Razzia bei der Nordischen Ski-WM:Doping made in Germany

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Razzia in Seefeld: Immerhin, und das ist die gute Nachricht: Die Arbeit der Doping-Kontrolleure ist erfolgreich. (Foto: dpa)

Der Betrug im Sport ist keine "Charakterfrage", wie oft behauptet wird, sondern ein Systemzwang. Gerade die Deutschen müssten es wissen.

Kommentar von Claudio Catuogno

Im Hauptberuf Arzt, im Nebenjob Tankwart. Das ist also immer noch ein gängiges Erwerbsmodell im Hochleistungssport. Mediziner behandeln in ihrer Praxis Bluthochdruck und schienen Gelenke - und wenn dann irgendwo Weltmeisterschaft ist, gehen sie mit der Bluttankstelle auf Reisen, wie jetzt gerade bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld. Als am Mittwoch die Ermittler des österreichischen Bundeskriminalamts anrückten zur groß angelegten Dopingrazzia, hatte ein Langläufer noch die Nadel in der Vene.

Operation Aderlass, so heißt die zwischen deutschen und österreichischen Behörden koordinierte Polizeiaktion. Die Praxis des Dopings mit Eigenblut zeigt den Grad der Perversion, den der moderne Spitzensport erreicht hat: abzapfen, kühlen und vor dem Wettkampf, wenn der Körper den Aderlass wieder ausgeglichen hat, aus dem Beutel zurücklaufen lassen in den Blutkreislauf. Wodurch dann mehr Blutkörperchen mehr Sauerstoff transportieren können, wenn es für den Athleten, etwa in der Loipe, in die körperlichen Grenzbereiche geht. Kein Dopingtest kann Eigenblutdoping enttarnen. Aber im Wettkampf bringt die Methode jene Prozent mehr Leistung, die über Sieg und Niederlage entscheiden.

SZ PlusLangläufer Johannes Dürr
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Ist es wirklich glaubwürdig, dass Doping eine "Charakterfrage" sein soll, wie es der deutsche Langlauf-Bundestrainer Peter Schlickenrieder gerade genannt hat? Dass einem Athleten, der sich für den Gang an die Bluttankstelle entscheidet, bloß der moralische Kompass fehlt, wogegen, so Schlickenrieder, "Gespräche" helfen können? Nein, das ist nicht glaubwürdig. Es ist eher so, wie es der österreichische Langläufer Johannes Dürr kürzlich geschildert hat, aus eigenem Erleben: dass Doping, zumindest in einigen Sportarten, ein Systemzwang ist. Dass man als Berufssportler, die Medaillenziele des Verbandes ebenso im Nacken wie die eigenen Ambitionen, irgendwann vor der Frage steht: aufhören oder mitmachen?

Die mutmaßlichen Köpfe agieren von Deutschland aus

Diverse Studien, die Aussagen von Brancheninsidern und Kronzeugen sowie nicht zuletzt der gesunde Menschenverstand legen nahe: Doping ist im System des modernen Spitzensports angelegt. Aber die Sportvertreter, allen voran die deutschen, erzählen weiter die Geschichte vom dopenden Athleten als charakterschwachem Einzeltäter. Sie müssten es besser wissen, gerade die Deutschen.

Jene Langläufer, die am Mittwoch in Seefeld verhaftet wurden, waren zwar Österreicher und Osteuropäer, aber die mutmaßlichen Köpfe eines "weltweit agierenden Dopingnetzwerks", wie das österreichische BKA die Hauptverdächtigen nennt, agieren von Deutschland aus. Der mutmaßliche Drahtzieher, der Erfurter Sportmediziner Mark Schmidt, ist sogar ein alter Bekannter. Schon als Arzt des Radteams Gerolsteiner war er einst mit Dopingvorwürfen konfrontiert. Die Sache verlief im Sande. Jetzt wird ihm "gewerbsmäßiger Sportbetrug" vorgeworfen.

Haben Ärzte, auch Sportärzte, nicht eine Standesehre geschworen? Sollen sie nicht heilen, Schmerzen nehmen? Was man oft vorschnell den Sportlern unterstellt, die zu dem Schluss kommen, ohne Doping gehe es nicht - ihren Lieferanten von der Bluttankstelle muss man es wohl unterstellen: charakterliche Defizite. Die Geschichte des Dopings made in Germany ist voll von Medizinern, die es als Teil ihrer Berufung verstanden haben, den sportlichen Ruhm des Vaterlandes zu mehren - und das eigene Einkommen gleich mit. Während die DDR-Athleten per Staatsplan mit Anabolika beschleunigt wurden, ließ der westdeutsche Spitzensport sich an der Universität Freiburg versorgen, nach Aktenlage zumindest mit Billigung von Politik und Verbänden. Und nach der Wiedervereinigung ging es weiter. Die Rad-Heroen vom Team Telekom bekamen ihre Blutbeutel ebenfalls von Freiburger Sportmedizinern. Die Mentalität lebt fort - bis der Staatsanwalt kommt.

Erfolgreiche Razzien sind die einzig gute Nachricht

Wenigstens das ist eine gute Nachricht nach den Razzien in Seefeld und Erfurt: Wenn schon das sporteigene Anti-Doping-System den systematischen Betrug nicht offenlegt, so werden zumindest die Strafermittlungen immer effizienter. Neun Festnahmen, 16 Hausdurchsuchungen gab es in Österreich und Deutschland. Es ist den vielen Dopingskandalen der vergangenen Jahre geschuldet, dass es nun auch im deutschen Recht Straftatbestände gibt, die solche Maßnahmen möglich machen, und die es zum Beispiel erlauben, Telefone abzuhören.

Die Sportverbände haben strenge Anti-Doping-Gesetze bis zuletzt verhindern wollen - allen voran der heutige Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, der sich einst noch in der Nacht vor der Abstimmung im Bundestag gegen Anti-Doping-Paragrafen im Strafgesetz wehrte. Bloß keine Sportler in Handschellen, war das Kalkül. In Wahrheit ist es nicht die "Operation Aderlass", die jetzt einen Schatten auf die Ski-Weltmeisterschaft wirft. Die Razzien sind der Lichtblick. Für die Schatten ist der Sport ganz allein verantwortlich.

© SZ vom 28.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Von Thomas Kistner, Seefeld, und Johannes Knuth

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