Globalisierungskritiker Attac:Wo sind all die Protestierer hin?

Sicherheitskonferenz, Siko Demo

Bei den Globalisierungskritikern herrscht nicht gerade eitel Sonnenschein: Attac beim Protest gegen die 55. Münchner Sicherheitskonferenz.

(Foto: Florian Peljak)
  • Unter dem Namen Attac protestieren seit 1998 Zehntausende Aktivisten in Deutschland gegen die Globalisierung.
  • Die Finanzkrise bescherte der Bewegung großen Zulauf. Doch inzwischen ist der Schwung raus, die Mitgliederzahl sinkt.
  • Vor allem junge Leute engagieren sich lieber anderswo, etwa online, bei anderen Bewegungen und Organisationen oder auch bei den Grünen.
  • Attac selbst sieht in der Aberkennung der Gemeinnützigkeit den Hauptgrund für die Misere.

Von Jana Anzlinger

Der Name war mal Programm. "Attac" agierte in den Neunziger- und Nullerjahren als eine Bewegung, die attackierte. Unter dem Namen kritisierten Zehntausende Menschen scharf Eliten in Wirtschaft und Politik, organisierten Protest und stellten öffentlichkeitswirksam die Globalisierung infrage. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Im Jahr 1998 starteten Finanzmarkt-Kritiker die Bewegung, um eine sogenannte Tobin-Steuer durchzusetzen. Eine solche Steuer auf Finanztransaktionen soll die Spekulation auf Währungsschwankungen eindämmen. Heute ist diese Forderung im Mainstream angekommen. Der Name Attac kürzt die ursprüngliche Forderung ab: "Association pour une taxation des transactions financières pour l'aide aux citoyens", Vereinigung für eine Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger.

Das Attac-Netzwerk weitete sein Themenspektrum rasch aus auf Globalisierungskritik im Allgemeinen. Auch die Mitgliederzahl wuchs auf weltweit mehr als 90 000 Menschen und Organisationen, etwa Umweltverbände, in mindestens 40 Ländern. Deutschland macht den Großteil aus, bis heute lebt hier etwa ein Drittel aller Mitglieder. Die Organisation stand als Beispiel für neue soziale Bewegungen, in denen politische Menschen außerhalb der Parlamente die Welt verändern wollten - nicht radikal, aber mit Nachdruck.

Viele Menschen verbinden Attac bis heute mit den Fernsehbildern der G-8-Gipfel von 2001 und 2007, bei denen es zu Ausschreitungen kam. Der deutsche Ableger hatte die Proteste gegen die Treffen im italienischen Genua und Heiligendamm bei Rostock mitorganisiert. Führende Attac-Mitglieder distanzierten sich später von der Gewalt. Bei den Demonstrationen war das Attac-Logo omnipräsent: vor orangefarbenem Hintergrund bilden eine Linie und zwei Erdkugeln ein weißes Prozentzeichen. Das Logo spielt auf die Finanztransaktionsteuer an. Es erinnert auch an den Slogan "Wir sind die 99 Prozent", mit dem Protestierende während der Finanzkrise in Frankfurt und Washington an die ungleiche Verteilung von Wohlstand erinnerten.

Die Finanzkrise von 2007 an lieferte Attac Deutschland einen Wachstumsschub. Doch seit 2014 stagniert die Mitgliederzahl bei etwa 29 000. Der Schwung ist raus.

Als einen Grund dafür führen die Aktivisten selbst den Rechtsstreit mit den deutschen Finanzbehörden an, der ebenfalls 2014 begonnen hat. Der Streit diskreditiere die Organisation als zu politisch, also als eine Art radikalen Propaganda-Verbreiter, beschweren sich Anhänger. Hinzu komme, dass die Unsicherheit über die seit Jahren faktisch aberkannte Gemeinnützigkeit Spender abschrecke. Wer an eine Organisation ohne Gemeinnützigkeit spendet, kann dies nicht von der Steuer absetzen.

Es fehlt an Nachwuchs - neue Mitglieder sind im Schnitt 50 Jahre und älter

In einer von Attac selbst in Auftrag gegebenen Studie schreibt die der Linkspartei nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Gremien seien "von einem hohen Durchschnittsalter und der Überzahl männlicher Aktiver geprägt". Es fehlt an Diversität - schlecht für eine Gruppe, welche die Gesellschaft in ihrer Breite vertreten will. Vor allem aber fehlt der Nachwuchs. Ein typisches Austrittsalter sei Mitte 30, schreibt die Stiftung. Neue Mitglieder seien im Durchschnitt mehr als 50 Jahre alt.

Zudem kann die Bewegung nicht mehr mobilisieren, sie fällt öffentlich kaum noch auf. Demonstrationen wie die gegen die Münchner Sicherheitskonferenz oder gegen den G-20-Gipfel in Hamburg wurden nicht von Attac initiiert. Bei Kundgebungen sind nur noch vereinzelt orangefarbene Fahnen zu sehen. Attac ist out. Darauf deutet alles hin. Junge Menschen engagieren sich zwar immer noch politisch, aber offenbar anderswo. Sie helfen Geflüchteten oder Obdachlosen. Sie unterschreiben Online-Petitionen und Volksbegehren. Sie gehen auf die Straße, etwa gegen das Polizeiaufgabengesetz, Artensterben und Klimawandel. Wer sich darüber hinaus engagieren will, schließt sich eher den Organisatoren dieser Demos an.

Zu denen gehören oft die Grünen, die ähnlich wie Attac ausgerichtet sind. Den anderen Parteien dagegen geht es nicht gut: Die SPD schrumpft, die Mitgliederzahl der Linken stagniert. Sie leiden unter ähnlichen Problemen wie Attac. Junge Menschen seien nicht mehr an Parteien interessiert, sondern eher an Bewegungen, heißt es oft. Das muss nicht stimmen: Die Grünen wachsen, Attac tut das nicht.

Viel Protest hat sich inzwischen ins Internet verlagert, wo Attac weniger präsent ist als andere Organisationen. Attac Deutschland hat auf Twitter knapp 65 000 Follower. Greenpeace folgen 415 000 Nutzer, Amnesty Deutschland 209 000. Je weniger Menschen den Eindruck haben, dass Attac noch relevant ist, desto weniger treten bei. Und je weniger Mitglieder Attac hat, desto irrelevanter wird die Gruppe. Ob Attac sich aus diesem Teufelskreis befreien und wieder in Schwung kommen wird? Das Urteil des Bundesfinanzhofs spricht eher dagegen.

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