Nachhaltigkeit:Fischen ohne Nebenwirkung

Wenn Fischer am Werk sind, geht nicht nur die erwünschte Beute ins Netz. Ungenießbare, unverkäufliche und auch geschützte Meerestiere sind Teil des sogenannten Beifangs. Wie lässt sich dieser reduzieren?

Von Thomas Hahn

Neulich hatte der Meeresbiologe Christopher Zimmermann die Gelegenheit, in die Seele der Fischer zu blicken. Es war bei einem Symposium der dänischen Regierung in Kopenhagen. Es ging um die Frage, ob Überwachungskameras an Bord der Kutter helfen könnten, den "Discard Ban" der EU durchzusetzen, also das Verbot, unerwünschten Beifang ins Meer zurückzuwerfen. Europas Fischer waren dagegen, wie immer. Aber einer aus Kanada imponierte Zimmermann: Der Mann hielt einen Vortrag und sagte sinngemäß: "Wenn ich zehn Prozent mehr verdiene, indem ich mich nicht ganz korrekt verhalte, mache ich das. Wenn ich zehn Prozent mehr verdiene, indem ich mich korrekt verhalte, mache ich eben das." Zimmermann gefiel die Offenheit und sie bestätigte ihn in seiner Überzeugung, dass Anreize das beste Werkzeuge sind, um Fischer zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Meere zu bewegen. "Ich glaube", sagt Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock, "wir müssen sie ein bisschen schubsen."

Seit Anfang dieses Jahres ist eine der einschneidendsten Reformen der europäischen Fischerei-Politik vollständig in Kraft. Der Discard Ban, auf Deutsch Rückwurf-Verbot, soll Fischer dazu bringen, unerwünschten Beifang zu verringern. Jedes Jahr legt der EU-Ministerrat mit Norwegen auf Empfehlung des internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) Fangquoten fest, damit die Fischer möglichst viel fangen können, ohne das Ökosystem zu sehr zu beeinträchtigen; "maximaler nachhaltiger Dauerertrag" nennen Fachleute dieses Ziel - ein Kompromiss zwischen Gewinnstreben und Umweltschutz.

Aber lange Zeit gab es keine Beschränkungen für den Beifang, jene unerwünschte Zufallsbeute der Fischerei: schwer verkäufliche Fischarten wie Grundeln oder Klieschen, zu junge Fische, aber auch geschützte Meeressäuger und Seevögel. Die Fischer durften diesen Beifang, überwiegend tote Lebewesen, einfach über Bord werfen, als wäre er nie gefangen worden. Er wurde nicht auf die Fangquote angerechnet. Teilweise mussten Fischer sogar wertvollen Speisefisch über Bord werfen. Dann nämlich, wenn sie die Quote auf eine Fischart ausgeschöpft hatten und weiterfischten, um die Quote auf eine andere Fischart noch zu erfüllen.

Sollen Fischkutter mit Überwachungskameras ausgestattet werden?

Die Fischereipolitiker der EU wollten etwas tun gegen diese Verschwendung. Nach zähen Diskussionen mit den Fischerei-Vertretern fanden sie 2013 einen Kompromiss, der 2015 bis 2019 für die verschiedenen Seeregionen der EU und die verschiedenen quotierten Fischarten nach und nach eingeführt wurde. Kern der Reform: Rückwürfe sind verboten. Alles was ein Fischer fängt, muss er an Land bringen und wird auf seine Quote angerechnet. Und: In dem Moment, in dem er die Quote auf eine Fischart ausgeschöpft hat, darf er nicht mehr weiterfischen. "Die Idee ist eigentlich gut", findet Zimmermann.

Fangfahrt auf dem Krabbenkutter

Krabbenfischer sortieren auf ihrem Krabbenkutter in der Nordsee den Beifang aus.

(Foto: Ingo Wagner/dpa)

Allerdings sieht die Reform Ausnahmen vor. Und zwar so viele, "dass es viele legale Möglichkeiten gibt, sich um die Reform zu drücken", wie Christopher Zimmermann sagt. Noch kritischer sieht er einen anderen Umstand: "Der Gesetzgeber hat es versäumt zu überlegen, wie man den Discard Ban eigentlich kontrolliert und Verstöße bestraft." Kontrollen auf See sind bisher das Mittel der Wahl, um sicherzustellen, dass die Fischer das tun, was sie dürfen: Behördenschiffe stoppen die Kutter, Inspektoren kommen an Bord, kontrollieren Papiere, Netze, die Mischung des Fangs. Aber aus Zimmermanns Sicht reicht das nicht.

Der ICES überblickt die Datenlage jedes Fischerei-Jahres und hat festgestellt, dass Kutter, die kontrolliert wurden, deutlich mehr unerwünschten Beifang an Deck und dann an Land brachten als Kutter, die nicht kontrolliert wurden. "Wenn kein Inspektor dabei ist, dann liegen zum Beispiel die angelandeten Mengen untermaßiger (zu kleiner) Dorsche in der östlichen Ostseefischerei immer haargenau bei 2,3 Prozent, und zwar über alle Flotten", sagt Zimmermann. Somit gibt es zwar offiziell nichts zu beanstanden, aber der Verdacht liegt nahe, dass es Absprachen gibt und immer noch viel zu viel Beifang im Meer landet. "Natürlich gibt es auch vorbildliche Fischer", sagt Zimmermann, "aber insgesamt hat die Einführung des Discard Bans nichts bewirkt." Er empfiehlt, das Verbot nachzuschärfen, Ausnahmen zu kippen und - wo nötig - Kutter mit Überwachungskameras auszustatten.

Peter Breckling, Generalsekretär des Deutschen Fischerei-Verbandes weist pauschale Urteile zurück. Zimmermanns Befund zu den untermaßigen Dorschen in der Ostsee findet er übertrieben. "Wir haben die Information, dass bei Kontrollen auf See rund acht Prozent untermaßige Dorsche im Fang gezählt werden, und in den Logbüchern der Fischereibetriebe über die sonstige Fangtätigkeit eins bis vier Prozent dokumentiert sind." Vom Discard Ban hält er nicht viel. "Der Beifang verringert sich nicht automatisch, nur weil es verboten wird, lebende oder tote Fische ins Meer zurückzuwerfen", schreibt Breckling in einer Antwort-E-Mail, "es hängt ab von der Fangtechnik und vom Sortieraufwand. Ein Fischer hat sowieso das Ziel, nur das zu fangen, was er verkaufen kann. Alles andere ist lästige Arbeit, die er sowieso gern vermeiden möchte." Kameras an Bord findet er sinnlos.

Falscher Fang

Es gibt unterschiedliche Schätzungen zum Beifang, also der Menge jener Meerestiere, die unerwünscht in Netzen landen. Greenpeace gibt Zahlen zwischen 6,8 und 27 Millionen Tonnen an, laut Tierschutzorganisation WWF sind es eher 38 Millionen Tonnen "oder etwa 40 Prozent des jährlichen Weltfischfangs", die auf diese Weise verloren gehen. Für ein Kilogramm wild gefangene Shrimps landen laut WWF bis zu 20 Kilogramm Meerestiere mit im Netz. Nur ein geringer Teil des Beifangs wird verwertet, die größere Menge landet wieder im Meer. Das klingt nicht weiter tragisch, doch oft überleben die beigefangenen Tiere Fang und Rückwurf nicht oder werden dabei verletzt. Mancher Beifang darf auch gar nicht verkauft werden. Auch Wale, Robben, Meeresschildkröten und Seevögel sterben als Beifang. SZ

Anreize schaffen - das ist der Kern von Zimmermanns Empfehlungen für eine nachhaltigere Fischerei. Die Wissenschaft forscht mit viel Fleiß und Aufwand an Technologien, die Beifang vermeiden: Intelligente Netze, die Schlupflöcher für unerwünschte Fischarten lassen, Geräte, die artspezifische Warnlaute für Schweinswale aussenden. Letztere setzen mittlerweile viele Stellnetzfischer in Schleswig-Holstein ein. Aber die neuen Werkzeuge setzen sich nur langsam durch. Einerseits liegt das daran, dass die Welt der Meere vielfältig und wechselhaft ist; Warnlaute, die für Schweinswale in der westlichen Ostsee funktionieren, zeigen zum Beispiel vor Island keine Wirkung.

Andererseits liegt es auch am Desinteresse potenzieller Anwender. Christopher Zimmermann hat das Gefühl, dass viele europäische Fischer lieber weitermachen würden wie bisher, als das Heil in neuen Fangmethoden zu suchen. "Keiner redet davon, wie man Netze selektiver machen kann. Alle reden nur davon, wie man welche Ausnahme anwenden könnte", sagt er, "der Discard Ban wird komplett ad absurdum geführt." Ob die EU-Kommission nachjustiert? In ihrem Ausblicksbericht für 2019 an das Europäische Parlament heißt es: "Es wird zunehmend klar, dass traditionelle Kontrollmethoden wie Inspektionen zur See und Luft-Überwachung weniger effektiv sind als andauernde elektronische Technologien des Fern-Monitorings wie Überwachungskameras und Sensoren."

Hoffnung macht Zimmermann der Fischer aus British Columbia, den er in Kopenhagen hörte. "Der hat gesagt, die Diskussionen, die ich hier höre, hatten wir vor 15, 20 Jahren." Kanada hat es einfacher als die EU mit ihren vielen Nationen und unterschiedlichen Fischereitraditionen: Ein Staat, ein Interesse am Meer, ein klarer Weg zur Veränderung. In British Columbia verständigte sich die Politik mit den Fischern auf Nachhaltigkeitsziele und überließ die Umsetzung zunächst ihnen. Die Fischer konnten ihre Arbeitsbedingungen selbst gestalten. Seither gibt es Überwachungskameras auf den Kuttern. Die Fischer bezahlen eine private Firma, welche die Videos auswertet und Verstöße an die Behörde meldet. Das System funktioniert, der Fischer von Kanadas Westküste wirkte zufrieden. Christopher Zimmermann kann sich deshalb durchaus vorstellen, dass Europas Beifang-Vermeidung in 20 Jahren wirkungsvoller ist als heute.

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