Doping:Lucky Luke und die Blutbeutel

2019 FIS Nordic World Ski Championships

Sind hier noch Erfurter Kunden dabei? Das Starterfeld beim 50-Kilometer-Rennen der Ski-WM in Seefeld vor einer Woche.

(Foto: Lisi Niesner/Reuters)
  • Die Dimensionen der Affäre um das Erfurter Doping-Netzwerk werden immer deutlicher.
  • Aus dem Kreis der identifizierten Sportler wird auch über eine mögliche Hintergrundrolle der italienischen Mafia berichtet.
  • Das gesamte Behandlungssystem für das Blutdoping stammt vom österreichischen Sportmanager Stefan Matchiner.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Alexej Poltoranin hat auf der Rückreise einen Zwischenstopp eingelegt. Von Seefeld aus fuhr er nach München, von dort aber nicht nach Kasachstan, sondern nach Moskau. In sein Heimatland, teilte er mit, wolle er erst in nächster Zeit zurückkehren. Poltoranin, 31, ist einer der fünf Langläufer, die Mitte vergangener Woche bei der nordischen Ski-WM festgesetzt worden waren. Er war der Beste und Namhafteste des Quintetts, zwei Mal WM-Dritter 2013 und Vierter bei der Tour de Ski 2018. Wie die anderen legte er bei der Polizei ein Geständnis ab und kam dann wieder frei. Aber nun gab er dem kasachischen Portal bnews.kz ein Interview, und da klang das alles ganz anders.

Niemals habe er verbotene Substanzen genommen, beteuerte er, das würden alle Tests zeigen. Er habe zwar darüber nachgedacht, es dann aber doch bleiben lassen. Er sei "rechtzeitig abgehalten" worden, er bedauere seine Gedanken und entschuldige sich dafür. Und sein Geständnis? Es gab üble Begleitumstände: In einer kalten Zelle sei er arretiert gewesen, mit minimaler Ausstattung. Da habe ihn der Gedanke übermannt, alles Gewünschte zu sagen, um rasch frei und heim zur Familie zu kommen. Bei dieser sei er jetzt, um das "psychologische Trauma" zu verarbeiten, das er im Gefängnis erlitten habe.

Dieses Interview wird nicht der letzte seltsame Beitrag gewesen sein zur "Operation Aderlass", dem größten Sportkrimi seit Langem. Vor gut einer Woche hoben deutsche und österreichische Behörden ein aus Deutschland gesteuertes Doping-Netzwerk um den Erfurter Sportmediziner Mark Schmidt aus, 120 Beamte waren im Einsatz. Jetzt sind sie dabei, die tatsächliche Dimension aufzuarbeiten.

Der Sportmediziner und drei Komplizen sitzen in Haft. Neun Athleten aus den Ausdauersparten Langlauf und Radsport sind schon als Kunden identifiziert, darunter der Kronzeuge Johannes Dürr. Der hatte sogar zugeben müssen, noch bis zuletzt Blutdoping betrieben zu haben . Blutbeutel, Aussagen, andere Erkenntnisse: Viele Puzzleteile müssen jetzt zusammengefügt werden - und eines davon macht Poltoranins Rolle rückwärts besonders interessant.

Nach SZ-Informationen gibt es Hinweise auf einen kasachischen Hintermann, der im Netzwerk nur als "General" benannt worden sei. Eine respekteinflößende Figur, die Poltoranins Behandlungstermine in brüchigem Deutsch über ein Handy mit finnischer Sim-Karte organisiert haben soll. Der Mann soll sich zumindest bis kurz vor den Zugriffen auch ganz in der Nähe von Seefeld aufgehalten haben, in Österreich. Steht die militärische Anrede für einen Spitznamen - oder für eine reale Amtsperson? Und warum ist Poltoranin erst einmal nicht in die Heimat zurückgekehrt? Spannende, offene Fragen.

Bekannte Kunden des Erfurter Doping-Rings

Dominik Baldauf (Österreich) Langlauf

Max Hauke (Österreich) Langlauf

Johannes Dürr (Österreich) Langlauf

Andrus Veerpalu (Estland) Langlauf

Karl Tammjärv (Estland) Langlauf

Algo Kärp (Estland) Langlauf

Alexej Poltoranin* (Kasachstan) Langlauf

Stefan Denifl (Österreich) Radsport

Georg Preidler (Österreich) Radsport

*zog Doping-Geständnis in Teilen zurück

Aus dem Kreis der identifizierten Sportler wird auch über eine mögliche Hintergrundrolle der italienischen Mafia berichtet; als Drohung, falls ein gefasster Kunde zu viel plaudere. Ein anderer Strang betrifft die Verbindungen des Erfurter Netzwerkes zu früheren Blutdoping-Nestern. Fest steht, dass das technische Equipment vom österreichischen Sportmanager Stefan Matschiner stammt, der in den Nullerjahren für Radprofis Blutdoping organisiert hatte und später aufflog. Nicht nur eine Zentrifuge, sondern das gesamte Blutbehandlungssystem aus fünf Maschinen habe er Schmidt verkauft, sagte Matschiner nun der SZ. Der ursprüngliche Einkaufspreis habe 100 000 Euro betragen; für wie viel Geld er es vor einem knappen Jahrzehnt weitertransferierte, sei ihm nicht mehr erinnerlich. "Ich habe es ihm gegeben und nicht weiter darüber nachgedacht, was er damit anfängt. Ich war nur froh, dass das Zeug weg ist."

Bald könnte noch mehr in Bewegung geraten. Die Ermittler befragen in diesen Tagen die Personen, die sie als Organisatoren ausgemacht und festgesetzt haben. Eine Komplizin des Erfurter Netzwerkes hat schon ausgesagt - sie hatte die Sünder in Seefeld behandelt und Ende 2018 auch den Kronzeugen Dürr. Nächste Woche wird Schmidt selbst dran sein. Dessen Anwalt will sich bisher zu den inhaltlichen Vorwürfen gegen seinen Mandanten nicht äußern; er erklärt nur, dass der Arzt voll kooperieren werde.

Die Frage ist nicht, ob es weitere Netzwerke gibt, sondern wie viele weitere

Schmidts noch unentdeckte Kunden müssen nicht nur all die Beichten befürchten, ihr Tun kann auch durch andere Umstände ans Licht kommen. Rund 40 tiefgefrorene Beutel mit Blutkonzentrat wurden sichergestellt; die Ermittler im LKA München hielten zunächst DNA-Spuren und Fingerabdrücke fest. Dann geht es an den Inhalt. Jede Information lässt sich mit den Datenbanken der Welt-Anti-Doping-Agentur abgleichen. Auch die Tarnnamen und Codierungen auf den Blutbeuteln könnten Hinweise liefern. Langläufer Dürr gibt zu, dass seine Blutbeutel die Aufschrift "Lucky Luke" trugen. Auch Vornamen wie "Moritz" - für den Doper Max Hauke - oder "Pierre" haben die Ermittler registriert; andere Beutel sollen schlicht ein paar Lettern tragen.

Dabei zeigen sich auch manche logistischen Besonderheiten. In Affären früherer Jahre, wie beim Wirken des berüchtigten spanischen Gynäkologen Eufemiano Fuentes, wurde stets die Darstellung gepflegt, dass das Blut abgezapft, im Kühlschrank gelagert und Wochen später wieder infundiert worden sei. Im Erfurter Netzwerk war die Logistik offenbar ein bisschen anders: Das Blut - genauer: das Blutkonzentrat - wurde tiefgekühlt gelagert, bei minus 82 Grad. Manche Beutel sollen völlig zusammengeklebt haben, als die Ermittler sie in einer Garage in der Nähe der Erfurter Praxis entdeckten - auch der Spezial-Kühlschrank gehört zu Matschiners verkauften Maschinen. Tiefgekühltes Blutkonzentrat lässt sich über Jahre aufbewahren; sollten die jüngsten Angaben des Kronzeugen Dürr stimmen, lagerte sein Blut von der Entnahme 2015 bis zur Rückführung im Herbst 2018 dort.

Die Sportwelt ist ob all der offenen Fragen spürbar angespannt. In Östersund versammelt sich gerade die Biathlon-Elite zur WM, auch so eine Sportart, die grundsätzlich zu den besonders verdächtigen und anfälligen zählt. Manchen plagt die Ahnung, dass noch etwas Größeres folgen könnte. Zu Wochenbeginn tat sich insbesondere Alfons Hörmann, Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), mit dem Verweis auf in Seefeld kursierende Spekulationen hervor, nach denen "in Östersund eine weitere Aktion geplant sein soll". Hilfreich für etwaige weitere Ermittlungen sind solche Funktionärs-Erklärungen nicht; zugleich versetzen sie die Szene in vorsorglichen Alarm.

"Der Bedarf ist da. Das ist die Realität.

Nach SZ-Informationen war zum Zeitpunkt dieser Aussage keine Razzia geplant, zumal es unwahrscheinlich ist, dass Ermittler nach der Seefelder Vorgeschichte auch in Östersund noch jemanden in flagranti erwischen könnten. Andererseits war die Chuzpe von Betrügern immer schon erstaunlich. Und hinzu kommt die Frage, was die Ermittler auf die Schnelle noch an Erkenntnissen gewinnen, etwa beim Zuordnungsprozess der Blutbeutel oder bei ihren Befragungen.

Ein Netzwerk haben die Ermittler ausgehoben. Aber die Frage ist nicht ob, sondern nur wie viele weitere Netzwerke es gibt. Szenekenner Matschiner sagt der SZ: "Das Vakuum, das ich hinterließ, hat - wahrscheinlich unter anderem - Mark Schmidt gefüllt. Und das Vakuum, das Schmidt hinterlässt, wird ein anderer füllen. Die Sportler kommen selbst auf einen zu. Der Bedarf ist da. Das ist die Realität."

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