Datenanalyse zur Auswärtstorregel:Es war einmal der Heimvorteil

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Mats Hummels hat eine schwere Aufgabe vor sich mit dem FC Bayern. (Foto: dpa)

Die Auswärtstorregel sollte einst für mehr Gerechtigkeit sorgen. Doch der Nachteil der Gäste-Teams scheint kleiner zu werden. Eine Daten-Analyse.

Von Thomas Gröbner und Benedict Witzenberger

Karl-Heinz Rummenigge warnte seine Spieler noch im Mitternachtsbankett in Liverpool vor den Tücken dieses 0:0, das sie Jürgen Klopps Mannschaft gerade in der Champions League abgetrotzt hatten. "Wir dürfen nicht den Fehler machen, den meine Mannschaft 1981 gemacht hat", warnte der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern. Damals, beim letzten Aufeinandertreffen in der Königsklasse vor 38 Jahren, erlebte Rummenigge einen bitteren Abend im Olympiastadion. "Wir waren leider nach dem Spiel der Meinung, dass das Schlimmste hinter uns läge."

Auch damals hatten sich die Bayern im Halbfinale des Europapokals der Landesmeister ein 0:0 an der Anfield Road erkämpft. Doch in München zitterten den Bayern die Beine, Ray Kennedy traf mit seinem Tor in der 83. Minute die Münchner ins Herz, Rummenigges Ausgleich drei Minuten vor Abpfiff blieb bedeutungslos. Die Auswärtstorregel kostete die Bayern das Finale, obwohl sie nicht geschlagen wurden.

Ein Tor für den FC Liverpool, und Bayern muss zwei Tore schießen, das galt vor 38 Jahren, das gilt ebenso am Mittwoch. Denn die derzeit gültige Arithmetik internationaler Pokalwettbewerbe bevorzugt die Gastmannschaft. Die Auswärtstorregel soll eigentlich den angenommenen Nachteil der Auswärtsmannschaft ausgleichen. Bei Gleichstand entscheidet die Zahl der geschossenen Auswärtstore. Die Uefa führte die Neuerung 1965 ein, als die Reisen strapaziös, die Bälle verschieden und die Spielfelder und der Rasen unterschiedlich lang waren, in der Antike des Fußballs quasi. Doch die Bedingungen, unter denen heute Fußball gespielt wird, haben sich verändert. Fast alles ist reglementiert, es gibt kaum noch ernstzunehmende Erschwernisse für die Auswärtsmannschaft. Was geblieben ist, ist eine über fünfzig Jahre alte Regel.

Die Auswertung aus 6388 Partien in der Königsklasse zeigen, dass die Anzahl der Tore der Heimmannschaften sinkt, während die Gastmannschaften im Schnitt immer häufiger treffen. Die Trendlinie legt den Schluss nahe, dass der angenommene Heimvorteil, den die Auswärtstorregel ausgleichen soll, schwächer wird.

Auch deshalb haben sich im September Trainer bei einer Uefa-Tagung in Nyon für die Abschaffung der Regel ausgesprochen, unter anderem Thomas Tuchel und José Mourinho, aus der Bundesliga waren keine Vertreter anwesend. "Sie denken, dass das Erzielen von Auswärtstoren nicht mehr so schwierig ist wie in der Vergangenheit", fasste Uefa-Wettbewerbsdirektor Giorgio Marchetti danach die Haltung der Trainer zusammen.

War es bis in die neunziger Jahre noch so, dass deutlich häufiger die Heimmannschaft gewann, drehte sich der Trend in den Nullerjahren um. Mittlerweile feiern häufiger die Gäste in fremden Stadien, der Anteil von Unentschieden und Auswärtssiegen ist größer.

Schiedsrichter, Spieler, Pressevertreter und Polizisten beim Münzwurf von Rotterdam 24. März 1965 (Foto: Nationaal Archief/ Eric Koch / Anefo - Nationaal Archief/CC BY 4.0)

Die Regel führt mitunter zu kuriose Zuspitzungen. Weil der AC Mailand und Stadtrivale Inter Mailand sich ein Stadion teilen, fanden 2003 das Hin- und Rückspiel des Halbfinals im Giuseppe-Meazza-Stadion statt. Zwei Heimspiele für beide Teams also. Nach einem 0:0 im Hinspiel gab es im Rückspiel ein 1:1, der AC Mailand kam durch das Auswärtstor weiter.

Bis zur Einführung der Regel 1965 wurde ein Entscheidungsspiel angesetzt, mit anschließender Verlängerung, ohne Elfmeterschießen. Das gipfelte im "Münzwurf von Rotterdam" im März 1965. Liverpool und Köln blieben im Viertelfinale des Europapokal der Landesmeister (der Vorläuferwettbewerb der Champions League) zweimal torlos, die Entscheidung sollte auf neutralem Boden fallen. In Rotterdam stand es nach 90 Minuten 2:2, die Spieler schleppten sich erschöpft durch die Verlängerung, ohne zu treffen. Ein Münzwurf musste die Entscheidung bringen, so sahen es die Regeln vor. Doch statt eines Geldstücks zückte der Schiedsrichter eine bemalte Holzscheibe. Selbst der Wurf der Holzscheibe musste wiederholt werden, weil sie im Matsch senkrecht stecken blieb. Das Los entschied für Liverpool.

© SZ vom 13.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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