Verhandlungen zum Brexit:EU kommt Großbritannien in letzter Minute entgegen

Brexit

Auf einer Pressekonferenz am späten Montagabend äußern sich die britische Premierministerin Theresa May und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu dem geschlossenen Kompromiss.

(Foto: dpa)
  • Der Brexit-Vertrag wird um rechtliche bindende Zusatzvereinbarungen ergänzt.
  • Der ausgehandelte Kompromiss bezieht sich auf mehrere Punkte des Vertrags, die wiederum alle mit der umstrittenen Auffanglösung für Nordirland, dem sogenannten Backstop, zu tun haben.
  • Der Kompromiss soll eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindern.
  • Premierministerin May hofft, sich so die Zustimmung des Unterhauses zu sichern.

Von Cathrin Kahlweit, London

Die britische Regierung und die EU-Kommission haben sich kurz vor der entscheidenden Abstimmung im Unterhaus auf einen Kompromiss geeinigt, der Premierministerin Theresa May an diesem Dienstag die entscheidenden Stimmen im Parlament bringen könnte. Nachdem es am Montagmorgen geheißen hatte, die Verhandlungen über das EU-Austrittsabkommen seien in einer Sackgasse angekommen, war May am Abend überraschend nach Straßburg geflogen. Parallel traf sich das irische Kabinett, das einer etwaigen Einigung zustimmen müsste.

Als May und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am späten Abend vor die Presse traten, war klar: Es hat einen Durchbruch in den äußerst schwierigen Verhandlungen gegeben. Juncker sagte auf der anschließenden Pressekonferenz: "Wir sind meterweise, manchmal auch millimeterweise aufeinander zugegangen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Vereinbarung, die wir heute getroffen haben, der einzig gangbare Weg ist." Die spannende Frage ist nun: Werden die Abgeordneten im Unterhaus dem Weg von May folgen und den Deal mitsamt der vorliegenden Änderungen bestätigen?

Der ausgehandelte Kompromiss bezieht sich auf mehrere Punkte des Vertrags, die wiederum alle mit der umstrittenen Auffanglösung für Nordirland, dem sogenannten Backstop, zu tun haben. Der Vertreter von May im Kabinett, David Lidington, trug einige der Verhandlungsergebnisse im Unterhaus vor, noch bevor May und Juncker in Straßburg vor die Presse traten. Demnach soll es zusätzlich zum Vertrag zwei juristisch bindende, neue Dokumente geben: Großbritannien soll ein Schiedsgericht anrufen können, wenn die EU das Königreich dauerhaft im Backstop, der Nordirland an den EU-Binnenmarkt bindet, "gefangen hält". Für diesen Fall soll das Königreich ein "formales Verfahren" vor dem Schiedsgericht einleiten können.

Außerdem einigten sich die EU und Großbritannien, bis Ende 2020, also bis zum Ende der geplanten Übergangsphase, alternative technische Lösungen zu finden, die Zollkontrollen an der irisch-nordirischen Grenze und damit eine harte Grenze ersetzen. Da es diese technischen Lösungen noch nicht gibt und sie erst noch entwickelt werden müssen, ist dieser Teil der Einigung nicht viel mehr als eine Absichtserklärung. Sie kommt aber dem britischen Parlament entgegen. Die Abgeordneten hatten vor wenigen Wochen mehrheitlich beschlossen, dass der Backstop durch "alternative Lösungen" ersetzt werden solle.

Schatten-Brexitminister Starmer sieht Einigung kritisch

Dritter Punkt in der Erklärung von Lidington war der Verweis auf die politische Erklärung, die dem Austrittsabkommen beigefügt ist und die künftigen Beziehungen Großbritanniens zur EU darlegt. Diese werde inhaltlich um einen Teil ausgebaut, in dem der Verhandlungsweg beschrieben und die nächsten Schritte konkretisiert würden. Im Unterhaus war zuletzt immer wieder Kritik laut geworden, dass die politische Erklärung zu vage sei und man über eine "black box" abstimme.

Der Schatten-Brexitminister von Labour, Keir Starmer, äußerte sich kritisch über die Einigung. Die Menschen würden "enttäuscht" sein, wenn sie sich die Details anschauten. Für die Abstimmung im Unterhaus an diesem Dienstag ist nun relevant, ob der juristische Berater der Regierung, Geoffrey Cox, sein kritisches Urteil über den Backstop revidieren wird. Aus Regierungskreisen heißt es, Cox zögere noch.

Oppositionsführer Jeremy Corbyn rief derweil schon dazu auf, am Dienstag gegen den Austrittsvertrag zu stimmen. Die neue Vereinbarung enthalte nichts von dem, was Regierungschefin May dem britischen Parlament versprochen habe: "Deswegen müssen die Abgeordneten dieses Abkommen zurückweisen."

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