Gleichberechtigung:Genug ist genug!

Gleichberechtigung: In den Farben der Suffragetten grün, weiß und violett, marschierten Frauen in London im Vorjahr zum Gedenken an hundert Jahre Frauenwahlrecht.

In den Farben der Suffragetten grün, weiß und violett, marschierten Frauen in London im Vorjahr zum Gedenken an hundert Jahre Frauenwahlrecht.

(Foto: AFP)

Deutschland streitet über das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und den Paragraf 219a. Doch die Debatte bleibt seltsam brav. Wie viel Geduld wollen Feministinnen noch aufbringen?

Von Jagoda Marinić

Wo steht der deutsche Feminismus im Jahr 2019? Diese Woche erst musste er sich geschlagen geben. Geschlagen von jenen, die einen Paragrafen, der aus der Nazizeit stammt, für schützenswerter halten als die Selbstbestimmung der Frau. Politik im 21. Jahrhundert gibt sich taub gegen die eigenen Sonntagsreden. Ständig heißt es, wir müssten für die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte kämpfen. Beim Thema Frauen hingegen können wir gerne in der Vergangenheit bleiben. Der Status quo ist noch nicht einmal so, dass man von erhalten sprechen kann. Wie groß der Nachholbedarf ist, hat das Ringen um Paragraf 219a bloßgelegt.

Weite Teile der Politik meinen, es sich leisten zu können, die Autonomie der Frauen anderen Interessen unterzuordnen. Trotz der Frauen, die sich wehren, die sich wortgewaltig einsetzen, und trotz der Frauen, die im Parlament sitzen. Die aktuelle Regelung spricht vor allem eine Sprache: Eine Frau darf nicht selbst über ihren Körper bestimmen. Um diese Bevormundung zu rechtfertigen, beauftragt ein Gesundheitsminister eine teuere Studie bei exzellenter Studienlage. Für andere Anliegen der Frauen, seien es die Zustände in Kreißsälen oder die Lage der Hebammen, findet er im Haushalt offenbar kein Geld.

Ziel hätte sein müssen, sich von einem frauenfeindlichen Paragrafen zu lösen, der aus der dunkelsten Zeit dieses Landes stammt und dem ein repressives Frauenbild zugrunde liegt. Den Backlash bremst man nicht mit Beschwörungen, sondern mit fortschrittlicher Gesetzgebung.

Der deutsche Feminismus muss jetzt neu mobilisieren. Das 100. Jubiläum des Frauenwahlrechts wurde allerorts feierlich begangen. Einer der größten Sätze aus dieser Zeit ist jener, den uns Marie Juchacz hinterließ: "Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie haben den Frauen das gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist." Dieser Satz lässt sich auch auf heute anwenden. Er gilt für jedes übrig gebliebene Gesetz, das Frauen vorenthält, was ihnen zusteht.

Wie viel Geduld will man noch aufbringen? Manche meinen, mehr Geduld sei angebracht, warnen sogar: Frauen, schreit nicht zu laut, man könnte das Recht auf Abtreibung an sich neu verhandeln. Aber wo einem wohlwollend geraten wird, leiser zu schreien, ist man gut beraten, lauter zu werden. Es sind keine Zeiten für subtile Kämpfe, sondern für klare Haltungen. Wer für Frauenrechte kämpft, der führt den Kampf der Menschenrechte.

Hierzulande fehlt es an Vorkämpferinnen mit Mut und Charisma

In Deutschland wird es weiterhin zu langsam vorangehen, es könnte sich auch zurückentwickeln, wenn Frauen ihre Ansprüche nicht erhöhen. Wir sind zu schnell zu haben: Wenn Angela Merkel am Ende ihrer Kanzlerschaft einmal nicht verbal davonläuft, sobald die Frauenfrage gestellt wird, so ist das noch kein Grund zu jubeln. Wenn sie der Jungen Union freundlich lächelnd den Hinweis gibt, Frauen im Vorstand seien nicht schädlich, ist das nicht groß, sondern in seiner Gelassenheit verharmlosend. Man könnte schon fragen: War's das, Frau Merkel? Wirklich?

Der internationale Vergleich zeigt: Die deutsche Gesellschaft tut sich schwer mit dem Wandel. Der Erfolg für die Frauen bleibt aus. Doch noch scheint der Punkt nicht erreicht zu sein, an dem Frauen hierzulande rufen: "Genug ist genug!". So wie das Michelle Obama während Trumps Präsidentschaftswahlkampf tat. Ihre weltweit gefeierte Rede "Enough is enough!" - eine Herz- und Kraftrede über Selbstbestimmung und Respekt - enthielt keine Statistiken, sieh an. Michelle Obama erzählte stattdessen, wie sehr Trumps Rhetorik sie in ihrem Innersten verletzte. Einfache Sätze über den Einfluss des Machismo à la Trump auf Kinder und somit auf die Zukunft, schon jubelte der Saal. Nach einer solchen Rede würde man hierzulande sagen: Sie hat ihre Haltung nicht ausreichend mit Argumenten belegt. Zu emotional. Doch ihr Slogan war der richtige in Zeiten von #Me Too. Es ist Zeit für den Wandel.

In den USA setzt dieser Wandel ein. Trump und das Horrorszenario des autoritären Herrschers wirken wie ein Katalysator. Das Bemerkenswerte dabei: Frauen aller Generationen erobern sich den politischen Raum. Die Demokratin Nancy Pelosi zum Beispiel, beinahe achtzig Jahre alt und Trumps mächtigste Gegenspielerin. Sie verspottet Trump selbst dann noch, wenn sie seine selbstbeweihräuchernden Reden beklatscht. Ruth Bader Ginsburg, 85, ist die zäheste Richterin des Obersten Gerichtshofs, sie möchte noch erleben, dass Trump als Präsident abgelöst wird. Weg mit den Elder Statesmen! Frauen aller Generationen prägen derzeit die US-Politik, die jüngste ist Alexandria Ocasio-Cortez, die fulminant ihre Themen auch digital platziert.

Wo waren unsere progressiven Politikerinnen, als es diese Woche in Sachen 219a darum ging zu sagen: Auch wir sind Frauen! Haben sie mit Merkel gelernt, dass Frauen an der Macht besser ihr Frausein verbergen? Das wäre eine fatale Lektion. In den USA haben im Zuge von #Me Too mehr als 200 Männer ihren Job verloren. Die Jobs wurden, der ausgleichenden Gerechtigkeit unter den Geschlechtern wegen, mit Frauen besetzt. In Deutschland sichert sich WDR-Filmchef Gebhard Henke nach dem Publikwerden seiner Übergriffe jedoch erst mal die Pensionszahlungen.

Genug ist genug. Wann wird diese Botschaft in Deutschland ankommen? Man hat Frauen kein Recht zu geben, es gilt nur, herrschendes Unrecht zu beenden. Danke, Marie Juchacz. Danke, allen Frauen, die gekämpft haben. Ihnen schulden wir, dieses Erbe ins 21. Jahrhundert zu tragen und dafür zu sorgen, dass es in hundert Jahren etwas Neues zu feiern gibt.

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