Vortrag:Anders Wohnen

Architektur-Fachautor Daniel Fuhrhop sieht ein großes Potenzial im Altbau und empfiehlt ein Umdenken. In Starnberg stoßen seine Denkmodelle und Anregungen für ein neues Miteinander auf großes Interesse

Von Peter Haacke, Starnberg

Fehlender bezahlbarer Wohnraum ist ein Thema, dass nahezu alle Kommunen rund um die Boomregion München vor große Herausforderungen stellt. Auch die 14 Gemeinden im Landkreis Starnberg unternehmen diverse Anstrengungen, um die Wohnungsnot zu lindern. Doch sind Neubauten und die Ausweisung immer neuer Siedlungsgebiete wirklich die richtigen Antworten auf Zuzugsdruck und unvermindert steigende Mieten? Fehlt tatsächlich Wohnraum? Oder haben wir womöglich sogar zu viel davon? Unbestritten ist: Viele Menschen in München und Umgebung suchen bezahlbare Wohnungen. Anderswo aber stehen Zimmer oder sogar ganze Häuser leer. Daniel Fuhrhop, Fachautor für Architektur und neue Wohnformen, plädiert für einen neuen Umgang mit dem Thema. Der provokante Titel seines Referats am Donnerstag im Starnberger Landratsamt: "Verbietet das Bauen! Oder: Müssen wir das Wohnen neu denken?"

Alternative Wohnprojekte im Landkreis Starnberg sind bislang rar. Gleichwohl reifen in einigen Rathäusern mittlerweile Überlegungen, die sich abseits klassischer Wohnformen - Einzel-, Doppel- und Reihenhäuser oder Geschosswohnungsbau - Modellprojekten widmen wie dem genossenschaftlichen Wohnungsbau beispielsweise in Andechs, Tutzing oder Berg. Das Thema gewinnt zunehmend an Relevanz. Aus gutem Grund hatten daher die Stabstelle Klimaschutz, die Fachstelle für Senioren am Landratsamt, der Energiewendeverein des Landkreises und die Volkshochschule Starnberg in Kooperation zur Veranstaltung eingeladen, die rund 60 Interessierte anlockte.

Arbeitsmarktzahlen für Sachsen-Anhalt

Manche Neubauten weisen in ökologischer Hinsicht eine insgesamt negative Bilanz auf. Zudem wird zuweilen am Bedarf vorbei gebaut.

(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Fuhrhop, bekennender Freund guter Architektur, rechnete vor, dass Neubauten in ökologischer Hinsicht oft eine negative Bilanz aufweisen. "Da passt manches nicht so recht zusammen", sagte er. Der energetische Aufwand für einen Neubau übersteige oft den späteren Bedarf des Hauses in seinem gesamten Zyklus. Vielerorts entstünden Siedlungen und Stadtviertel mit Shopping-Centern und Bürotürmen unter der Maßgabe: "Wir werden nicht die Fehler von früher machen." Stattdessen mache man eben andere. Es sei teilweise frustrierend, was da neu gebaut werde. Dabei bestehe - abgesehen von der offenkundigen regionalen Ungleichheit im Hinblick auf Wohnungsbedarf und Leerstände - ein "Ungleichgewicht, wie Alt- und Neubauten behandelt werden". Fuhrhop: "Eigentlich ist es das Sozialste, die Altbauten in Schuss zu halten." Doch in 60 Prozent aller deutschen Kommunen wisse man gar nicht, wie viele leere Häuser und Wohnungen es gibt. "Es wird gebaut", sagt Fuhrhop, "obwohl man gar nicht weiß, wie viele Wohnungen tatsächlich gebraucht werden". Zudem müsse man Boomregionen schwächen, um den Druck zu mindern. Die Landeshauptstadt etwa müsse eigentlich mit dem Negativ-Slogan werben: "München mag dich nicht."

Doch auch der individuelle Bedarf an Wohnraum steigt. Rein rechnerisch verfügt jeder Deutsche im Durchschnitt über 45 Quadratmeter. Tatsächlich aber stehen vielen Alleinstehende mehr als 68 Quadratmeter zur Verfügung, in Starnberg sogar 80. Möglicherweise leide man im Landkreis Starnberg auf hohem Niveau. Zumindest dränge sich mancherorts der Eindruck auf, wenn einzelne Menschen allein ein Haus bewohnen oder ganze Villen offensichtlich leer stehen. Hinzu kommen soziale Aspekte wie die Einsamkeit älterer Menschen, wenn der Partner verstorben ist, die Kinder aus dem Haus sind oder Trennung und Scheidung dem Traum von trauter Zweisamkeit im Eigenheim ein jähes Ende bereitet haben. In der Entdeckung leer stehender Räume bestehe die größte Chance, meint Fuhrhop, "aber es ist nicht einfach". Vielfach bestehe Angst vor "schrecklichen Mietern". Hilfe könnten Vermittlungsstellen bieten. Grundlage eines Miteinanders könnte etwa ein Leben in Symbiose ("Hilfe gegen Wohnraum") oder das Zusammenleben in einer Senioren- oder Alt-und-Jung-WG sein.

Architektur-Autor Daniel Fuhrhop

"In vielen Kommunen wird gebaut, obwohl man gar nicht weiß, wie viele Wohnungen tatsächlich gebraucht werden."

Das erfordert aber etwas Mut, Vertrauen in potenzielle Mitbewohner und ein generelles Umdenken im sozialen Miteinander. Immerhin: Frauen scheinen alternativen Wohnformen gegenüber aufgeschlossener zu sein als Männer.

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