Künstliche Intelligenz:Die überfällige Debatte

Künstliche Intelligenz Diskussion

Collage: Stefan Dimitrov

Fantasie im Turbogang und Technik jenseits der Vorstellungskraft: Die Diskussion um künstliche Intelligenz müssen Geistes- und Naturwissenschaften gemeinsam führen.

Von Andrian Kreye

Künstliche Intelligenz, kurz KI, ist ein Thema, bei dem die Fantasie in den Turbogang schaltet. Vom mittelalterlichen Mythos des Golem über Stanley Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum" bis zu Frank Schätzings Bestseller "Die Tyrannei des Schmetterlings" haben sich Literatur und Film schon lange damit beschäftigt, was wäre, wenn Maschinen Bewusstsein und freien Willen entwickeln könnten. Aber selbst wenn sie genau das niemals können werden, übersteigen die Möglichkeiten dieser Technologie die Vorstellungskraft selbst von Wissenschaftlern.

Weil KI mit den jüngsten Fortschritten digitaler Technologie in eine neue Phase tritt, werden die Forderungen immer lauter, dass sich Natur- und Geisteswissenschaften gemeinsam Gedanken darüber machen, was für Auswirkungen es auf die Gesellschaft und den Menschen haben wird, wenn Maschinen selbständig lernen und Entscheidungen fällen können.

John Brockman hat die Vereinigung der Natur- und Geisteswissenschaften zu einer sogenannten dritten Kultur schon lange gefordert und praktiziert. Er ist der Gründer des Debattenforums Edge.org, auf dem Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler gemeinsam nach Antworten auf große Fragen der Gegenwart suchen. Seit 1981 versammelt er sie in New York, San Francisco oder London in Lokalen, Lofts, Museen und Wohnzimmern zum "Reality Club" oder den "Edge Dinners". 1996 führte er die Debatte mit Edge.org ins Netz. Und weil er im Hauptberuf Literaturagent für Wissenschaftsautoren ist und einer der ersten war, die für Akademiker wie Daniel Kahnemann, Richard Dawkins oder Lisa Randall Bestsellerverträge abschlossen, war seine Tafelrunde immer schon sehr prominent besetzt.

Aus Brockmans KI-Tafelrunde ist eine Textsammlung entstanden

Man darf sich den heute 78-Jährigen als Mischung aus König Artus und Dorothy Parker vorstellen. Auf der einen Seite erkennt er schlagkräftige Talente oft früher als andere, was dazu führte, dass er die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page, Amazon-Chef Jeff Bezos oder die Boygroup von Facebook schon bei seinen Dinnerpartys zu Gast hatte, als sie noch naseweise Start-up-Unternehmer waren. Auf der anderen Seite hat er den Humor und Charme, mit denen solche Runden auf Touren kommen, egal, ob er sie im Hinterzimmer eines Lokals, zu Workshop-Wochenenden auf seiner Farm nahe New York oder auf seinen Seiten im Netz versammelt.

So war es ein seltener Pflichttermin im Gesellschaftsleben der Harvard University, als er neulich zu einem Abend ins Brattle Theater und zum Dinner ins Charles Hotel in Cambridge einlud, um die Debatte über künstliche Intelligenz fortzusetzen, die er im vergangenen Herbst zum "Possible Minds"-Projekt erklärte. Da trafen sich viele, die in Wissenschaftskreisen als Stars gefeiert werden - der Kognitionsforscher Steven Pinker etwa, die Robot-Ethikerin Kate Darling, der Wissenschaftsphilosoph Max Tegmark und als graue Eminenz die Schriftstellerin und Anthropologin Mary Catherine Bateson.

Im Theater lieferten sie in sogenannten Lightning talks (Blitzvorträgen) von fünf Minuten ein Bild vom Stand der Dinge, das so weit gefächert war, wie die KI-Debatte eben derzeit läuft. Mary Catherine Bateson begann den Abend etwa mit einem Aufruf, angesichts der komplexen Netzwerke der KI die fast vergessene Wissenschaft der Systemtheorie wiederzubeleben. Die Entwicklungspsychologin Alison Gopnik gab zu bedenken, dass Vierjährige geistig immer noch fitter seien als jede KI. Max Tegmark verglich KI mit einer Rakete, welche die Menschen präzise steuern müssten. Und Stephen Wolfram schwärmte von den schier unbegrenzten Möglichkeiten, welche die Menschen noch gar nicht begreifen könnten.

Als Zaungast des anschließenden Abendessens wurde einem rasch klar, was für eine vernetzte Welt die Wissenschaften an Orten wie Cambridge, Massachusetts sind. Es herrschte eine Stimmung wie beim Klassentreffen samt Umarmungs- und Klatschtrubel.

Und John Brockman schritt als Sozialalchemist zwischen den Grüppchen hin und her, griff sich die eine oder den anderen, um sie zu anderen dazuzugesellen. Man erfuhr nebenbei Durchbrüche in der Forschung (demokratische Prozesse in verschlüsselten KI-Mustern, die Lobbyisten neutralisieren und Wählern Kompetenz zuschreiben) und große Linien (programmierbare Zellen, die selbstverständlich sehr viel weiter führen werden, als es KI je könnte, zumindest, wenn man mit einem Biologen spricht).

Aus John Brockmans jüngsten Tafelrunden zur künstlichen Intelligenz ist eine Textsammlung entstanden. Autorinnen und Autoren wie der Genforscher George Church, Alison Gopnik, die Kunsthistorikerin Caroline Jones, Steven Pinker und der Nobelpreisträger und Präsident der Royal Society Venki Ramakrishnan haben sich Gedanken über künstliche Intelligenz gemacht. Die Süddeutsche Zeitung wird diese Texte in den kommenden Wochen im Feuilleton veröffentlichen. Erste Reaktionen deutscher und europäischer Geistes- und Naturwissenschaftler werden dazukommen. Es wird der Beginn einer Debatte sein, die noch lange nicht zu einem Ende kommen darf.

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