DAK-Studie zu Computerspielsucht:Eine halbe Million Jugendliche sollen "Risiko-Gamer" sein

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Eine DAK-Studie warnt nun vor 465 000 minderjährigen Risiko-Gamern (Symbolbild).

(Foto: imago/Jochen Tack)
  • Rund 465 000 der Zwölf- bis 17-Jährigen sollen sogenannte Risiko-Gamer sein.
  • Das stellt eine Studie von DAK-Gesundheit und dem Deutschen Zentrum für Suchtfragen fest.
  • Die Betroffenen würden häufiger in der Schule fehlen und deutlich mehr Geld für Computerspiele ausgeben.
  • Wissenschaftler warnen jedoch davor, Alltagshandlungen vorschnell zu pathologisieren.

Von Caspar von Au

Sie fehlen häufiger in der Schule, haben mehr emotionale Probleme und geben deutlich mehr Geld als andere für Computerspiele aus: Fast jeder sechste minderjährige Computerspieler in Deutschland soll ein sogenannter Risiko-Gamer sein. Das stellt die Studie "Geld für Games - wenn Computerspiel zum Glücksspiel wird" von DAK-Gesundheit und dem Deutschen Zentrum für Suchtfragen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) fest.

Demnach zeigten 15,4 Prozent der befragten Jugendlichen, die angaben, regelmäßig Computer zu spielen, "riskantes oder pathologisches" Spielverhalten. Das entspricht nach den Berechnungen der Forscher rund 465 000 Risiko-Gamern - bei drei Millionen der Zwölf- bis 17-Jährigen, die regelmäßig spielen. Vier von fünf Betroffenen sind Jungen. 3,3 Prozent der Gamer erfüllten sogar die Kriterien einer Computerspielabhängigkeit, heißt es in der Studie.

Suchtexperte Montag: Computerspiele nicht vorschnell pathologisieren

Die Forscher haben telefonisch 1000 Jugendliche zu ihrem Spielverhalten befragt und unter anderem neun Fragen nach dem US-amerikanischen Diagnosekatalog für psychische Störungen (DSM-5) gestellt. Etwa, ob der Spieler ständig ans Spielen denken muss, zum Beispiel in der Schule oder am Arbeitsplatz. Oder, ob ein Gamer Computerspiele einsetzt, um Probleme zu vergessen. Beantwortet der Befragte zwei oder mehr Kriterien positiv, gelte er als Risiko-Gamer, sagt Rainer Thomasius, Studienleiter und Suchtexperte am UKE. Computerspielabhängig sei er, wenn er mindestens fünf der Fragen mit Ja beantwortet.

Christian Montag, Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm, warnt jedoch vor einer Hysterie aufgrund der Ergebnisse. Er zweifelt daran, ob man bei zwei positiven Antworten aus dem Katalog des DSM-5 über ein Risikoverhalten sprechen kann. Die Zahlen der DAK-Studie klängen zwar plausibel, jedoch sei die Studie bisher nicht international publiziert worden.

Alltagshandlungen - wie Computerspielen - dürften nicht vorschnell pathologisiert werden, sagt Montag. Das befürchten auch andere Forscher im Feld, zum Beispiel der Kommunikationswissenschaftler Thorsten Quandt. Dem Psychologen Montag zufolge sei zwar eine Telefonbefragung ein probates Mittel, um einen ersten Anhaltspunkt über mögliche "Computerspielabhängigkeit" zu bekommen. Aber um im Einzelfall eine Diagnose zu treffen, müssten zusätzlich strukturierte Interviews mit einem Psychologen oder Psychiater geführt werden.

Computerspielsucht nur vorübergehende Phase in der Jugend?

Eine zentrale Frage für den Wissenschaftler lautet: Wo endet das Risiko und wo beginnt das Suchtverhalten? Montag plädiert daher für ein sogenanntes Kontinuum-Modell, bei dem nicht schwarz-weiß zwischen gefährdeten und nichtgefährdeten Gamern unterschieden wird.

Noch ist laut Montag unzureichend erforscht, ob Computerspielabhängigkeit nicht eher ein vorübergehendes Problem in einer Phase in der Jugend sei. "Man muss sich zudem bei der Diagnosestellung fragen: Ist der private und/oder berufliche Leidensdruck beziehungsweise die Beeinträchtigung durch das Computerspielen so groß", sagt Montag, "dass man sagt, es muss etwas gemacht werden?" Verzocke der Jugendliche etwa seinen Ausbildungsplatz, dann sicherlich ja. In anderen Fällen sei die Frage schwerer zu beantworten. Auch laut Quandt ist man von einem Konsens in der Forschung weit entfernt.

DAK fordert Verbot von Lootboxen

Einen zusätzlichen Fokus legt die DAK-Studie auf das Geld, das Jugendliche für Computerspiele ausgeben. Rund die Hälfte der befragten regelmäßigen Spieler kaufte in den sechs Monaten vor der Befragung Spiele oder digitale Inhalte in Spielen. Im Durchschnitt für 110 Euro und 65 Cent, die Streuung sei aber sehr groß, sagt Studienleiter Thomasius. Jeden dritte Euro gaben die Jugendlichen für "Fortnite" und "Fifa" aus - die beiden beliebtesten Spiele unter den befragten Jungs. Zu dem Geschäftsmodell beider Spiele gehören aber auch die umstrittenen Lootboxen, also virtuelle Kisten, die zufällig zugeteilte Gegenstände enthalten. Den Ergebnissen der Studie zufolge gaben sechs Prozent der Gamer an, ihr Geld am ehesten in Lootboxen zu investieren. Deutlich beliebter bei den Befragten sind virtuelle Verschönerungen, wie etwa die Jubeltänze in Fortnite, und In-Game-Währungen, die nur im Spiel gelten.

Aus Sicht der Forscher besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen Gaming-Sucht und Geldausgaben. Thomasius sagt: "Risiko-Gamer stecken zum Beispiel doppelt so viel Geld in Extras als unauffällige Spieler. Und je ausgeprägter das Spielverhalten ist, desto mehr Geld investieren sie in Spiele."

Nach Einschätzung des Deutschen Zentrums für Suchtfragen führten insbesondere die Lootboxen minderjährige Gamer "an die suchtgefährdenden Mechanismen des klassischen Glücksspiels" heran. Auch virtuelle Währungen intensivierten das Spielerlebnis und erschwerten einen Überblick der Ausgaben. Die DAK-Studie fordert daher ein Verbot von Glücksspielelementen und entsprechende Warnhinweise über Ausgaben und verbrachte Zeit in Computerspielen. Außerdem empfiehlt die Krankenkasse Eltern, ihre Kinder zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit Internet und Computerspielen anzuleiten.

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