Literatur:Zwischen den Tönen

Lea Singer / Eva Gesine Baur

Unter dem Pseudonym Lea Singer veröffentlicht die Münchnerin Eva Gesine Baur Romane, die sich um historische Figuren drehen.

(Foto: Jaques Schumacher)

Lea Singers Roman "Der Klavierschüler" spürt der geheimen Liebe zwischen dem Pianisten Horowitz und seinem Schüler nach.

Von Ekaterina Kel

Drei Minuten und eine Sekunde - so lange dauert es, sich vom Tod abzuwenden. Zumindest, wenn man sich der Musik hingibt, die Robert Schumann als ein kurzes Klavierstück mit dem Namen "Träumerei" schrieb. Für den Komponisten selbst war es "das kleine Ding", für andere ein Sprung in die Untiefen der eigenen Seele. Reto Donati gehört zu Letzteren. Dank der paar Minuten Klaviermusik entschließt er sich, vor dem frei gewählten Tod zu fliehen, bestellt bei einer Schweizer Firma, die Sterbehilfe anbietet - und landet in einer Pianobar. So beginnt Eva Gesine Baurs neuer Roman "Der Klavierschüler" (Kampa Verlag), den die Münchner Autorin unter dem Pseudonym Lea Singer veröffentlichte und aus dem sie am Montag, 11. März, im Literaturhaus liest.

In der Pianobar trifft Donati, 45, auf den 70-jährigen Barpianisten Nico Kaufmann. Es ist das Jahr 1986. Kaufmann erzählt, wohl auch als gut gemeinte Ablenkung, von seiner lange zurückliegenden Beziehung zu Vladimir Horowitz, einem der bedeutendsten und außergewöhnlichsten Pianisten des 20. Jahrhunderts.

Baur stützt sich auf das, was über diese beiden verstorbenen Musiker bekannt ist und entwirft plastisch und lebensnah wirkende Romanfiguren, verleiht ihnen Psyche und Seele und lässt die Leser teilhaben an ihrer tragischen Liebesgeschichte, die in der Öffentlichkeit von 1937 bis 1939 kein würdiges Dasein haben konnte: Männer, die sich liebten, galten der Welt damals als nicht normal, oder gar als krank.

Das ändert natürlich nichts daran, dass sich Horowitz und Kaufmann angezogen fühlen. Horowitz, der damals 34 Jahre alt und auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Solopianist war, trifft auf den 21-jährigen Kaufmann, einen aufstrebenden Pianisten mit Potenzial, dem allerdings seine sexuelle Freiheit wichtiger ist, als der berufliche Erfolg. Horowitz nimmt ihn als seinen ersten Klavierschüler an, bucht ihm benachbarte Zimmer im selben Hotel, lässt ihn von Zürich nach Paris einreisen. Es entwickelt sich eine geheime Liebschaft mit flüchtigen Küssen in schattigen Ecken. Später dann eine erotische Brieffreundschaft. Was der verheiratete Vater Horowitz nach außen repräsentiert, passt so gar nicht zu dem, was er mit Kaufmann heimlich auslebt.

In Baurs Romanen geht es oft um historische Figuren, ihr letzter drehte sich um die Bühnenbildnerin Mopsa Sternheim und Gottfried Benn, der davor um die Begegnung von Goethe und Caspar David Friedrich. Vor sieben Jahren machte sie einen Fund. Kaufmann und Horowitz hatten zwar die Vereinbarung, die Briefe sofort zu vernichten, Kaufmann hat sich aber offenbar nicht daran gehalten. Horowitz' Briefe befinden sich in seinem Nachlass, Baur hat sie ihrer eigenen Angabe nach als erste teilweise veröffentlicht. Sie offenbaren das Doppelleben und erzählen die Geschichte einer Beziehung, die zum Scheitern verdammt war.

Baur ließ diese Entdeckung "in mir arbeiten", wie sie es nennt. Bis der gelernten Kunsthistorikerin klar war, dass nicht das offizielle Outing des weltbekannten verstorbenen Pianisten Horowitz das eigentlich Interessante für sie war, sondern der Versuch, diese geheime Seite an ihm mit so viel zarter Empathie wie möglich nachzuerzählen. Deshalb wählte sie die Form des Romans. Und deshalb entschied sie sich für die etwas umständliche Form einer erzählerischen Klammer: Nico Kaufmann berichtet einem Drittem von der Liebesaffäre mit Horowitz - fünfzig Jahre später. Und dieser Dritte, also Reto Donati, stellt fest, dass die längst vergessene Geschichte auch ihm helfen wird, sein eigenes Leben besser zu verstehen.

Baur wollte "verantwortlich gegenüber Fakten" sein. Das hieß für sie viel Lesen, so lange, bis sie das Gefühl hatte, den Ton der Beteiligten treffen zu können. "Es geht darum, Verständnis zu entwickeln für Personen, die ich nicht mehr fragen kann. Das benötigt Zeit." Sich in Horowitz und in Kaufmann hineinzuversetzen, "so lange und so gründlich, dass einem ihre Reaktionen verständlich werden", war für sie die wichtigste Aufgabe.

Das Ergebnis ist ein zartes Psychogramm einer unmöglichen Liebe - und zwischen den Zeilen ganz viel Verehrung für den Pianisten Horowitz und für die Überzeugungskraft der Musik. Die "Träumerei" hat Horowitz selbst auch mal gespielt, 1986 in Moskau. Eine Aufnahme davon sei jedem lektürebegleitend empfohlen.

Der Klavierschüler, Lesung mit Lea Singer, Montag, 11. März, 20 Uhr, Literaturhaus

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