EU-Reform:Warum Merkel Macron auf Distanz hält

Emmanuel Macron und Angela Merkel 2018 in Berlin

Merkel und Macron bei einem Pressetermin in Berlin

(Foto: AFP; Bearbeitung SZ)
  • Kanzlerin Merkel hat sich zurückhaltend über die EU-Reformpläne des französischen Präsidenten Macron geäußert.
  • Merkel hält die Vorschläge Macrons für den Auftakt seiner Wahlkampagne.
  • In Berlin hält man viele Ideen des französischen Präsidenten zudem für nicht umsetzbar.

Von Nico Fried, Berlin

Es sind nur zwei Sätze, aber einer davon verrät, wie Angela Merkel den europapolitischen Appell von Emmanuel Macron eingeordnet sehen will: Die Bundesregierung unterstütze "die engagierte Diskussion über die Ausrichtung der Europäischen Union", ließ die Kanzlerin am Dienstag ihren Sprecher ausrichten. Und: "Es ist wichtig, dass die proeuropäischen Kräfte vor der Europawahl ihre Konzeptionen vorstellen." Aus Merkels Sicht spricht hier also nicht in erster Linie der französische Staatspräsident, sondern der Anführer der Bewegung "En marche", der seinen Wahlkampf eröffnet.

Das deutsch-französische Verhältnis zeigt sich unter Merkel und Macron stets ambivalent. Einerseits haben beide jüngst den Aachener Vertrag zustandegebracht, mit dem die deutsch-französische Zusammenarbeit 56 Jahre nach dem historischen Élysée-Vertrag am 22. Januar bekräftigt wurde. Merkel und Macron pflegen einen intensiven Austausch. "Wenn ich mir ansehe, was wir in den letzten zwanzig Monaten erreicht haben, dann ist das sehr viel", so Macron erst in der vergangenen Woche bei einem Besuch Merkels in Paris. Und auch die Kanzlerin sprach von "gewaltigen Fortschritten" seit der Unterzeichnung des Aachener Vertrages.

Andererseits hat es zu dem einen gemeinsamen Aufschlag für Europa bisher nicht gereicht. Die Kanzlerin wusste auch vom jüngsten Papier des Präsidenten, abgestimmt mit ihr aber war es nicht. Macron prescht voran, und Merkel muss sich immer wieder den Vorwurf anhören, sie halte nicht Schritt mit dem Visionär in Paris, liefere keine eigenen Ideen und verzögere die Verständigung über wichtige Themen durch einen Mangel an Flexibilität und Kompromissbereitschaft.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz widersprach die Kanzlerin jüngst vehement diesem Eindruck. "Wir haben uns in vielen Fragen bewegt", beschied sie einen Fragesteller. Aber Deutschland und Frankreich alleine seien eben nicht ganz Europa. Es müsse immer auch mit dem Rest der Union gesprochen werden. "Wenn Deutschland und Frankreich irgendwas gemeinsam machen und anschließend sagen 20 Länder, das machen wir aber nicht mit, dann sagen Sie auch, wir haben versagt."

Es liegt deshalb nahe, dass auch Macrons neue Vorschläge für eine Reform der EU in Berlin durch die Lupe der Realitätstauglichkeit gelesen werden. Manches würde Merkel sofort unterschreiben, wie zum Beispiel in der Migrationspolitik den Dualismus aus Verantwortung für strenge Kontrollen der Außengrenzen einerseits sowie der Solidarität unter den Mitgliedsstaaten andererseits. Auch eine Anpassung der Regeln für die Anerkennung von Asylbewerbern wünscht man sich in Berlin schon länger. Aus den Erfahrungen des erfolglosen Ringens um eine gemeinsame Flüchtlingspolitik der EU ist der Optimismus in Berlin allerdings gering, dass gleich der Aufbau einer europäischen Asylbehörde zu schaffen wäre, der sich die Nationalstaaten unterordnen, wie es Macron vorschlägt.

An den Plänen für eine gemeinsame Digitalsteuer beißen sich beide Seiten die Zähne aus

Auch seine Gedanken zur europäischen Sicherheitspolitik teilt man in Berlin im Grundsatz. Schwieriger wird es schon bei der konkreten Erhöhung der Verteidigungsausgaben, ganz zu schweigen vom aktuellen Streit um die Rüstungsexportpolitik - auch wenn Macron bei beiden Themen weniger mit Widerstand Merkels zu kämpfen hat als mit dem ihres Koalitionspartners SPD.

"L'Europe, qui protège", ein Europa das schützt, Macrons Anspruch seit seinem Amtsantritt, begegnet man im Kanzleramt auch zurückhaltend. Protektionistische Tendenzen, wie sie bei Macron anklingen, stoßen bei der überzeugten Freihändlerin Merkel grundsätzlich auf Skepsis. Ähnliches gilt für einen europaweiten Mindestlohn, selbst wenn Macron konzediert, dass der in jedem Land angepasst werden müsste. An einer Digitalsteuer schließlich, die Macron ebenfalls fordert, beißen sich die Finanzminister beider Länder miteinander und im EU-Verbund schon seit Monaten die Zähne aus. Frankreich hat sich mittlerweile für einen Alleingang entschieden.

Merkel wiederum nannte in München als eine wichtige Ursache europäischer Probleme eine wirtschaftlich "nicht ausreichende Innovationsfähigkeit". Sie lobte ausdrücklich gemeinsame Aktivitäten auf diesem Gebiet: "Was Deutschland und Frankreich in Hinblick auf künstliche Intelligenz und Digitalisierung unternommen haben, ist nicht zu unterschätzen." Im Papier Macrons taucht dazu nur ein einzelner Satz auf, wie man im Kanzleramt zur Kenntnis genommen hat.

Auf Skepsis wird man in Berlin auch treffen, was eine groß angelegte Europa-Konferenz betrifft. Macron will sie schon dieses Jahr einberufen. In Berlin weist man darauf hin, dass die Europawahl erst Ende Mai stattfindet und die Bildung einer neuen Kommission absehbar kompliziert wird. Zur realistischen Analyse der Kanzlerin dürfte mithin gehören, dass manches in Macrons Papier wohl darauf angelegt ist, an der populär gewordenen Rollenverteilung nichts zu ändern: Macron, der vorangeht, Merkel, die bremst.

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