Computerspiele:"Wir können das Erzählen in Games nicht allein den Gamern überlassen"

Spielemesse Gamescom

Games sind inzwischen ein Massenmedium. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel 2017 die Messe Gamescom eröffnete, bezeichnete sie Computerspiele als Kulturgut.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Das Literaturarchiv Marbach will künftig Computerspiele sammeln. Dessen Leiterin ist überzeugt, dass davon beide profitieren: Games und Literatur.

Interview von Philipp Bovermann

Die Literaturwissenschaftlerin Sandra Richter ist seit Beginn des Jahres Direktorin des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Eine erste Amtshandlung war die Ankündigung, das Archiv wolle sich künftig für Computerspiele öffnen.

SZ: Frau Richter, inwiefern sind Computerspiele Literatur?

Richter: Es gab da einen Autor namens Friedrich Schiller. Von ihm stammt der Satz, der Mensch sei nur dort ganz Mensch, wo er spielt. Der Satz steht in Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen. Schiller sah die Produktion von Literatur als etwas Spielerisches und das Spiel als etwas, bei dem Mensch zu sich kommt und vollständig wird. Darauf besinnen wir uns. Auf die Frage: Was sind eigentlich Spiele?

Aber warum fühlt sich zu deren Klärung ein Literaturarchiv berufen? Und nicht zum Beispiel ein Museum für Medienkunst?

In der Literaturwissenschaft wird seit bald 20 Jahren über das Phänomen Computerspiele diskutiert. Daraus hat sich eine eigene Disziplin gebildet, die Ludologie. Die Frage, was Computerspiele sind, können wir trotzdem nicht allein beantworten. Sondern in Auseinandersetzung und Kooperation mit anderen Einrichtungen. Also etwa mit Filmarchiven oder Einrichtungen aus dem Bereich der Bildenden Kunst. Mit deren jeweiliger Perspektive allein bekäme man Computerspiele aber nicht so sehr als Sprach- und Textkunstwerke in den Blick.

Neue Leiterin des Marbacher Literaturarchivs

Sandra Richter lehrte in Stuttgart Neuere Deutsche Literatur, bis sie zum Jahreswechsel das Deutsche Literaturarchiv Marbach übernahm. Es gilt als die wichtigste Institution der Germanistik.

(Foto: Fabian Sommer/dpa)

Sind Computerspiele das denn, Sprach- und Textkunstwerke?

Schauen Sie sich zum Beispiel "Dear Esther" an. Darin werden von einem Erzähler Brieffragmente vorgelesen, unterbrochen von Tagebucheinträgen, während der Spieler eine Insel erkundet. Es geht also nicht um Levels und sportlichen Wettkampf. Sondern um ein Storytelling-Experiment.

Wie würde eine Kooperation mit anderen Institutionen aussehen?

Zunächst mal wäre die Frage zu klären: Wie geht das, Computerspiele sammeln? Die wurde bisher noch gar nicht gestellt. Es gibt zwar in Berlin ein Computerspielemuseum, das bestimmte Video- und Computerspiele in ihren unterschiedlichen historischen Formen zugänglich macht. Aber das ist eben ein Museum und kein Archiv. Dabei übersteigt die Zahl der Computerspieler in den USA bereits die Zahl der Kinogänger.

Alte Spiele funktionieren auf modernen Computern oft gar nicht mehr. Würde das Literaturarchiv dann auch für jeden Titel die entsprechende Computerhardware oder Konsole kaufen?

Das wäre eine Frage, die man innerhalb einer Kooperation von Institutionen besprechen könnte. Es müssen ja nicht alle alles vorrätig haben. Es gibt aber auch schon Nachlässe, die die Hardware gleich mitliefern. Der des Literaturwissenschaftlers und Medientheoretikers Friedrich Kittler zum Beispiel. Darin finden Sie die verschiedenen Stadien des Computers, von der Gegenwart bis zur Schreibmaschine. Das Literaturarchiv Marbach hat in dem Bereich schon eine große Kompetenz aufgebaut. Wir stehen ja auch vor dem Problem, dass Texte heute nicht mehr in Form von Manuskripten entstehen, sondern auf dem Computer geschrieben werden. Was früher die Briefwechsel waren, sind heute Emails, Twitteraccounts und so weiter.

Wer würde darüber entscheiden, welche Spiele in das Archiv aufgenommen werden?

Das wäre zu lösen wie alles im Archiv: Kollektiv im Team. Es gibt da nicht die eine autoritative Entscheidung. Im Notfall bin ich das natürlich. Aber zunächst diskutieren wir, auf Grundlage eines zu entwickelnden Kriterienkatalogs.

Das heißt, Ihre Mitarbeiter müssten dann auch Computerspiele spielen?

Ich gehe mal davon aus, dass sie das bereits tun.

Aber vermutlich werden sie nicht alle Erfahrung mit Computerspielen haben?

Es gibt unterschiedliche Abteilungen im Archiv. Die Abteilung IT und Entwicklung hat in dem Bereich natürlich Expertise. Aber das gilt auch für die Abteilung Bibliothek. Schon allein, weil sie sich mit Netzliteratur und unterschiedlichen Medien befasst.

Wann haben Sie selbst angefangen zu spielen?

Im Grunde begann meine Lektüreerfahrung gleichzeitig mit dem Computerspielen, als ich etwa zehn Jahre alt war. Ich habe Thomas Manns "Buddenbrooks" gelesen und bei einem älteren Cousin auf dem Atari und dem Commodore gespielt. Ich fand Pacman großartig. Das ist ja so eine Art zeichenfressende Maschine. Auch sehr literarisch aufgeladen. Es gibt zahlreiche literaturwissenschaftliche Beiträge dazu.

Welche Titel haben Sie in letzter Zeit gespielt?

Ich habe mich, als ich älter wurde, auf die Literatur konzentriert und eher sporadisch bei Bekannten gespielt. Ausführlicher angeschaut habe ich mir dann das erwähnte "Dear Esther". Das war die Initialzündung. Das Computerspiel, das auf Ken Folletts "Säulen der Erde" basiert, würde ich gern mal spielen. Oder "Memoranda", das mit Erzählsträngen aus Haruki Murakami-Romanen arbeitet. Um zu gucken, was da von der Literatur übrig bleibt.

Glauben Sie, es wird das Erzählen in Games verändern, wenn ihnen der Status von Literatur zuerkannt wird?

Gamedesigner müssen sich in ihrem Studium bereits mit Narratologie beschäftigen. Sie müssen wissen: Wie lenke ich die Perspektive, wie baue ich Figuren auf? Meistens sind die ziemlich schlicht. Deshalb müssen wir, die Öffentlichkeit, sagen: Wir wollen aus diesen Spielen etwas lernen und uns beim Spielen reflektieren, so wie Schiller sich das vorgestellt hat. Wir wollen Spiele "lesen" können. Wenn wir das tun, dann kann die Spieleszene davon nur profitieren. Bundeskanzlerin Merkel hat versprochen, die Branche mit hohen Beträgen fördern zu wollen. Daher dürfen wir das Erzählen in Games nicht allein den Gamern überlassen.

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