Geschichte:Wo Hitler Wirtschaft lernte

Das "Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft" lieferte ihm wichtige Argumente.

Von Nikolaus Piper

Es war im Frühjahr 1919, in den Wochen nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik. Damals richtete die Bayerische Reichswehr einen eigenen Nachrichtendienst ein, die Abteilung Ib/P. Deren Aufgabe war es unter anderem, Spitzel in die verschiedenen politischen Grüppchen Münchens einzuschleusen. Und zu dem Zweck mussten die angehenden Spitzel geschult werden. An einer dieser Schulungen im Sommer 1919 nahm auch ein arbeitsloser Obergefreiter namens Adolf Hitler teil. Vortragender war der Diplom-Ingenieur Gottfried Feder, der wenige Monate zuvor ein Pamphlet unter dem Titel "Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft des Geldes" veröffentlicht hatte.

Über die Begegnung schrieb Hitler später in "Mein Kampf": "Nachdem ich den ersten Vortrag Feders angehört hatte, zuckte mir auch sofort der Gedanke durch den Kopf, nun den Weg zu einer der wesentlichsten Voraussetzungen zur Gründung einer neuen Partei gefunden zu haben." Der Historiker David Clay Large ("Hitlers München") bezweifelt, dass Hitler damals bereits an eine Parteigründung gedacht hat. Unbestreitbar ist, dass Feder dem späteren "Führer" von unschätzbarem Wert war: Er lieferte ihm eine antisemitisch durchwirkte Pseudo-Wirtschaftstheorie, die sich für Propagandazwecke hervorragend eignete.

Feder war ökonomischer Autodidakt, viele seiner Behauptungen waren grober Unfug. Aus Sicht eines Demagogen hatte das Manifest jedoch den großen Vorteil, dass es scharf zwischen Gut und Böse unterschied. Gut war das normale Industriekapital und die "schaffende Arbeit", böse das Finanzkapital, hinter denen Feder "geheime übergewaltige Geldmächte" vermutete. "Die großen Geldgewaltigen stecken doch als letzte treibende Kraft hinter dem weltumspannenden anglo-amerikanischen Imperialismus, nichts anderes," heißt es im "Manifest". Die "Geldgewaltigen" bilden eine "goldene Internationale", worunter antisemitische Kapitalismusgegner schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine jüdische Weltverschwörung verstanden.

Siegesparade des 'Freikorps Görlitz' in München, 1919

Nach der Niederschlagung der Räterepublik 1919: Soldaten des „Freikorps Görlitz“ bei der Siegesparade am Münchner Odeonsplatz.

(Foto: Scherl/SZ Photo)

Eine zentrale Rolle spielt in dem Manifest der Name Rothschild. Feder schreibt nicht über die realen Unternehmen, die damals den Namen Rothschild trugen, über deren Gewinne oder Vermögen, sondern über ein Fantasiegebilde. Das Vermögen des "Hauses Rothschild" werde auf 40 Milliarden Mark geschätzt. Dank Zins und Zinseszins werde dieses Vermögen 1965 das gesamte deutsche "Nationalvermögen" bei Weitem übersteigen. Das alles hatte mit der Realität nichts zu tun. (Tatsächlich halbierte sich zum Beispiel das Kapital der Bank N. M. Rothschild & Sons, im Besitz des Londoner Zweigs der Familie, während des Ersten Weltkrieges auf 3,6 Millionen Pfund.) Um zu seinen dramatischen Ergebnissen zu gelangen, verwendete Feder einfach die abstrakte Zinseszinsformel. Und wenn man zu einer Bestandsgröße jedes Jahr einen festen Prozentsatz hinzufügt, dann wächst diese Größe - sei es nun eine Menge Menschen oder eben Geld - exponentiell. Darauf eine Verschwörungstheorie aufzubauen, wirkt heute lächerlich, in einer nach dem verlorenen Krieg zutiefst verunsicherten Nation aber konnten Feders Theorien ihre fatale Wirkung entfalten.

"Der Leihzins ist das teuflische Prinzip, aus dem die goldene Internationale geboren ist", schreibt Feder. Nötig sei die "Brechung der Zinsknechtschaft", oder, in normalem Deutsch: die Abschaffung des Zinses und aller zinsbringenden Produkte, festverzinslicher Anleihen etwa und Hypothekarkredite. Am Beispiel des bayerischen Haushalts versucht Feder in einer abenteuerlichen Rechnung nachzuweisen, dass der Staat nach Abschaffung des Zinses keine direkten oder indirekten Steuern mehr erheben müsste, sondern seine Ausgaben durch den Ertrag seiner Gewerbebetriebe decken könnte. Im Übrigen hatte Feders Manifest eine deutlich sozialistische Note. Er forderte nicht nur eine "allgemeine stark gestaffelte Vermögenseinziehung", sondern auch die Verstaatlichung der Banken.

Nun gab es mit der Forderung nach einem Zinsverbot ein sehr praktisches Problem. Der Haushalt des Deutschen Reiches war nach dem Ende eines mörderischen und teuren Krieges hoch verschuldet. Gläubiger aber war kein Rothschild, es waren Hunderttausende normale Angestellte, Beamte, Handwerker und Arbeiter, die zwischen 1914 und 1918 in gutem Glauben und aus Patriotismus Kriegsanleihen im Gesamtwert von 98 Milliarden Mark gezeichnet hatten. Ihnen war ein Zins von fünf Prozent versprochen worden. Die "Brechung der Zinsknechtschaft" hätte also die Enteignung dieser Menschen bedeutet, auf deren Zustimmung die Rechtsextremen ja bauten.

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Feders Lösung bestand in der Umwandlung von Kriegsanleihen in gesetzliche Zahlungsmittel, eine ungewöhnliche Form der Monetarisierung von Staatsschuld und ein sicheres Rezept für mehr Inflation. Das relativiert sich allerdings in der Rückschau. Deutschland produzierte bis 1923 auch ohne Feders Hilfe eine der bis dahin schlimmsten Hyperinflationen der Weltgeschichte.

Nach Veröffentlichung seines Manifests blieb Feder aktiv in der Münchner völkischen Szene. Er zog sich aus seiner Position als Teilhaber einer Münchner Baufirma zurück und arbeitete als Autor in Murnau am Staffelsee. So trat er etwa als Redner beim "Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbund" auf und schrieb für die rechtsextreme Wochenschrift Auf Deutsch.

Vor allem aber war Feder ein frühes Mitglied der NSDAP, ein Nazi der ersten Stunde und so etwas wie der finanz- und wirtschaftspolitische Sprecher der Partei. Im "25-Punkte-Programm" der NSDAP, das Hitler am 24. Februar 1920 im Hofbräuhaus verkündete, steht an prominenter Stelle die Forderung nach "Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens" und der "Brechung der Zinsknechtschaft". Während Hitlers gescheitertem Putsch am 9. November 1923 trat Feder als Agitator der Partei in der Münchner Innenstadt auf.

Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 blieb Feder in der NSDAP wichtig, hatte aber keine führende Position mehr inne. Er wurde Staatssekretär im Reichsministerium für Wirtschaft, aber bereits 1934 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Danach nahm er Lehraufträge an mehreren Universitäten und an der von den Nazis gegründeten "Akademie für deutsches Recht" wahr. Feder starb 1941 mit 58 Jahren in Murnau.

Feders Wirtschaftsprogramm wurde nie verwirklicht, sein Antisemitismus diente aber der völkischen Propaganda der Nationalsozialisten als Vorlage. Umso wichtiger ist die Frage, ob nicht doch einige seiner Obsessionen das Ende der NS-Diktatur überlebt haben.

Gottfried Feder

"Die großen Geldgewaltigen stecken doch als letzte treibende Kraft hinter dem weltumspannenden anglo-amerikanischen Imperialismus, nichts anderes."

Da ist zum einen die Sache mit Silvio Gesell. Der deutsch-argentinische Geschäftsmann und Sozialreformer forderte ebenfalls die Abschaffung des Zinses und die Einführung von "Freigeld". Heutige Experimente mit Regionalgeld wie der "Chiemgauer" oder der "Donautaler" gehen auf Gesell zurück. Dieser lebte 1919 in Bayern und war Finanzminister der Münchner Räterepublik. In der Folge traten Gesell und Feder gemeinsam auf Veranstaltungen rechter Organisationen auf. Der Schriftsteller Carl Amery schrieb 1980 daher, Feder sei von den Ideen Gesells "beseelt" gewesen, sehr zum Ärger vieler Grüner, wo es traditionell etliche Anhänger Gesells gibt. Der Streit um Gesell und Feder ist nie entschieden worden. Er zeigt aber immerhin, dass einige antikapitalistische Ideen nicht so unschuldig sind, wie sie tun.

Schließlich hat Gottfried Feder die Begriffe "Mammon" und "Mammonismus" popularisiert und vulgarisiert. Mammonismus seien zum einen "die internationalen übergewaltigen Geldmächte", es sei zum anderen "die unersättliche Erwerbsgier, die rein aufs Diesseitige gerichtete Lebensauffassung"; der Erste Weltkrieg war, so Feder, eine Entscheidungsschlacht zwischen der "mammonistisch-materialistischen Weltanschauung" (des Westens) und des "sozialistisch-aristokratischen" Deutschlands gewesen.

Auch heute ist wieder viel von "Mammon" im Zusammenhang mit Kapitalismuskritik die Rede. Der Begriff leitet sich aus dem Matthäus-Evangelium ab, demzufolge Jesus sagt: "Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon", wobei "Mammon" das aus dem Aramäischen abgeleitete Wort für "Vermögen" ist. Heute deutet etwa der französische Rechtsintellektuelle Alain de Benoïst seinen Antikapitalismus als Kampf gegen den Mammonismus. Viele Linke gehen, wenn man es vorsichtig formuliert, gedankenlos mit dem Begriff um. Bei den Protesten gegen den Bahnhof Stuttgart 21 setzte ein Pfarrer den Neoliberalismus rundheraus mit Mammon gleich. Und der evangelische Theologe Ulrich Duchrow schrieb in seinem Buch "Gieriges Geld": "Der zentrale Bezugspunkt (im Gespräch mit anderen Religionen) ist der Gegensatz zwischen Gott und dem Mammon, dem Götzen der Akkumulation, der seit der Antike die Gesellschaften regiert, aber in der westlich-kapitalistischen Welt zur scheinbar absoluten Herrschaft gekommen ist."

Wegen solcher Sätze ist es gelegentlich gut, auch heute noch Feders Manifest zu lesen.

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