Frankreich:Bewährung für den Kardinal

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Philippe Barbarin hat beim Papst seinen Rücktritt eingereicht. Zuvor erhielt er sechs Monate Haft auf Bewährung. (Foto: Laurent Cipriani/dpa)

Ein Gericht hat den Erzbischof von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin, schuldig gesprochen - er habe einen des sexuellen Missbrauchs verdächtigten Priester gedeckt.

Von Matthias Drobinski und Nadia Pantel, Paris

Der Erzbischof von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin, hat am Donnerstag seinen Rücktritt beim Papst eingereicht. Am Donnerstagvormittag war Barbarin überraschend zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Ihm wird vorgeworfen, einen des sexuellen Missbrauchs verdächtigten Priester gedeckt zu haben. Vor Gericht hatte Barbarin gesagt: "Ich weiß nicht, wofür ich schuldig gesprochen worden bin." Er habe nichts vertuscht.

Barbarin stand vor Gericht, weil er Hinweise von Missbrauchsopfern nicht an die Polizei weitergegeben haben soll. In einem Interview 2017 hatte der Kleriker zugegeben, "nicht angemessen" auf die Vorfälle reagiert zu haben. Bei den Vorwürfen geht es um mutmaßliche Übergriffe des Priesters Bernard Preynat, der in der Diözese von Barbarin angestellt war. Preynat soll mindestens 70 Kindern sexuelle Gewalt angetan haben. Die Opfer waren in den Siebziger- und Achtzigerjahren katholische Pfadfinder. Einige von ihnen hatten während des Prozesses gegen Barbarin im Januar dieses Jahres ausführlich über das ihnen widerfahrene Unrecht ausgesagt. Der Prozess gegen den beschuldigten Priester Preynat steht noch aus.

François Devaux, einer der Sprecher der Opfer, sprach am Donnerstag von einem "historischen Sieg": "Man muss uns jetzt zuhören." Einer von Barbarins Anwälten hatte mit Blick auf die Opfer gesagt, man sei von den Schmerzen erschüttert, die sie erleiden mussten, "aber Schmerzen bedeuten nicht Recht". Barbarins Verteidiger wollen gegen das Urteil in Berufung gehen.

Die Verurteilung des Kardinals kam überraschend, Barbarin hatte bereits 2016 vor Gericht gestanden, da er sexuelle Übergriffe in seiner Diözese nicht angezeigt hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte damals jedoch die Ermittlungen eingestellt.

Welche Verantwortung die Kirchenleitungen im Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche tragen, ob sie Taten vertuschten und ob sie dafür juristisch zu belangen sind, rückt weltweit immer mehr in den Blick. In Australien wurde im Juli vergangenen Jahres der zurückgetretene Erzbischof Philip Wilson zu einem Jahr Hausarrest wegen Vertuschung von Missbrauchsfällen in den Siebzigerjahren verurteilt. Ein Berufungsgericht hob die Strafe allerdings im November wieder auf. Die persönliche Verantwortung des Erzbischofs sei nicht zweifelsfrei nachgewiesen worden, so das Gericht.

In Chile ermittelt die Justiz gegen Kardinal Ricardo Ezzati in Santiago und drei weitere Bischöfe; Ermittler beschlagnahmten in den Amtsräumen des Kardinals belastendes Material und bestellten ihn zur Vernehmung ein. Die Männer sollen einen Serientäter gedeckt und geschützt haben; die gesamte Bischofskonferenz hatte Papst Franziskus ihren Rücktritt angeboten. Der hat mittlerweile acht dieser Gesuche angenommen, nachdem er zunächst einen der Beschuldigten verteidigt hatte, Bischof Juan Barros. In den USA laufen in sieben Bundesstaaten Ermittlungen gegen Kirchenverantwortliche. Ein derart spektakuläres Urteil wie nun in Frankreich gibt es in all diesen Fällen aber noch nicht.

In den französischen Kinos läuft derzeit ein Film über den Kampf der Missbrauchsopfer

Ende Februar erst hatte Papst Franziskus weltweit alle Bischofskonferenzvorsitzenden nach Rom gerufen, um mit ihnen zu beraten, wie die Kirche auf die immer neuen Missbrauchsvorwürfe reagieren soll. Am Ende des Treffens stellte er klar: "Kein Missbrauch darf jemals vertuscht - so, wie es in der Vergangenheit üblich war - oder unterbewertet werden, da die Vertuschung von Missbrauch die Verbreitung des Übels begünstigt."

Parallel zum Verfahren gegen Barbarin beschäftigten sich in Frankreich verschiedene Filme mit dem Vorgehen des Kardinals. So läuft aktuell in den französischen Kinos "Grâce à dieu" von François Ozon, ein Werk, das den Kampf der Missbrauchsopfer beschreibt, die von der katholischen Kirche ignoriert werden. In dem Spielfilm wird Barbarin namentlich genannt. Außerdem zeigte der Fernsehsender Arte am Dienstag eine Dokumentation über Nonnen, die berichten, über Jahre von dem Priester Marie Dominique sexuell missbraucht worden zu sein. Marie Dominique starb 2006 im Alter von 93 Jahren, sein Trauergottesdienst wurde von Kardinal Barbarin gehalten und live im Fernsehen übertragen. Barbarin gibt an, von den Vorwürfen gegen Marie Dominique erst nach der Trauerfeier erfahren zu haben. Einer von Barbarins Anwälten beklagte am Donnerstag, es sei "für das Gericht schwierig" gewesen, einem solchen Druck aus Dokumentationen und einem Film standzuhalten.

© SZ vom 08.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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