Kinderschutzgipfel:Auf der Suche nach einer glaubwürdigen Wende

Kinderschutzgipfel: Ein bisschen wie an der Uni: Die Konferenz findet in einem holzgetäfelten Saal statt, es gibt Referate, Diskussionen, Arbeitsgruppen.

Ein bisschen wie an der Uni: Die Konferenz findet in einem holzgetäfelten Saal statt, es gibt Referate, Diskussionen, Arbeitsgruppen.

(Foto: Guiseppe Lami/AFP)

Die 21 Denkanstöße, die der Papst bei der Konferenz im Vatikan in die Runde geworfen hat, erhöhen die Erwartungen an den Gipfel. "Etwas Konkretes" muss her.

Von Oliver Meiler, Vatikanstadt

Der weiche, beige Teppich schluckt alle Geräusche, das Klacken der Schuhe, auch das Lachen zweier Kardinäle ganz unten im Saal, ihr Gespräch sowieso. Es ist 8.45 Uhr, ein sonniger Wintermorgen in Rom, zweiter Tag der Kinderschutzkonferenz. Die Kuppel des Petersdoms stand gerade noch in diesem lieblichen Licht, das einem alle Kälte aus den Knochen zaubert. Gleich kommt der Papst. Er hatte es nicht weit, vom Gästehaus Santa Marta, wo er wohnt, bis zur "Aula Paolo VI.", der großen Audienzhalle im Vatikan, sind es zwei Minuten zu Fuß.

Der Saal, aus dem die Welt nicht nur ein Zeichen der Reue erwartet, Bewusstseinswerdung und wortreiche Absichten, sondern auch ganz konkrete Maßnahmen, hängt gewissermaßen über der Audienzhalle. Wie eine Universitätsaula aus den Sechzigern sieht er aus, dunkelbraunes Holz an den Wänden und Decken. Der Saal ist abschüssig angelegt, damit auch die hintersten Ränge einigermaßen nahe am Pult der Redner sind. Und ganz hinten, in den Reihen neun und zehn, hinter all den Männern in schwarzen Röcken, hinter den Patriarchen der unierten Kirchen mit ihren auffälligen Kopfbedeckungen, sitzen die Frauen. Es sind nur zehn, etwa fünf Prozent der gesamten Teilnehmerschaft auf diesem Gipfel zum Thema Missbrauch. Wenn die katholische Kirche schon dabei ist, grundsätzlich über sich nachzudenken, könnte sie vielleicht auch darüber sinnieren: Die Frauen reden mit den Frauen, die Männer reden mit den Männern.

Dann ist er da, der Papst, kurz vor neun Uhr. Er richtet sich im Zentrum des Podiums ein, ohne Hilfe, niemand schiebt die Stühle beiseite. Er blättert im Dossier, das vor ihm liegt. Die Kirchenspitze beim Workshop. Tag zwei handelt von der Rechenschaftspflicht, dem Kern der Frage.

Rechts vom Papst sitzen die Moderatoren und Vorbereiter des Treffens, Padre Federico Lombardi, sein früherer Sprecher, und der deutsche Pater Hans Zollner, so etwas wie der Chefconférencier und Präsident des Zentrums für Kinderschutz an der Päpstlichen Universität Gregoriana. Bei Franziskus erstarrt die Umgebung nicht in Ehrfurcht, wenn er den Raum betritt. Nicht so, wie das bei seinen Vorgängern der Fall war. Er ist nahbar, seine Präsenz strahlt Schlichtheit aus, daran ändert auch das weiße Gewand nichts.

Jeden Morgen setzt die Orgel ein, alle schlagen einen weißen Ordner auf und singen

In der ersten Reihe sitzt ein Kardinal und liest einfach weiter im Osservatore Romano, der vatikanischen Zeitung. Sie ist heute acht Seiten dick, sechs handeln von der Konferenz. Allein die Referate des ersten Konferenztages füllen zwei Seiten. Jorge Mario Bergoglio, der Papst, stützt sich jetzt auf die Armlehne seines Stuhls und beugt sich vor, damit ihm die beiden Organisatoren ins Ohr reden können. Als heckten sie einen Coup aus, so vertraut sieht das aus. Dann setzt die Orgel ein, alle stehen auf, schlagen den weißen Ordner zum Morgengebet auf und singen. So beginnt jeder der dreieinhalb Konferenztage, dann folgen jeweils Referate und Diskussionen in elf Arbeitsgruppen.

Am ersten Tag hatte der Papst die Gipfelteilnehmer mit einer Liste überrascht, einem Katalog mit 21 Punkten. Er nannte sie "Anhaltspunkte", "Denkanstöße" für konkrete Schritte für den Schutz von Minderjährigen in seiner Kirche. Er hat sie einfach mal so in die Runde geworfen, man wird ja sehen, was davon konsensfähig ist. Lombardi wird die Punkte beim Pressebriefing "Stimuli" nennen, also Ansporn zu mehr Mut. Dieser Gipfel, das weiß der Papst, wird der Welt draußen nur dann wie eine Wende vorkommen, wenn wenigstens ein bisschen "concretezza" aus ihm erwächst, wie er es nannte, etwas Konkretes. Die ganze Glaubwürdigkeit hängt daran, seine und die der Kirche. Und zwar grundsätzlich, epochal.

Unter den "Vaticanisti", den Journalisten, die sich hauptberuflich mit dem Vatikan beschäftigen, ist deshalb nun eine Debatte zur Frage entbrannt, ob es nicht besser gewesen wäre, gleich ein Konzil einzuberufen. Das letzte fand vor 55 Jahren statt. So wichtig ist der Moment. Es gibt auch Vaticanisti, die glauben, dass in der "Aula Nuova del Sinodo", dem Synodensaal mit dem beigen Teppich, eine Art Prä-Konklave läuft, dass also gerade die Weichen gestellt würden für das nächste Pontifikat. Und natürlich meinen sie Tendenzen ablesen zu können an der Schar der Anwesenden und, mindestens ebenso deutungssicher, an jener der Abwesenden. Bergoglio ist jetzt 82 Jahre alt. Er hat schon lange nicht mehr darüber gesprochen, dass er zurücktreten könnte.

Die 21 Denkanstöße sind ein recht buntes Sammelsurium von Ideen, von denen manche schon erprobt wurden, andere die Geister spalten, wieder andere aus dem Rahmen der Konferenz zu fallen scheinen oder ganz spezifisch auf gewisse Weltgegenden zugeschnitten sind. Zur letzten Kategorie gehört Punkt 12: "Das Mindestalter für eine Ehe auf sechzehn Jahre anheben."

Die Erwartungen sind wieder gestiegen

Interessant wird vor allem sein, wie die einzelnen Ortskirchen auf den Vorschlag reagieren, dass bei der "psychologischen Beurteilung" von Kandidaten für das Priestertum auch externe, also nichtkirchliche Experten beigezogen werden. Diskutieren lässt der Papst auch darüber, ob es künftig neue Ausbildungsprogramme für Seminaristen und Bewerber für das Ordensleben brauche, die deren "zwischenmenschliche, spirituelle und psyschosexuelle Reife" festigen.

Die unerwartete Initiative des Papstes führte dazu, dass die Erwartungen an den Gipfel plötzlich wieder stiegen. Davor waren sie dürftig gewesen, zurückgebunden vom Vatikan selbst. Punkt 1 deutet aber eher wieder darauf hin, dass man noch ganz am Anfang steht, da heißt es nämlich: "Einen praktischen Leitfaden, ein Vademecum, erarbeiten, in dem die Schritte bestimmt werden, welche von den Verantwortlichen in allen entscheidenden Momenten beim Umgang mit einem Missbrauchsfall zu tun sind."

Für eine Wende bräuchte es etwas mehr als einen Leitfaden, mehr Bewusstsein für die Schwere der Situation und mehr "concretezza" im Kampf gegen die Schande. Zeit ist noch bis Sonntagmorgen. Dann redet der Papst.

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