Ski alpin:Vor der härtesten Entscheidung

Audi FIS Alpine Ski World Cup - Men's Giant Slalom

Meister der Schräglagen: Marcel Hirscher, 30, war der Konkurrenz auch in diesem Winter oft ein paar Schwünge voraus.

(Foto: Stanko Gruden/Agence Zoom/Getty Images)

Marcel Hirscher steht vor dem Finale als Saison-Bester fest - wieder einmal. Die Frage ist nun, ob er weitermacht.

Von Johannes Knuth, Soldeu/München

Das slowenische Ski-Resort Kranjska Gora ist neben seinen üppigen Wintersport-Angeboten auch als Erholungsort bekannt und geschätzt. Die pittoreske Wälder- und Berglandschaft hat der Gegend den Ruf einer slowenischen Toskana beschert (so sehen das zumindest manch Einheimische und Touristik-Unternehmer); unbestritten ist jedenfalls, dass die Besucher dort ausgiebige Ausflüge zu Rad oder zu Fuß unternehmen können. Gut möglich, dass auch Marcel Hirscher zuletzt unter den Erholungssuchenden war; der Österreicher hatte beim alpinen Ski-Weltcup am vergangenen Wochenende in Kranjska Gora zumindest versichert, dass er sich erst einmal nach einer kalten Dusche und einem langen Spaziergang sehne. Rang sechs im Riesenslalom, Platz drei im Slalom, das war nicht der Anspruch des besten Skirennfahrers der Gegenwart und wohl auch der Historie - da mochte er sich auch nicht damit trösten, dass er gerade zum achten Mal nacheinander den Gesamtweltcup gewonnen hatte. "Aber ich glaube", sagte Hirscher, "genau diese Emotion und der Ehrgeiz haben mich erst dahin gebracht, wo ich heute stehe."

Acht Gesamtsiege sind außer ihm noch niemandem gelungen - schon gar nicht nacheinander

Eine kalte Dusche und ein Spaziergang also, um einen historischen Triumph zu begehen - auch nicht schlecht.

Hirscher hat sich später natürlich schon noch ordnungsgemäß gefreut, wie er glaubhaft versicherte. Seine Dominanz spannt sich mittlerweile ja über gewaltige acht Jahre, der vorerst letzte Gesamtsieger, der nicht Hirscher hieß, war Ivica Kostelic - 2011 war das, da herrschte zuletzt selbst in der deutschen Fußball-Bundesliga eine größere Artenvielfalt an der Spitze. Marc Girardelli, der zweiterfolgreichste Gesamtsieger, vereinte einst fünf große Kristallkugeln auf sich. Nimmt man auch die sogenannten kleinen Kugeln dazu, die den Jahrgangsbesten in den jeweiligen Disziplinen vermacht werden, hat Hirscher nun mit der bisherigen Rekordhalterin Lindsey Vonn gleichgezogen, die in ihrer just beendeten Karriere insgesamt 20 Kugeln sammelte. Hirscher mag die Favoritenbürde vor diesem Winter mal wieder an die Konkurrenz abgeschoben haben, vor allem an den Norweger Henrik Kristoffersen, der mittlerweile wie Hirscher ein kleines Team beschäftigt - während der Saison war dann doch oft alles wie gehabt: hier der Österreicher, dort der Rest der Welt. Vor dem Weltcup-Finale in Andorra, das am Mittwoch mit den Abfahrtsrennen der Frauen und Männer beginnt, lag Hirscher in drei Wertungen uneinholbar vorne, im Slalom, Riesenslalom und Gesamtklassement.

Viel hätte nicht gefehlt, und der 30-Jährige hätte tatsächlich schon vor dieser Saison seine Karriere beendet - so hatte es Hirscher zumindest im vergangenen Herbst im Gespräch geschildert. Die vergangenen Winter hatten ihre Spuren hinterlassen, die vollen Kalender zum Beispiel oder die vielen behördlichen Pflichten rund um ein Rennen. "Ich merke schon, dass ich meinen Peak vielleicht schon hatte", sagte Hirscher, aber er fühle sich auch noch immer für große Taten befähigt: "Und solange das der Fall ist, wäre es ewig schade, nicht weiterzumachen." Seine Motive hatten sich allerdings ein wenig verändert: Hirscher ist mittlerweile Vater, da wolle er nicht mehr jedes Rennen und jeden Termin mitnehmen. Es gehe ihm auch nicht mehr darum, viele Punkte für die Gesamtwertung zusammenzutragen, sondern bei jedem Rennen sein Können aufzuführen, ohne Rücksicht auf Verluste. Wie im Januar 2018 in Adelboden, als er nach einem wilden Ritt im Zielhang trotzdem Erster wurde: "Das war eigentlich völlig bescheuert", erinnerte sich Hirscher, "aber das taugt mir halt schon. Wo habe ich im normalen Leben die Chance, so an meine Grenze zu gehen? Nirgends. Was kann ich überhaupt so gut, dass ich so an die Grenze gehen kann?"

Man merkte das seinen Rennen in diesem Winter dann auch oft an: dass er jeden Auftritt als eine "Zugabe" (Hirscher in Alta Badia) begriff, in der er dem Publikum noch mal seine Virtuosität vorführen wollte. Dazu kam das altbewährte Rezept: Da ist das kleine Team, das nur Hirscher zuarbeitet, mit Trainern, Physiotherapeuten und Servicekräften. Da ist Hirschers enorme Fitness (die früher gerne mal Dopingfragen provozierte, die Hirscher vehement bestritt). Und da ist noch immer der heilige Drang, mit dem der Österreicher Ski, Bindung, Platte und Skischuhe immer wieder neu aufeinander abstimmt, wie ein Pilot in der Formel 1, weil sich Schnee und Wetter in einem Rennen von einer Minute auf die andere ändern können. Die Erfolge kamen so fast von allein, zehn Saisonsiege waren es diesmal bislang im Weltcup, dazu kamen WM-Gold im Slalom und Silber im Riesenslalom. Die erstaunlichste Vorstellung war wohl jene in Alta Badia, als Hirscher allein 2,5 Sekunden zwischen sich und den zweitplatzierten Thomas Fanara legte.

Macht er weiter? Hört er auf? Darüber wolle er nach der Saison entscheiden, sagt Hirscher

Wenn einer von Zugaben redet, kann es auch nicht mehr lange dauern bis zum letzten Vorhang. Ist vielleicht sogar nach dem kommenden Wochenende Schluss, nach Riesenslalom und Slalom in Soldeu? "Diese Entscheidung wird die härteste in meinem ganzen Leben werden", sagte Hirscher zuletzt, "in meinem Kopf spielt es im Moment verrückt". Er hatte zuletzt auffallend oft betont, dass ihm seine junge Familie mittlerweile wichtiger sei als das Skifahren. Aber bei 68 Weltcup-Siegen ist es auch nicht mehr furchtbar weit bis zu Ingemar Stenmarks historischen 86 Erfolgen. Er werde sich das nach der Saison überlegen, in aller Ruhe, sagte Hirscher. Vielleicht ja bei dem einen oder anderen längeren Spaziergang.

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