Algerien:Das Volk ist müde, der Präsident nicht

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„Die Anwälte sind mit dem Volk“: Tausende Algerier demonstrierten gegen den Plan des Präsidenten, bei der Wahl im April erneut anzutreten. (Foto: Ryad Kramdi/AFP)

Tausende Menschen protestieren gegen den Plan des kranken Abdelaziz Bouteflika, für eine fünfte Amtszeit bei der Wahl anzutreten.

Von Paul-Anton Krüger, München

Im April werden es 20 Jahre sein, dass Präsident Abdelaziz Bouteflika in Algerien das erste Mal an die Spitze des Staates gewählt wurde. 62 Jahre war er damals alt. Dass er nun, schwer gezeichnet von einem Schlaganfall im Jahr 2013 und an den Rollstuhl gefesselt, bei der Wahl am 18. April erneut antritt, bringt Tausende Algerier auf die Straßen. Nachdem am Freitag die Menschen in der Hauptstadt Algier und anderen großen Städten demonstriert hatten, dauerten die Proteste das gesamte Wochenende an. Neue und noch größere Kundgebungen könnte es kommenden Freitag nach dem Mittagsgebet geben. Die Wut jedenfalls ist groß, so groß, dass sich die Menschen auch nicht von einem massiven Aufgebot der Sicherheitskräfte einschüchtern ließen, die am Wochenende mehr als 40 Demonstranten festnahmen.

Eine undurchsichtige Clique aus Militär, Geheimdienst und Funktionären lenkt das Land

"Nein zum fünften Mandat!", skandierten die Menschen - und Parolen, die an den Arabischen Frühling erinnern: "Algerien: frei und demokratisch!" oder "Das Volk will den Wechsel des Regimes!" Die Polizei hatte am Wochenende zentrale Plätze besetzt, um neue Versammlungen in Algier zu verhindern, allerdings ohne Erfolg. Sie setzte dann Tränengas ein. Die Demonstranten zogen weiter durch angrenzende Straßen im Zentrum.

Der Präsident sollte am Sonntag zu Routineuntersuchungen in die Schweiz reisen, wie sein Büro vergangene Woche mitgeteilt hatte. Seit seinem Schlaganfall tritt er kaum noch öffentlich auf. Sein Gesundheitszustand wird wie ein Staatsgeheimnis behandelt, allerdings musste er mehrmals Termine mit ausländischen Staats- und Regierungschefs absagen: Kanzlerin Angela Merkel verschob eine Reise nach Algier, weil sie in letzter Minute wegen der gesundheitlichen Probleme Bouteflikas abgesagt werden musste. Seine Kritiker bemängeln, es gebe keine Belege, dass Bouteflika gesundheitlich in der Lage sei, das Land zu führen. Dies hätten längst seine engen Berater übernommen, unter ihnen Bouteflikas Bruder Saïd. Die Algerier sprechen nur von le pouvoir, der Macht, wenn sie die undurchsichtige Clique aus Militär, Geheimdienst und Funktionären meinen, die das Land aus dem Hintergrund lenkt.

Die regierende Nationale Befreiungsfront (FLN) hat ihn dessen ungeachtet erneut nominiert. Mehrere Parteien, Gewerkschaften und Unternehmerverbände haben bereits ihre Unterstützung bekundet. Die Opposition ist zerstritten, weshalb eine Wiederwahl als wahrscheinlich gilt. Im Jahr 2014 hatte Bouteflika nach offiziellen Angaben 81,5 Prozent der Stimmen erhalten, ohne dass er ein einziges Mal öffentlich im Wahlkampf aufgetreten wäre.

In Algerien kommt es immer wieder zu Streiks und Protesten wegen der sozialen und wirtschaftlichen Lage. Jugendarbeitslosigkeit ist wie in anderen nordafrikanischen Ländern ein großes Problem; etwa ein Drittel der Algerier unter 30 findet nach offiziellen Statistiken keinen Job. Die junge Bevölkerung fühlt sich zudem von der Politik ignoriert. Lange finanzierte Algerien mit Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft Infrastrukturprojekte und einen aufgeblähten öffentlichen Sektor. Mit dem Verfall der Ölpreise geriet dieses Wirtschaftsmodell zunehmend unter Druck, verschärft noch von einem hohen Bevölkerungswachstum. Derzeit leben etwa 42,4 Millionen Menschen in Algerien.

Die Anhänger Bouteflikas und der Regierungspartei sehen in dem Präsidenten und dem derzeitigen System dagegen Garanten für Stabilität. "Denen, die vom Wechsel träumen, sagte ich: Habt schöne Träume", sagte FLN-Chef Moad Bouchareb am Samstag in einer Fernsehansprache. Der Vorsitzende der mit der FLN verbundenen einflussreichen Gewerkschaft UGTA, Abdelmadjid Sidi Said, fragte: "Wollt ihr, dass Algerien in die Jahre der Tränen und des Bluts zurückfällt?" Bouteflika ist bis heute bei vielen Algeriern noch populär für seine Rolle bei der Beendigung des Bürgerkriegs, in dem zwischen Dezember 1991 und Februar 2002 bis zu 200 000 Menschen getötet worden sind. Er setzte sich maßgeblich für eine Amnestie für islamistische Kämpfer ein. Diese hatten gegen die Regierung gekämpft, nachdem das Militär im Jahr 1991 de facto die Macht übernommen hatte. Zuvor hatte sich bei den Wahlen ein Sieg der Islamischen Heilsfront abgezeichnet.

© SZ vom 26.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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