Außenansicht:Nuancen von Rot

Margarita Esponda-Argüero

Klaus Mühlhahn, 55, ist Professor für chinesische Geschichte und Kultur an der FU Berlin. Er beschäftigt sich insbesondere mit der Geschichte von Institutionen und Unternehmen in China.

(Foto: Freie Universität Berlin)

Nicht alle chinesischen Unternehmen sind willenlose Agenten der Partei. Der Westen muss unterscheiden lernen.

Von Klaus Mühlhahn

Industriespionage und etliche weitere Delikte wirft die US-Justiz in ihrer spektakulären Anklage Meng Wanzhou vor, der Finanzchefin und Tochter des Unternehmensgründers von Huawei. Hintergrund der Vorwürfe ist der zunehmend autoritäre Charakter der chinesischen Regierung und ihre vermeintliche Macht über die chinesische Wirtschaft. Es wird angenommen, dass chinesische Unternehmen generell die Regierung unterstützen und mit ihr zusammenarbeiten, was dazu führe, dass die Grenzlinie zwischen unabhängigen Unternehmen und dem Staat verschwindet. Häufig wird auch behauptet, dass die chinesische Regierung eigene Unternehmen unterstützt, indem sie ihnen großzügige Subventionen gewährt, hingegen westliche Firmen dazu zwingt, Geschäftsgeheimnisse und Schlüsseltechnologien aufzugeben, und geistiges Eigentum unzureichend schützt.

Die Vorwürfe sind nicht aus der Luft gegriffen, aber zu verallgemeinernd. Die Beziehung zwischen dem chinesischen Staat und der Geschäftswelt wird im Westen häufig falsch verstanden, und was erschwerend hinzukommt: Mit diesen pauschalen Unterstellungen riskiert man, gerade jene Kräfte in China zu stärken, die man doch eigentlich eindämmen will.

Oberflächlich betrachtet verfolgen die Regierung und die privaten Unternehmen oft ähnliche Interessen und arbeiten Hand in Hand für das Ziel des Aufstiegs und der technologischen Führerschaft Chinas. Einige Unternehmen bezeichnen sich sogar als "rote Unternehmen" und verkünden mit Stolz, dass sie den Geist der Partei in ihren Unternehmen fördern. Viele Unternehmer wirken auch auf verschiedenen Ebenen in Gremien von Staat und Partei mit, wie zum Beispiel bei den Konsultativkonferenzen, welche die Regierung auf zentraler und lokaler Ebene beraten.

Seit Anfang der 1990er-Jahre bemüht sich die Kommunistische Partei, ursprünglich eine Partei der Arbeiter und Bauern, darum, Geschäftsleute anzusprechen und unter ihnen Loyalität zum Parteistaat zu erzeugen. Viele Unternehmer sind auch in die Partei eingetreten. Es überrascht nicht, dass das Werben um die privaten Unternehmer im Allgemeinen erfolgreich war. Die Unternehmen haben Interesse an guten Beziehungen zu Partei und Regierung, allein schon weil die chinesische Regierung ein wichtiger Auftraggeber ist.

Insofern stimmt es: Die westliche Politik muss wachsam sein. Unternehmen, die Komponenten für kritische Infrastruktur liefern oder in kritische Infrastruktur investieren, sollten Auskunft geben über ihre Beziehungen zur chinesischen Regierung sowie über ihre Eigentumsverhältnisse. Die öffentliche Hand in Deutschland sollte in der Beurteilung der Verhältnisse auch gezielt Expertise einholen, um sich nicht auf Gerüchte und unbewiesene Vorwürfe stützen zu müssen. Mehr Transparenz ist notwendig.

Es sollte jedoch nicht übersehen werden, dass es in China eine lange Liste von Konflikten und Streitpunkten zwischen privaten Unternehmern und der Regierung gibt. Die einseitige Politik des schnellen Wachstums hat in der Vergangenheit zu Verzerrungen geführt, da Sektoren mit hoher Rendite bevorzugt wurden. Die massive Vergabe von Finanzmitteln an große Unternehmen, die sich in Staatsbesitz befinden, verdrängt Investitionen in kleinere private Unternehmen. Staatliche Unternehmen haben leichteren Zugang zu zinsgünstigen Krediten der staatlich geführten Finanzinstitutionen und werden oft bei der Landzuteilung begünstigt. Sie werden auch in Bezug auf Steuern und Abgaben oft bevorzugt behandelt. Den Privatunternehmen fällt es unter diesen Bedingungen schwer, mit dem staatlichen Sektor zu konkurrieren. Dies ist kein fairer Wettbewerb.

Privatunternehmer erfreuen sich wachsender Beliebtheit - die Regierung sieht das mit Argwohn

Die Politik der Regierung wird von der Angst getrieben, dass die kommunistische Herrschaft in China zusammenbrechen könnte, wie dies in der Sowjetunion geschah. Die Partei glaubt, dass sie dies nur vermeiden kann, wenn sie das Wirtschaftswachstum hochhält und die zunehmend wohlhabende und plurale Gesellschaft kontrolliert. Dabei sieht sie private Unternehmer mit Misstrauen: Werden sie eines Tages die Parteiherrschaft anfechten? Privatunternehmer haben nicht nur Geld und wirtschaftliche Macht, sondern erfreuen sich auch wachsender Beliebtheit, was ihnen politische Schlagkraft verleiht.

So wird in chinesischen sozialen Medien gemunkelt, Jack Ma sei unter Druck gesetzt worden, sich aus dem Management seines IT-Unternehmens Alibaba zurückzuziehen, weil die Parteiführung seine Popularität mit wachsendem Argwohn beobachtet habe. Der tödliche Unfall des Vorsitzenden von Hainan Airlines, Wang Jian, im vergangenen Jahr in Frankreich hat ähnliche Verschwörungstheorien hervorgerufen: Steckte die Partei dahinter?

Ein großer Teil des Regierungsprogramms zur Förderung von Innovationen kommt dem staatlichen Sektor weitaus mehr zugute als dem privaten Sektor. Großzügige Fördermittel gehen vor allem an staatliche Forschungsinstitute, Universitäten oder große staatliche Unternehmen. Diese Politik ist auch nicht so erfolgreich, wie viele im Westen zu glauben scheinen. Es gibt eine lange Liste von verschwenderischen Fehlkalkulationen, falschem Einsatz von Ressourcen und gescheiterten Investitionen. Die offiziell propagierte Geschichte von Chinas Aufstieg und technologischer Innovation lässt leicht vergessen, dass es eine weniger effiziente und weniger glänzende Seite gibt.

Wer China bereist, kann feststellen, dass die Regierung viele kostspielige und fragwürdige Großprojekte durchgeführt hat, die spektakulär gescheitert sind. Grund dafür ist, dass Entscheidungen oft auf politischen Beziehungen beruhen und nicht auf der offenen und wettbewerblichen Auswahl der besten Ideen oder der innovativsten Pläne. Wie jede andere Regierung der Welt ist die chinesische Regierung kein sehr guter Förderer von Innovation, da sie häufig bestimmten Interessengruppen verpflichtet ist. Ein Großteil der erfolgreichsten Innovationen in China geht auf private Initiative zurück. Manchmal werden diese Initiativen staatlich unterstützt, oft aber auch nicht.

Es ist also notwendig, die Beziehungen von Regierung und Wirtschaft in China kritisch zu analysieren - aber es ist falsch, pauschal anzunehmen, dass private Unternehmen willenlose Agenten des chinesischen Staates sind. Sie für ihre immer autoritärere Regierung zu bestrafen und den Zugang privater chinesischer Unternehmen zu westlichen Märkten generell zu behindern oder einzuschränken, wird die privaten Unternehmen schwächen. Und letztlich wird dies die Macht der Regierung in Peking stärken.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: