Berliner Galerienrundgang:Luft, Licht, Himmel

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Solange der Ventilator läuft, blühen die Stoffblumen: Die Suche nach bleibenden Werken von Otto Piene und Henrike Naumann, einer Künstlerin der Stunde.

Von Astrid Mania

Die Galerien warten im Februar eher selten mit den ganz großen Krachern auf. Doch in Berlin etwa kann man derzeit eine kleine Reise durch hundert Jahre deutscher Kunst-Geschichte unternehmen.

Los geht's bei Willi Baumeister, Jahrgang 1889. Dieser Künstler wurde als Verfechter einer gegenstandslosen Malerei und durch die programmatische Schrift "Das Unbekannte in der Kunst" (1947) zu einem der Referenz- und Anknüpfungspunkte für die westdeutsche Kunst nach dem Terror des Dritten Reichs. Die Galerie Klaus Gerrit Friese versucht nun auch den Brückenschlag in die Gegenwart und kombiniert internationale junge Kunst mit Werken aus verschiedenen Schaffensphasen Baumeisters. Von ihm sieht man eine knarzig-trocken gepinselte "Figur in Schwarz" (1921/22) aus konstruktivistischen Zeiten, "Formstudien", die sich mit außereuropäischen und frühzeitlichen Bildsprachen befassen, sowie seine farblich und formal sehr reduzierten Gemälde aus den späten 1930er-Jahren, von japanischen Künsten inspiriert und auch heute noch bezwingend in ihrer Klarheit.

Mit drei Gouachen wird der Bühnenbildner Baumeister vorgestellt. Es handelt sich um Bühnenentwürfe für Egon Viettas "Monte Cassino" (1949). Hier zeigt sich, obwohl es sich um ein Antikriegsdrama handelt, die verspielte Seite des Künstlers. Darauf hat sich der Franzose Edouard Baribeaud gestürzt, der Baumeisters Bühnenvorhang in eines seiner Blätter hineinappropriiert, während die argentinische Künstlerin Claire de Santa Coloma Baumeisters japanisierende Formen in ein Mobile übertragen hat ("Suspended Forms", 2019). Sieht man dadurch Baumeister mit neuen Augen? Nicht unbedingt. Lebendig wird er vielmehr in den kleinen Nebensträngen dieser Präsentation, der Beschäftigung mit Bühne oder Künstlerbuch (bis 6. April).

Bei Henrike Naumann treffen Rapper, Reichsbürger und Honecker aufeinander

Kunsthistorisch ist es kein allzu weiter Weg von Baumeister, dem Mitbegründer der Künstlergruppe "Zen 49", zur westdeutschen Gruppe Zero mit ihrer sich entmaterialisierenden Kunst. Zero-Mitglied Otto Piene ist gegenwärtig in einer kleinen Präsentation bei Sprüth Magers zu sehen, die von der Stoff-Installation "Red Sundew 2" (1970) dominiert wird. Die leuchtend rote Arbeit fungiert wie ein Raumteiler, hinter dem sich - durch ein Gebläse angetrieben - tentakelartige aufblasbare Stoffblumen rekeln und zusammensinken, wenn der Ventilator stillsteht.

Luft, Licht, der Himmel, das waren die Materialien und der Aktionsraum Pienes. Er ließ nicht nur Skulpturen, sondern auch Menschen mittels heliumgefüllter Polyäthylenschläuche in den Himmel steigen. In der Videoarbeit "Electronic Light Ballet" (1968) ist das zu sehen. Daneben geben farbenfrohe Skizzen Einblicke in das Denken und Planen der ephemeren Werke Pienes, während dazu der "Lichtgeist" (1966/2014) rot aufleuchtet, eine sich nach oben hin verjüngende Mischung aus überdimensionierter Seventies-Lampe und Wasserpfeife. Dennoch waren die Zero-Künstler kein Haufen Esoteriker. Namentlich Piene hat Kunst immer mit Wissenschaft und Technik zusammengedacht. Und trotz der jüngsten Anstrengungen, durch eine konzertierte Aktion von Museum und Markt die Zero-Künstler buchstäblich aufzuwerten, kann man die Radikalität der künstlerischen Entwürfe vin Pienes und Co. auch heute noch neu entdecken (bis 6. April).

Sicher hatten es die ruhigen, leinwandfernen Künstler im und nach dem Getöse der wilden westdeutschen 1980er-Jahre schwer, Gehör zu finden. Einer leiseren Stimme aus dem Chor der Malerei widmet sich die Galerie Contemporary Fine Arts: dem 2013 verstorbenen Norbert Schwontkowski, der dieses Jahr 70 Jahre alte geworden wäre. Anders als die grell-gezackten Szenerien aus dem Nachtleben seiner Berliner oder der Polit-Pop mancher rheinländischer Kollegen warten Schwontkowskis zurückhaltende Gemälde ab, ob und bis sich ihnen jemand zuwendet - was sich auch auf den Maler selbst und seine späte Bekanntheit übertragen lässt.

Selbst das Bildpersonal ist überwiegend mit sich selbst befasst. Da blickt ein mit Hose, Hemd und Fliege bekleideter Mann selbstvergessen in die Ferne, die Füße in ein Becken eingetaucht ("Das Bad", 2011). In "Waiting for Hans" (2010) schielt ein Gaul um die Ecke einer Stallung, deren tiefes Braun fast die gesamte Leinwand füllt: Es ist nicht so, als ob man bei Schwontkowski nicht auch schmunzeln könnte. Vor allem lässt diese Ausstellung ihre Protagonisten und die Betrachter in Durchblicke und Öffnungen schauen. So auch im "8. Versuch, die Welt zu begreifen" (1994), einer nahezu monochrom grau-ockerfarbigen Leinwand, auf der sich ein wie hingetuscht gemaltes Männchen über ein schwarzes Loch im Boden beugt: einige Pinselstriche nur, und doch ein Rätsel von kosmischen Dimensionen (bis 7. März).

Mit Henrike Naumann kommt man bei einer jungen Künstlerin und im wiedervereinigten Deutschland an - wobei die Ausstellung ein großes Fragezeichen hinter den Begriff der Vereinigung setzt. Naumann, wohl mit das Aufregendste, was es momentan an junger Kunst aus und über Deutschland gibt, zeigt in ihren Installationen das politisch Verstörende und Verdrängte, und zwar dort, wo es zu Hause ist: im Ambiente genormter Jugendzimmer, in die Ideologien, Konsumverlockungen und Popkultur ein-, und aus dem diese mit all ihren Abgründen auch wieder herausdringen.

Bei KOW entfaltet sie nun ein Panorama deutsch-deutscher Befindlichkeiten. Homevideos aus dem Jahr 1992 spiegeln die Sehnsüchte dreier Teenager aus Jena, Interview-Fetzen von ostdeutschen Arbeitern, deren Betriebe von der Treuhand abgewickelt wurden, belegen deren existenzielle und kaum gewürdigte Verluste ("Fun 2000", 2018). Dazwischen sind die Verschwörungstheorien der sogenannten Reichsbürger ("Das Reich", 2017) und die Hassbotschaften des ehemaligen Gangsta-Rappers Deso Dogg aus Kreuzberg ("Desolation", 2014) zu hören. Alles wird flankiert von Versatzstücken aus Werbung und Mode, von Porträts Erich Honeckers und Birgit Breuels, in einer Installation aus ehemaligen Ladeneinrichtungen und teils an die Wand gekipptem postmodernem Billig-Mobiliar - aus den Fugen geratene, spanholzige Sinnbilder Potemkinscher Verheißungen. Henrike Naumann aber zeigt auf eindringliche Weise, dass die Menschen, die darin wohnen, das auch begriffen haben (bis 6. April).

© SZ vom 23.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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