Blutbeutel aus Erfurt:Der Sport muss gegen das Doping-System aufstehen

Nordische Ski-WM Seefeld

Der Doping-Verdacht läuft beim Langlauf immer mit.

(Foto: dpa)

Der Fall um das Blutdoping im nordischen Skisport zeigt, wie schwer Aufklärung gegen einen Apparat an Betrügern ist. Ärzte, Dopingfahnder, Akademiker und Athleten sollten aufhören, sich missbrauchen zu lassen.

Kommentar von Thomas Kistner

Tick. Tick. Tick. Der Wintersport hat ein Problem, und vermutlich nicht nur er. Dutzende praller Blutbeutel liegen zur polizeilichen Identifizierung bereit: Bald platzt etwas.

Die Uhr tickt. Strafbehörden in Deutschland und Österreich haben ein Doping-Netzwerk ausgehoben, das seit Jahren von Deutschland aus Sportbetrüger in aller Welt betreute. Bei Razzien in Thüringen und Tirol fielen Ermittlern Beweismittel in die Hände, von denen sie sonst nur träumen: der blutige Treibstoff des Medaillenbetriebs. Das dürfte einer stattlichen Anzahl Athleten den Schlaf rauben; es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Besitzer dieser Blutbeutel verifiziert sind.

Kernerkenntnis der Affäre: Alles ist, wie es stets war. Und so schürt der Sport jetzt mit seinen Abwehrreflexen, mit den angeblichen Wissensdefiziten über die Zustände im eigenen Betrieb zunehmend das, wovor er die größte Angst hat: den Generalverdacht. Wem ist zu glauben, wenn immerzu Moralapostel auffliegen?

Ja, die Athleten sind das schwächste Glied in der Betrugskette. Sie haben den Systemzwang Doping nicht zu verantworten. Zu erwarten ist von ihnen künftig aber etwas anderes: Dass sie geständige Kollegen, die durch die Hölle gingen, nicht als Nestbeschmutzer verteufeln, wenn diese detailliert ein verrottetes System aufzeigen. So war's im Radsport, so ist es im Wintersport, wo die Helden von gestern als Kommentatoren bezahlt werden, um eine angeblich heile Welt zu besingen. Im Fußball wäre es nicht anders.

Klar auch: Nichts ist zu erwarten von den direkten Nutznießern dieses Systems. Von Funktionären, die extreme Anforderungen setzen und dann scheinheilig das beklagen, was sie selbst heraufbeschworen haben. Oder von Trainern, deren Berufsexistenzen an den Erfolgen ihrer Sportler hängen. Schon gar nichts ist zu erwarten von ärztlichen Drahtziehern, denen, wenn alles klappt, ein schwarz erworbener Millionenverdienst winkt.

Auf Distanz gehen muss jetzt endlich ein anderer Personalbereich: das wissenschaftliche Umfeld. Wofür benötigt man Leistungsdiagnostiker, wenn sie auffällige Leistungssprünge, die bei Dopern naturgemäß vorliegen, fehlinterpretieren?

Und was ist mit den Dopingfahndern? Müssten Fachakademiker nicht spätestens nach einigen Jahren erkennen, dass sie von einem System nur benutzt werden? Der Sport degradiert die Labore zu Messknechten, mit deren limitierter Expertise (Praktiken wie Blutdoping sind kaum nachweisbar) er dem zahlenden Publikum vorgaukelt, dass alles sauber sei.

Es wird Zeit, den akademischen Begleittross der Traumfabrik Sport in Mithaftung zu nehmen. Denn er gibt sich so naiv wie die Athleten: Viele wissen, fast jeder spürt, was los ist - den Aufschrei gibt es aber nicht. Wer kennt noch Perikles Simon? Der Mainzer Sportarzt hatte mit einer Forschergruppe eine Doping-Dunkelziffer von über 40 Prozent im Weltsport ermittelt. Klar: Die Expertise blockierte der Sport sofort. Simon stieg 2017 aus.

Wie Hörmann und Schröcksnadel die Affäre beschönigen

Die ganze Liederlichkeit dieser organisierten Sportfamilie zeigt sich gerade eindrucksvoll am deutsch-österreichischen Wettstreit der Schönfärber. Alfons Hörmann, Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes, hat zur Bluttankstelle Erfurt behauptet, dort sei kein deutscher Kaderathlet zugange gewesen. Der Landesverband Thüringen widersprach postwendend: Allein 2018 wurden dort 75 D-Kaderathleten betreut. Zugleich kreischt Hörmanns Bruder in Amt und Geiste, der österreichische Skisport-Allmächtige Peter Schröcksnadel, in Richtung Deutschland: "Dort ist die Zentrale, aber auf die Österreicher wird jetzt hingehaut!"

So sehen moderne Sportführer, so sehen heute Verantwortlichkeit und Kompetenz aus. Und so wird es bleiben, solange alle brav mitmachen. Tick. Tick. Tick.

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