Europa:Lob für Mussolini

Antonio Tajani

Antonio Tajani rechnet es Mussolini hoch an, dass dieser Italiens Infrastruktur erneuert habe.

(Foto: Jean-Francois Badias/dpa)

EU-Parlamentspräsident Tajani empört mit einem historischen Exkurs. So sagt er in einem Interview, er rechne es Mussolini hoch an, dass dieser Italiens Infrastruktur erneuert habe.

Von Oliver Meiler und Matthias Kolb, Rom/Straßburg

Der Römer Antonio Tajani neigt dazu, viel zu reden. Sturzbachartig. Man braucht ihm nur ein Stichwort zu geben, und schon legt der Präsident des Europaparlaments los. Vor den Europawahlen ist der konservative Politiker sehr gefragt in Italien. Nun war er auch bei "La Zanzara", einem Morgenprogramm auf Radio 24. Dessen Moderator, Giuseppe Cruciani, hat die Gabe, seine Gäste dazu zu bringen, sich um Kopf und Kragen zu reden.

Tajani wagte einen historischen Exkurs zum Faschismus, der ihm viel Ärger einbringt. Cruciani fragte ihn, ob Benito Mussolini, der Faschistenführer, auch etwas Positives geleistet habe. Darauf Tajani: "Bevor er der ganzen Welt den Krieg erklärt hat und Hitler folgte, bevor er sich zum Fürsprecher der Rassengesetze machte, und abgesehen von dem dramatischen Vorfall um Matteotti (dem 1924 ermordeten Sozialistenführer, Red.), hat er positive Dinge gemacht - beim Bau von Infrastrukturen in unserem Land etwa." Natürlich könne man geteilter Meinung sein über Mussolinis Methode, er selbst sei kein Faschist. Die Rassengesetze seien "verrückt" gewesen, der Eintritt in den Krieg "ein Selbstmord".

Dann fügte Tajani noch hinzu: "Doch wenn man ehrlich sein will: Er hat Straßen, Brücken, Gebäude und Sportanlagen gebaut, und er hat viele Sümpfe in unserem Italien trockengelegt." So sei das nun mal, und wenn jemand ein historisches Urteil fälle, müsse er objektiv sein. Mussolini sei "kein Meister der Demokratie" gewesen.

Das Schönreden des Faschismus und der Mythos des starken Mannes lebt in Italien fort

Im Europaparlament in Straßburg sorgte Tajanis Interview für helle Aufregung. "Die Äußerungen sind eines Präsidenten des Europäischen Parlaments unwürdig und absolut inakzeptabel", kritisierte etwa Ska Keller. Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion verlangt vom Italiener, die "unsägliche Verharmlosung des Faschismus" zurückzunehmen oder sein Amt niederzulegen. Gabi Zimmer, die Fraktionschefin der Linken, hat sich schon festgelegt und fordert den "sofortigen Rücktritt" Tajanis. Udo Bullmann, der Chef der sozialdemokratischen S&D-Fraktion, klagt über "unglaubliche Zitate", die den "Charakter des Faschismus" verleugnen. Verärgert sind auch die eigenen Leute aus der EVP-Fraktion: "Tajani entwickelt sich zu einem Quartalsirren. Das schadet der Reputation des gesamten Parlaments."

Die Mussolini-Schwärmerei bestätigt jene Kritiker, die Tajani stets als Fehlbesetzung ansahen. Nach einem Deal zwischen EVP und Sozialdemokraten wurde der ehemalige EU-Kommissar Anfang 2017 Nachfolger des SPD-Politikers Martin Schulz, der die Sichtbarkeit des Parlaments stark verbessert hatte. Tajani gilt in Brüssel hingegen als Schwätzer. Für Journalisten ist er vor allem bei den EU-Gipfeln interessant. Tajani ist als Vertreter der 751 EU-Abgeordneten im Raum, wenn die britische Premierministerin Theresa May über die aktuelle Brexit-Strategie spricht. Er plaudert im Anschluss gerne darüber und behält sein Unverständnis über das ganze Brexit-Chaos dabei nicht immer für sich. Wenn es ernst wird, muss Tajani nun gehen, doch zumindest bei seiner Gipfel-Pressekonferenz ist ihm die Aufmerksamkeit sicher.

Als ein Tiefpunkt seiner Amtszeit gilt die Anhörung von Facebook-Chef Mark Zuckerberg im Mai 2018. Erst nach enormen Druck war Tajani bereit, diese nicht hinter verschlossenen Türen abzuhalten. Die permanente Kritik beeindruckt ihn nicht: Er erklärt stets, dass er sich um eine Wiederwahl bewerben wolle, wenn die EVP nach der Europawahl wieder den Parlamentspräsidenten stellen sollte.

In Italien wären Tajanis Äußerungen zunächst beinahe untergegangen im Strudel aller anderen erstaunlichen Wortmeldungen von Politikern, die jeden Tag über dem Land niedergehen. Seit die Populisten regieren, ist die Flut noch gewaltiger geworden. Von den großen Zeitungen im Land nahm sich nur La Stampa Tajanis in einem längeren Artikel an. Der Corriere della Sera beließ es bei 37 Zeilen, La Repubblica gar bei nur 14 Zeilen.

Seit dem Ende des Faschismus, schreibt La Stampa, habe sich die Idee festgesetzt, dass die "Diktatur all' italiana" nur ein bisschen böse gewesen sei. Auf der Piazza und in der Bar hört man oft die Formel: "Quando c'era lui . . .", begleitet von einem Seufzer. Als er da war. Das "er" bezieht sich auf den Duce, auf Mussolini. Damals seien die Züge pünktlich gefahren. Man habe bei offener Haustüre schlafen können und die Häuser seien nicht eingestürzt, weil die Architekten die besten waren.

Das Schönreden des Faschismus sei ein "Tic", den Italien nie abgelegt habe, schreibt La Stampa. Auch der Mythos des starken Mannes lebt bis heute fort. Silvio Berlusconi sagte einmal: "Mussolini hat nie jemanden umgebracht, er schickte die Leute nur in die Verbannung, damit sie dort Ferien machten." Nun fragt man sich natürlich, ob Tajani ein Signal an die extreme Rechte aussenden wollte, um dort dem bereits sehr rechten Matteo Salvini von der Lega Konkurrenz zu machen. Kürzlich, bei einer Gedenkveranstaltung zum Zweiten Weltkrieg, schloss Tajani seine Rede mit der Parole: "Es lebe das italienische Istrien und Dalmatien". Die Slowenen und Kroaten empfanden das als Geschichtsrevisionismus, sogar als aggressiven Territorialanspruch und protestierten empört.

Tajani beschwichtigte damals, wie er es jetzt auch tut - per Tweet: "Schäme sich, wer meine Worte zum Faschismus instrumentalisiert!" Tajani sollte einst Berlusconi als Chef der bürgerlichen Partei Forza Italia beerben. Das sagt man allerdings schon seit vielen Jahren. Berlusconi ist jetzt 82, Tajani 65.

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