums. "Der Adler, der ein Huhn war", heißt ein Lied. Es erzählt von dem stolzen Vogel, den ein Bauer in einen Stall zu den Hühnern gesperrt hatte. "Wer wie ein Huhn gehalten wird, verlernt das fliegen." Eines Tages kommt aber jemand, lässt ihn frei, es dauert eine Weile, bis das Tier wieder fliegen lernt, doch dann schwingt es sich in die Lüfte. "Das Bild hilft mir auf der Bühne", sagt Hien. Neulich schrieb ihm jemand, er werde jetzt seinen Job kündigen, das Lied habe ihm Mut gemacht. "Das hat mich dann doch kurz erschreckt", sagt Hien. Jeder muss selbst fliegen lernen.

Am Freitag, 15. März, spielt Josef Hien in seiner Heimatstadt Parsberg in der Oberpfalz. Am Samstag, 30. März, im Münchner Künstlerhaus am Lenbachplatz.

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