"The Sisters Brothers" im Kino:Die Zahnbürste im Wilden Westen

The Sisters Brothers -- Film Still

„The Sisters Brothers“ ist eine grandiose Charakterstudie mit (von links) Joaquin Phoenix, Riz Ahmed, Jake Gyllenhaal und John C. Reilly.

(Foto: Magali Bragard/Verleih)

In "The Sisters Brothers" reisen zwei Killer durch ein Land voller Städte, "die es vor ein paar Wochen noch gar nicht gab". Ein grandios literarischer Western von Jacques Audiard.

Von Juliane Liebert

Der heimliche Star dieses Eurowestern - der als Komödie vermarktet wird, aber nur dann eine Komödie ist, wenn man ein Herz aus Hartgestein hat - ist eine Zahnbürste. Sie wird Eli Sisters (John C. Reilly), der vorher nie eine gesehen hatte, zusammen mit einem mysteriösen Pulver verkauft.

Eli Sisters? Gut, erst zu den Nebencharakteren. In den 1850ern in Oregon verdingen sich zwei Brüder mit dem Nachnamen Sisters, die Sisters Brothers, als Auftragsmörder. Sie heißen Eli und Charlie Sisters, ihr Chef ist der Commodore, und der will einen Mann namens Hermann Warm töten lassen, weil der ihm etwas gestohlen haben soll. Ein Scout namens John Morris, auch in Diensten des Commodore, soll den Gesuchten ausfindig machen, die Sisters Brothers sollen ihn dann umlegen. Der Plan ist einfach, die Ausführung weniger.

Denn die beiden Brüder sind ein streitsüchtiges Paar. Eli Sisters, der ältere, ist sensibel, nachdenklich, fast sentimental, er trägt einen Schal mit sich herum, der ihm einmal von einer Frau geschenkt wurde. Den er immer wieder zusammen- und auseinanderfaltet und beschützt wie die edelste Kostbarkeit. Charlie Sisters, gespielt von Joaquin Phoenix, ist der jüngere. Aggressiv, oft besoffen, unüberlegt. Wenn sie nicht gerade von Bären angefallen werden oder Eli eine Giftspinne in den Mund krabbelt (Triggerwarnung für Arachnophobiker!), setzt sich vor allem Charlie auch gerne selbst mit Schnaps außer Gefecht.

Tief in der Nacht liefern sie sich einen Schusswechsel, von dem man nur die Mündungsfeuer sieht

Unterdessen folgt der Scout John Morris, gespielt von Jake Gyllenhaal, seiner Zielperson Hermann Warm. Er reist "durch Städte, die es vor ein paar Wochen noch nicht gab. Erst sind da Zelte. Dann Häuser. Dann Läden". Als er Warm (Riz Ahmed) ausfindig macht, stellt der sich als sympathischer, kluger Zeitgenosse heraus, der zu Unrecht gejagt wird und edle Ziele verfolgt: die Gründung einer utopischen Gesellschaft. Nach ein paar ernsten Gesprächen läuft Morris über. Sie werden Freunde (es gibt da eigentlich sogar etwas wie ein homoerotisches Knistern zwischen Jake Gyllenhaal und Riz Ahmed), und damit beginnt der Spaß erst richtig.

"The Sisters Brothers" wurde in einem spanischen Western-Themenpark und in Rumänien gedreht. Es handelt sich um eine Verfilmung von Patrick deWitts 2011 für den Booker Prize nominierten Roman gleichen Namens. Regisseur Jacques Audiard zeigt einen Wilden Westen, der so real anmutet wie vor vier Jahren in seinem Film "Dheepan" die Pariser Vorstadt. Trotz der Starbesetzung ist der Film finanziell wahnsinnig gefloppt. Er spielte bis zum 10. Dezember 2018 weltweit nur zehn Millionen Dollar ein. Bei einem Budget von 38 Millionen. Das liegt wohl hauptsächlich an der Vermarktung der Produktionsfirma Annapurna - selbst Westernfans, die angesichts der Besetzung normalerweise sabbernd ins Kino gehetzt wären, erfuhren spät oder nicht davon, dass der Film existiert. Zudem vermeidet der Trailer geradezu panisch, die Stärken der Produktion zu zeigen. Geht man nach dem Trailer, ist "The Sisters Brothers" eine fehlgeschlagene Komödie statt eine sich langsam aufbauende, von ihren Darstellern lebende Charakterstudie mit oft überraschenden Twists.

Auch ästhetisch ist der Film in manchen Momenten sehr ernsthaft. Schon die erste Szene, das erste Gefecht der Brüder: Vor einem dunkelblauen, fast schwarzen Himmel liefern sie sich tief in der Nacht einen Schusswechsel, von dem man lange nur die Mündungsfeuer sieht, von Weitem. Auch als die Kamera näher rückt, bleibt es zunächst dunkel. Nüchtern. Erst als die Gegner ausradiert sind, prescht aus der Finsternis ein brennendes Pferd wie ein Wesen aus einem anderen Lichtspektrum. Die beiden haben versehentlich die Scheune angezündet.

Und die Zahnbürste? Die Zahnbürste wird Eli Sisters in einem kleinen Laden verkauft. Mit Gebrauchsanweisung. Und einem mysteriösen Pulver, wohl der Vorgänger von Zahnpasta. Man vergisst ja manchmal, dass es nicht schon immer Zahnbürsten gab, aber die Verwirrung und Begehrlichkeit in John C. Reillys Gesicht vergegenwärtigen es einem. Wie froh ist man, als er sie wirklich mitnimmt. Ab dem Punkt erhellt die Zahnbürste jede Szene, in der sie vorkommt. Wenn es je ein Spin-off geben sollte (unwahrscheinlich), dann sollte die Zahnbürste die Hauptrolle spielen. "Die Zahnbürste im Wilden Westen. Nach einer wahren Geschichte".

The Sisters Brothers, USA 2018 - Regie: Jacques Audiard. Buch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain. Kamera: Benoît Debie. Musik: Alexandre Desplat. Schnitt. Juliette Welfling. Mit: John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal, Riz Ahmed. Verleih: Central Film, 121 Minuten.

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