Vor Gericht:München stehen 50 Prozesse gegen mutmaßliche "Reichsbürger" bevor

  • Das Verwaltungsgericht überprüft den Waffenbesitz von mutmaßlichen "Reichsbürgern".
  • Anlass ist, dass ein "Reichsbürger" 2016 in Mittelfranken einen Polizisten erschossen hat.
  • Der Verfassungsschutz rechnet in Bayern 4200 Menschen zur Szene.

Von Stephan Handel

Fünf Fälle stehen an diesem Mittwoch auf der Sitzungsliste der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts, aber das ist erst der Anfang: Um die 50 Verfahren werden voraussichtlich in diesem Jahr verhandelt werden, in denen es um Waffenbesitz geht und um Menschen, die im Verdacht stehen, sogenannte "Reichsbürger" zu sein.

Weil im Jahr 2016 einer dieser "Reichsbürger" in Mittelfranken einen Polizisten erschossen hat, werden mutmaßliche Gesinnungsgenossen seitdem überprüft, Waffenscheine werden widerrufen, und da der Rechtsweg seine Zeit braucht, landen die Sachen jetzt auf dem Tisch der Vorsitzenden Richterin Christine Gibbons.

Die "Reichsbürger-Bewegung" ist keine Organisation, sondern ein höchst heterogenes Gebilde, unter dessen Dach sich simple Spinner ebenso finden wie hartgesottene Rechtsextremisten, und alles dazwischen. Sie behaupten mit unterschiedlichen Begründungen, es gebe keine Bundesrepublik Deutschland, weshalb diese auch nicht für sie zuständig sei und ihnen keine Vorschriften machen könne. Deshalb weigern sie sich, Steuern zu bezahlen, bürgerliche Pflichten zu erfüllen oder staatliche Autoritäten anzuerkennen. Der Verfassungsschutz rechnet in Bayern 4200 Menschen zur Szene, 400 zum "harten Kern".

Da ist zum Beispiel Andreas B., dessen Klage gegen den Freistaat Bayern wegen eines Bescheid über ein Verbot, Waffen zu besitzen, als erstes verhandelt wird: Eine Gerichtsvollzieherin sollte Geldforderungen beitreiben, er aber zweifelte ihre Legitimation grundsätzlich an: Gerichtsvollzieher seien keine Beamten, sondern Einzelunternehmer, deshalb solle sie ihm gefälligst erst mal nachweisen, dass sie wirklich sei, was sie behaupte. Außerdem würden ihre Briefe von der Post zugestellt, die ja bekanntlich ein Privatunternehmen sei und daher nicht berechtigt zum Vollzug hoheitlicher Akte. Der Einfachheit halber hat sich Andreas B. aus dem Internet Aufkleber heruntergeladen, diese auf die Briefe der Gerichtsvollzieherin geklebt und sie ihr einfach zurückgeschickt - kaum verständliche Elaborate in pseudojuristischer Sprache waren darauf zu lesen.

Schwerer wiegt allerdings, dass Andreas B. seinen Personalausweis als verloren gemeldet hatte, dass dieser aber anlässlich einer Wohnungsöffnung wegen einer Zwangsvollstreckung gegen ihn offen im Zimmer lag - "Reichsbürger" sind nämlich der Auffassung, die BRD sei kein Staat, sondern eine Firma, und die Bürger seien deren Personal, deshalb heiße es ja auch so: Personalausweis. Und so versuchen sie oft, ihn loszuwerden.

Da helfen Andreas B. alle Beteuerungen nichts, er habe sich zwar mal mit den "Reichsbürgern" beschäftigt, auch Info-Veranstaltungen besucht, heute aber nichts mehr damit am Hut - das Waffenrecht ist streng, es genügt der Verdacht auf fehlende Zuverlässigkeit, und so sagt Richterin Gibbons, dass es voraussichtlich nichts werden wird mit seiner Klage.

Statt des Personalausweises ist bei "Reichsbürgern" der sogenannte gelbe Schein sehr in Mode, offiziell: Staatsangehörigkeitsausweis, ein tatsächlich amtliches Dokument, das aber nur in wenigen Einzelfällen wirklich benötigt wird. Christine K. hingegen, Rentnerin aus dem Münchner Umland, dachte sich: Was man hat, hat man, und beantragte ihn, wozu sie sich der Internetanleitung eines Gurus der "Reichsbürger"-Szene bediente. Deshalb, sagt sie in ihrer Verhandlung, habe sie auch in den Antrag geschrieben, sie sei Angehörige des Königreichs Bayern und beziehe sich auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913. Das ist aber nun eine deutliche "Reichsbürger"-Formulierung, obwohl auch Christine K. behauptet, mit diesen nie etwas zu tun gehabt haben.

Als der Landesanwalt, der den Freistaat vertritt, sie fragt, wozu sie denn den Schein benötigt habe, die Antragsstellung ist kompliziert und umfangreich, da sagt sie, das sei wegen der Bodenrechte, das wisse man doch, dass die demnächst auslaufen. Spätestens da denkt sich wohl das Gericht, dass manche Leute, "Reichsbürger" hin, "Reichsbürger" her, so oder so besser nicht mit Waffen hantieren sollten. Und so folgt Christine K. nach Beratung mit ihrem Anwalt den zarten Hinweisen der Kammer und nimmt ihre Klage gegen den Widerruf des Waffenscheins zurück.

Es ist aber nicht so, dass die Kammer alle Klagen über einen Kamm schert - in einem weiteren Fall deutet sie an, dass die Vorwürfe wohl nicht reichen, der Kläger seine Waffen behalten kann und den Ruch des "Reichsbürgers" los ist. In den am Mittwoch verhandelten Fällen sollen die Entscheidungen an diesem Donnerstag verkündet werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: