Verfolgung:Deportiert in den Tod

Verfolgung: Erich Schneeberger, Landesvorsitzender des Verbands deutscher Sinti und Roma, spricht über die Bürgerrechtsarbeit in Bayern.

Erich Schneeberger, Landesvorsitzender des Verbands deutscher Sinti und Roma, spricht über die Bürgerrechtsarbeit in Bayern.

(Foto: Stephan Rumpf)

Bei einem Gedenktag erinnert die Stadt an die in der NS-Zeit ermordeten Sinti und Roma

Von Thomas Anlauf

Es sind so viele Namen. Namen, die nicht vergessen werden sollen. 141 Menschenleben stehen hinter diesen Namen, wenige Monate alte Babys ebenso wie greise Frauen und Männer. Am 13. März 1943 wurden 141 Münchner Sinti und Roma zusammengetrieben, auf Lkw verfrachtet und zur Hackerbrücke gefahren, dort in Viehwaggons gepresst. Der Zug fuhr drei Tage und Nächte lang nach Osten ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. "Fast 90 Prozent der dort inhaftierten Menschen fielen dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer", sagt Erich Schneeberger, Vorsitzender des bayerischen Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma.

Erst zum zweiten Mal nach 2018 erinnerte die Stadt an diesem Mittwoch mit einem Gedenktag an die Deportation, mit einer Festveranstaltung im NS-Dokumentationszentrum und zuvor einer Namenslesung der 141 deportierten Münchner Sinti und Roma am Platz der Opfer des Nationalsozialismus. Es habe "beschämend lange gedauert", bis auch die Stadt München gegen die Ausgrenzung und systematische Verfolgung von Sinti und Roma in München Zeichen gesetzt habe, sagte Stadträtin Jutta Koller auf der Gedenkveranstaltung in Vertretung von Oberbürgermeister Dieter Reiter. Es ist tatsächlich eine beschämende Geschichte, dass nach dem Holocaust die wenigen überlebenden Sinti und Roma viele Jahre lang weiterhin unter Stigmatisierung, Ausgrenzung und Nichtbeachtung zu leiden hatten. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren häufig die Täter der NS-Verbrechen noch immer in den Behörden tätig. "Die Polizei in München betrieb bis in die Siebzigerjahre eine rechtswidrige Sondererfassung von Sinti und Roma", sagt Erich Schneeberger. Erst eine wachsende Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma, die schließlich 1980 in einem Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Dachau gipfelte, bewirkte langsam ein Umdenken in der Politik. 1982 schlossen sich die Landesverbände im "Zentralrat Deutscher Sinti und Roma" zusammen und konnten nun deutlicher auf die Diskriminierung und Kriminalisierung der seit vielen Jahrhunderten in Deutschland lebenden Minderheit hinweisen. Doch es sollte noch bis 1995 dauern, bis in München am Rand des Platzes der Opfer des Nationalsozialismus eine Gedenktafel an die von 1933 bis 1945 ermordeten Münchner Sinti und Roma erinnerte. Erst im vergangenen Jahr schloss der Freistaat einen Staatsvertrag mit Sinti und Roma. Und im Februar dieses Jahres beschloss der Stadtrat, ein Denkmal für die in München lebende Minderheit entwerfen zu lassen.

Es geschehe bis heute, dass Sinti und Roma diskriminiert werden, sagt Erich Schneeberger. Es kommt vor, dass sie keine Wohnungen finden oder keinen Job bekommen, nur weil sie der ethnischen Minderheit angehören. "Antiziganistischer Hass findet heute in fast allen Onlineportalen seinen Niederschlag", so der Landesvorsitzende. Es dürfe 74 Jahre nach dem Holocaust "für eine Minderheit, die seit 600 Jahren hier lebt, keinen Platz für Anfeindungen geben", sagt Schneeberger.

Ihre Solidarität und ihr Mitgefühl zeigten zu den Gedenkfeiern unter anderem Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, die Stadtdekanin Barbara Kittelberger und Erzpriester Apostolos Malamoussis. Auch der ehemalige Minister Ludwig Spaenle, heute Beauftragter der Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe, gedachte der von den Nazis verschleppten und ermordeten Sinti und Roma.

In der Gedenkfeier am Abend erinnerte der Historiker Frank Reuter daran, dass die Kirche während der NS-Diktatur geschwiegen hatte, als Tausende Sinti und Roma verschleppt wurden. Bis heute "haben viele Überlebende das Schweigen der Kirche als bedrückend empfunden", so Reuter.

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