Brexit:Der Wackelkurs der britischen Sozialdemokraten

Labour-Chef Jeremy Corbyn 2019 in Hastings, England

Ist kein überzeugte EU-Befürworter: Labour-Chef Jeremy Corbyn.

(Foto: AP)
  • Die größte britische Oppositionspartei Labour und ihr Chef Corbyn haben keinen eindeutigen Brexit-Kurs.
  • Sie haben nie ein klares Alternativkonzept zu Mays Brexit-Abkommen vorgelegt.
  • Sie hoffen auf Neuwahlen. In den Umfragen liegt die Partei aber noch knapp hinter den Tories.

Von Cathrin Kahlweit

Beim letzten Schlagabtausch vor dem Showdown, der im Unterhaus ansteht, feuerte Jeremy Corbyn eine Statistik nach der anderen auf die Premierministerin ab: Lebenserwartung, Schulfinanzierung, Messerattacken, Sozialhilfekürzungen, Wohnungsbau - das waren seine Themen in den "Prime Minister's Questions", einer ritualisierten Fragestunde im Parlament. Theresa May feuerte dankbar zurück. Das Brexit-Chaos, das eigentlich ein breites Einfallstor für die Attacken des Labour-Chefs auf May und ihre Regierung gewesen wäre, ließen beide weitgehend ungenutzt. Sie, weil sie froh ist, sich nicht 24 Stunden am Tag für eine völlig verfahrene Situation verteidigen zu müssen, die ihren Stempel trägt; er, weil seine Position zum Brexit so vage ist, dass Corbyn sich ungern darauf festnageln lässt.

Die britische Labour Party, eine der größten sozialdemokratischen Parteien in Europa, ist in der Brexit-Debatte in den Augen vieler Kritiker, aber auch vieler ihrer Fans ein Totalausfall. Corbyn hatte während der Kampagne vor dem Referendum 2016 halbherzig Wahlkampf für "Remain" gemacht, ist aber kein überzeugter Europäer. Viele Labour-Abgeordnete sind Befürworter eines Verbleibs in der EU, oder doch zumindest eines weichen Brexits, allerdings haben auch unter den Labour-Wählern viele für den Brexit gestimmt.

Während der Tory-Regierung nach der Volksabstimmung nichts anderes übrig blieb, als den Wählerwillen umzusetzen und einen EU-Austritt herbeizuführen (wobei sich die Partei gerade nach allen Regeln der Kunst selbst zerlegt), hat die Labour-Spitze aus taktischen Gründen nie klar gemacht, was sie will; ein zweites Referendum schloss sie nie aus, hat es aber auch nicht betrieben. Eine Unterstützung des Deals von May galt lange als undenkbar, allerdings hat Labour auch nie ein klares Alternativ-Konzept vorgelegt.

Der großartige Times-Kolumnist Matt Chorley hat das in einem tausendfach zitierten Text satirisch so zusammengefasst: "Labours Position ist, dass sie einen besseren Deal in drei Monaten hinkriegen würden als die Tories in zwei Jahren, weil sie in Brüssel netter fragen würden; und Corbyn mag den Brexit-Deal nicht, den Brüssel verhandelt hat, weil er nicht genau die gleichen Vorteile bietet wie die EU-Mitgliedschaft, obwohl er deren strenge Wettbewerbsregeln und das Verbot von Staatshilfen an die Industrie eigentlich ablehnt; und bleiben ist nicht zwingend besser als ganz ohne Deal gehen, und der Ausgang des Brexit-Referendums muss unbedingt respektiert werden, aber ein neues Referendum bleibt eine Option, und wenn eine neue Abstimmung morgen anstünde, wüsste Corbyn trotzdem nicht, wie er stimmen würde." Das klingt so absurd wie verwirrend, enthält aber, im Kern, tatsächlich alle Positionen, die Labour zum Brexit in den vergangenen Monaten vertreten hat.

Einige Labour-Abgeordnete sind unlängst ausgetreten und haben eine unabhängige Gruppe gegründet. Sie taten das zum einen wegen antisemitischer Umtriebe, denen die Parteiführung nicht klar genug Einhalt gebietet, zum anderen aber auch aus Empörung über den Brexit-Kurs ihrer Partei. Ein paar Tories haben sich der "Independent Group" mittlerweile angeschlossen. Die Mehrheit aber bleibt und wartet ab.

Labour hofft auf Neuwahlen

Wie die Fraktion am Dienstag abstimmen wird, wenn Mays Deal auf der Tagesordnung steht, ist völlig unklar: Einige Brexit-Fans haben bereits angekündigt, mit der Regierung zu stimmen, einige wollen den Deal kippen, um in der Folge eine permanente Zollunion auszuhandeln, der sich zuletzt auch die Parteiführung verschrieben hat. Wieder andere wollen den ganzen Brexit-Prozess aufhalten und ein zweites Referendum erzwingen. Jeremy Corbyn hat sich in der vergangenen Woche mit europafreundlichen Abgeordneten der Konservativen und mit Vertretern der EU-Kommission getroffen. Er hat mitgeteilt, er wolle kein zweites Referendum um jeden Preis, und er wolle Mays Deal verhindern, um in einem neuen Anlauf einen weicheren Brexit auszuhandeln.

Letztlich hofft die Labour-Führung auf Neuwahlen in den kommenden Monaten. Allerdings könnte dieser Schuss durchaus nach hinten losgehen. Denn unter anderem wegen des Wackelkurses der Linken in dieser so entscheidenden Zeit liegen die Tories in Umfragen immer noch knapp vorn.

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