Feministische Kolumne "Mansplaining":Ja, alle Männer

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Ja, alle Männer müssen sich Gedanken über ihre Männlichkeit machen.

(Foto: Karol Goldstein/Unsplash)

Männlichkeit bringt Privilegien, die abschaffen muss, wer Gerechtigkeit will. Und nein: Das ist keine Einschränkung von Freiheiten. Es ist das genaue Gegenteil.

Von Julian Dörr

Die American Psychological Association (APA), einer der größten Psychologenverbände der Welt, hat kürzlich Richtlinien für die "Psychologische Arbeit mit Jungen und Männern" veröffentlicht. Die Psychologen warnen darin: "Beschränkte Vorstellungen von Männlichkeit, die Aggressivität, Homophobie und Frauenfeindlichkeit betonen, können Jungs dazu veranlassen, einen Großteil ihrer Energie in schädliches Verhalten umzulenken, wie Mobbing, Spott gegenüber Homosexuellen oder sexuelle Belästigung - und nicht in gesunde schulische und außerschulische Aktivitäten." Männlichkeit sei dann schädlich, so die Psychologen, wenn sie die eigene Stärke überhöht, Frauen und andere Männer, die nicht den Rollenklischees entsprechen, hingegen abwertet.

Die Geschlechterforschung hat dafür den Begriff "toxische Männlichkeit" geprägt, was letztlich meint, dass die Art und Weise, wie Männlichkeit definiert und ausgelebt wird, allen schadet: Frauen, der Gesellschaft - aber vor allem auch Männern selbst. Männlich zu sein heißt in diesem Weltbild: keine Schwäche zeigen, Emotionen im Griff haben. Wut ist erlaubt, Fürsorge und Verletzlichkeit haben wenig Platz, stattdessen muss Männlichkeit immer wieder neu unter Beweis gestellt werden, körperlich und geistig, im ewigen Kräftemessen des Leistungskapitalismus - im Job wie im Privaten. Ein Mann muss risikobereit sein, mutig und stark.

Über diese Kolumne

"Mansplaining" ist die neue feministische Kolumne von SZ.de. Wöchentlich schreibt Julian Dörr hier über aktuelle gesellschaftliche Debatten, Sexismus, männliche Privilegien und soziale Ungerechtigkeit. Weil auch Männer im Feminismus nur gewinnen können.

Dass dieses Bild nicht mehr uneingeschränkt gelten soll, gefällt nun einigen nicht. In der Zeit stellte sich Josef Joffe etwa kürzlich die Frage, warum Eigenschaften, die einst als "männliche Tugenden" galten, plötzlich "toxisch" sein sollen. Allein: Plötzlich ist hier gar nichts. Die ganz realen Auswirkungen dieses traditionellen Männerbildes sind schon lange allgegenwärtig. In Deutschland ist die Suizidrate unter Männern dreimal so hoch wie bei Frauen. Männer gehen seltener zum Arzt, haben mehr und gefährlichere Unfälle. Sie werden häufiger Opfer von Gewalt (von anderen Männern) und üben häufiger Gewalt aus. Häufiger als jeden dritten Tag tötet ein Mann in Deutschland seine Partnerin oder Ex-Partnerin.

Oft liest man in den Kommentarspalten von Twitter und Facebook dann: #NotAllMen. Nicht alle Männer. Nicht alle Männer sind gewalttätige Frauenschläger. Nicht alle Männer sind übergriffige Stalker. #NotAllMen. Dieser Einwurf ist genauso richtig wie er falsch ist.

Richtig ist er, weil selbstverständlich niemand aus einem Einzelfall schließen möchte, dass ausnahmslos alle Männer ganz bewusst Frauenfeinde sind, die sich als tickende Gewaltbomben durch die Straßen schleppen. Und falsch, weil all diese sogenannten Einzelfälle eben doch Teil einer gesellschaftlichen Struktur sind, in der Frauen ein völlig anderes Leben führen als Männer. Weil diese Strukturen jeden Mann etwas angehen, der für Grundrechte und Gerechtigkeit einstehen will, muss es am Ende also doch heißen: Yes, all men.

Ja, alle Männer müssen sich Gedanken über ihre Männlichkeit machen. Nicht, weil sie sich bei jedem zwangsläufig in Gewalt gegen sich und andere äußert. Sondern weil in unserer mitteleuropäischen Gesellschaft Männlichkeit ein Übermaß an Privilegien mit sich bringt. Zumindest für weiße heterosexuelle Cis-Männer (Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, dem sie nach der Geburt zugeordnet wurden). Und ja, es ist wichtig, hier die ganze Bandbreite dieser Identitätsmerkmale aufzuziehen, weil es eben nicht nur um die Vorteile geht, die Männer über Frauen haben, sondern immer auch um die Vorteile, die weiße Männer gegenüber People of Color, die Cis-Männer gegenüber Transmenschen haben.

Von dieser Gruppe gibt es, den Autor eingeschlossen, ganz schön viele. Und diese Gruppe sammelt Privilegien, die ihnen im Leben einen ordentlichen Vorsprung verpassen. Privilegien, die Karriere und Alltag erleichtern, weil man eben so aussieht, handelt und denkt wie die meisten von denen, die in den Chefsesseln sitzen. Es sind diese Privilegien, die - bewusst oder unbewusst - sexistische und rassistische Strukturen in der Gesellschaft unterstützen. Weil sie den anderen, die nicht weiß, männlich, heterosexuell oder cis sind, fehlen.

Privilegien bedeuten Freiheit. Die Freiheit etwa, diese Unterschiede in Geschlecht, Hautfarbe und Herkunft nicht zu spüren, nicht sehen zu müssen. Die sehr konkrete Freiheit aber auch, seinen Drink in der Bar unbeobachtet zu lassen. Die Freiheit, nachts die Abkürzung durch die dunkle Unterführung zu nehmen. Die Freiheit, nicht jedem erklären zu müssen, warum man eigentlich so gut Deutsch spricht. Die Freiheit, bei der Wohnungssuche nicht wegen eines ausländisch klingenden Namens sofort auf dem Nein-Danke-Stapel zu landen.

Die große, männliche Freiheit

Der Punkt ist nun: Nur weil Privilegien Freiheit bedeuten, bedeutet die Aufgabe von Privilegien nicht zwangsläufig Unfreiheit. Das ist das große Vorurteil, mit dem der Feminismus besonders zu kämpfen hat. Safe Spaces und Chancengleichheit für Frauen, Queers, nichtbinäre oder Transmenschen? Ein generelles Tempolimit auf der Autobahn? Eine Frauenquote für Landtagswahllisten? Alles vermeintliche Einschränkungen der großen, männlichen Freiheit.

Feminismus wird von vielen Männern (und ein paar Frauen) deshalb als Verbotsideologie aufgefasst. Dabei ist er das genaue Gegenteil. Feminismus ist nicht Verbot, sondern Befreiung. Von überholten Geschlechterrollen, die Schuljungs zu faulen Rowdys abstempeln. Von gesellschaftlichen Strukturen, die Männer ihrer Vaterrolle berauben und auf den Job des Brötchenverdieners reduzieren. Deshalb ist es kein umgekehrter Sexismus, wenn Männer sich diskriminiert, übergangen und benachteiligt fühlen. Es ist das Patriarchat mit seinen Mechanismen, die nach hinten losgehen. Es ist das Patriarchat, das Männern wie Frauen schadet.

Wenn wir heute also über Männlichkeit reden wollen, müssen wir über Privilegien reden. Wenn wir über Gerechtigkeit reden wollen, dann müssen wir diese Privilegien prüfen. Und einige davon, die wir uns selbst gebaut haben, wieder abschaffen. Niemand kann etwas dafür, ein Mann zu sein. Dafür, ein unreflektierter Klotz zu sein, der die Zeichen der Zeit übersieht, hingegen schon.

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