Staatliche Hilfe:Europa muss mehr Industriepolitik wagen

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Kanzlerin Merkel (CDU) forderte am Dienstag im Haus der Deutschen Wirtschaft eine grundlegende Neuordnung der Industriepolitik.

(Foto: dpa)

Immer mehr Unternehmen und Politiker machen sich dafür stark. Zu Recht. Denn nur so können europäische Firmen global konkurrieren.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Wenn sich die Welt so rasch wandelt wie derzeit, kann nicht alles beim Alten bleiben. Dieser Überzeugung folgen gerade eine Reihe deutscher Unternehmen und Politiker. Sie sprechen sich für Industriepolitik aus, obwohl man das von ihnen nicht unbedingt erwartet hätte. Der Versicherer Allianz gehört dazu, der Mittelständler Voith - und nun die Kanzlerin, die sich für eine europäische Strategie starkmacht. Tatsächlich wird es Zeit, damit aufzuhören, jede Industriepolitik reflexartig zu verdammen. Deutschland klammert sich an Dogmen fest, über die wirtschaftliche Kraftzentren wie China oder die Vereinigten Staaten lachend hinweggehen.

Es mag ja sein, dass keiner den Staat braucht auf perfekten Märkten, auf denen eine große Zahl von Firmen unter gleichen Rahmenbedingungen konkurrieren. Die wirtschaftliche Realität sieht allerdings häufig anders aus, wie etwa der Berliner Ökonom Sebastian Dullien nachweist. Da erringen Unternehmen einen Vorsprung, den sie sich nicht mehr nehmen lassen - in dem sie kleine Rivalen aufkaufen. Oder die spezifische Technologie eines Produktes begünstigt, dass ein Monopol entsteht. Gerade in den neuen Digitalbranchen dominieren einzelne Firmen wie Facebook, Microsoft oder Google. Da lohnt sich das Nachdenken, was der Staat tun kann, um mit europäischen Unternehmen etwas dagegenzusetzen. Und so mehr Wettbewerb zu schaffen.

Abwarten ist keine Lösung

Was Europa nicht wagt, tun andere im gigantischen Maßstab. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt steckt viel Geld in den Plan "China 2025". Mit reichlich Hilfe sollen heimische Firmen Weltmarktführer werden, von der Elektromobilität über künstliche Intelligenz bis zu neuen Werkstoffen und Medizin. Wer dann noch weiß, dass ausländische Firmen in China nicht so frei agieren dürfen, wie es Chinas Unternehmen in Europa beanspruchen, der versteht: Abwarten ist keine Lösung.

Aber was genau tun? "Wir brauchen europäische Champions, die sich auf dem Weltmarkt gegen die riesigen Wettbewerber aus den Vereinigten Staaten und China behaupten können", heißt es beim Maschinenbauer Voith. Bei Siemens oder der Allianz klingt es ähnlich. Hinter den wohlklingenden Sätzen verbirgt sich eine gewisse Ratlosigkeit, wie genau erfolgreiche Industriepolitik denn nun auszusehen hätte. Diese Leere erklärt sich daraus, dass gerade deutsche Ökonomen bisher dafür keine Konzepte entwickeln, sondern den reinen Glauben an den Markt predigen.

Aber diese Position ist überholt. Es war nicht der Staat, sondern der von allen Fesseln befreite Markt spekulierender Banken, der mit der Finanzkrise die größte Wertevernichtung der jüngeren Geschichte produzierte. Und umgekehrt gibt es (neben den Pleiten) durchaus Erfolgsbeispiele staatlicher Industriepolitik. Dazu gehört Airbus, dem Desaster des Riesenvogels A380 zum Trotz: Ohne die Starthilfe durch Europas Regierungen wäre es bei der Dominanz von Boeing geblieben - und Tausende Jobs in Europa wären nie entstanden. Zu den Erfolgen zählt auch, dass Südkoreas Regierung gegen den Rat der Weltbank nationale Champions bei Stahl, Werften oder Elektro förderte, woraus Weltkonzerne wie Samsung entstanden.

Von Planwirtschaft kann nicht die Rede sein

Für Europa gilt es nun, das Werkzeug zu entwickeln, das in die Zeit passt. Es bleibt ja richtig, Forschung und Entwicklung zu fördern. Aber warum nicht besonders gezielt in bestimmten Bereichen, die man sich trauen darf, Schlüsselbranchen zu nennen? Weil so eine Förderung danebenliegen kann? Das passiert Privatinvestoren auch. Und es liegt doch auf der Hand, dass bestimmte Bereiche wichtig werden. Soll Deutschland beim Mobilfunkstandard 5G wirklich vom chinesischen Netzwerkausrüster Huawei abhängig sein? Sollen nur asiatische Firmen Batteriezellen bauen, die für Elektroautos so zentral sind?

Wer das erwägt, kann dann noch einen Schritt weitergehen. Und überlegen, ob das europäische Wettbewerbsrecht global genug orientiert ist - und eine Fusion der Zugsparten von Siemens und Alstom als Gegengewicht zum doppelt so großen chinesischen Weltmarktführer CRRC nicht doch sinnvoll wäre. Oder, ob sich deutsche Unternehmen in einer Branche mit außereuropäischen Fast-Monopolisten eine Weile schützen lassen, bis sie stark genug für den Wettbewerb sind.

Man mag am Industrie-Papier von Wirtschaftsminister Peter Altmaier im Detail manches unsinnig finden. Doch er stößt die richtige Debatte an. Damit beschäftigt sich nun Ende März ein EU-Gipfel. Das ist kein Zeichen von Planwirtschaft, sondern bezeugt, dass Europa den Wandel in der Welt ernst nimmt.

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