Vergangenheitsbewältigung:Wie aus Irren Patienten wurden

Vergangenheitsbewältigung: Schon jetzt vermittelt eine Ausstellung einen Eindruck von der ehemaligen Kreisirrenanstalt in Eglfing-Haar.

Schon jetzt vermittelt eine Ausstellung einen Eindruck von der ehemaligen Kreisirrenanstalt in Eglfing-Haar.

(Foto: Claus Schunk)

In Haar ist ein Museum über die Geschichte der Psychiatrie geplant

Von Bernhard Lohr, Haar

Der Bezirk Oberbayern verfolgt die Idee, in Haar ein Deutsches Psychiatriemuseum zu schaffen. Es wäre ein Neubau auf der sprichwörtlichen grünen Wiese gegenüber dem Haupteingang des Isar-Amper-Klinikums, der nach neuesten museumspädagogischen Konzepten gestaltet werden würde. Das Museum könnte auch zu einem zentralen Erinnerungsort an die NS-Euthanasie-Verbrechen werden. Bisher existieren nur erste Überlegungen. Doch Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU) hat das Projekt zu seinem Anliegen gemacht. Er sieht gute Chancen, dass in Haar etwas umgesetzt wird, was es in Deutschland bisher nicht gibt.

Schon jetzt wird am Klinikum in einem Museum gezeigt, wie sehr sich die Behandlungsmethoden in der Psychiatrie verändert haben. Anlässlich des 100-jährigen Bestehens des ehemaligen Bezirkskrankenhauses in Eglfing-Haar öffnete im Juli 2005 eine Dauerausstellung ihre Pforten, die engagierte Mitarbeiter des Klinikums im ersten Stock der ehemaligen Direktorenvilla hinter dem Hauptgebäude eingerichtet hatten. Ein Wohnsaal mit originalgetreuen Holzpaneelen wurde nachgestellt und mit Hilfe des einzig verbliebenen Betts aus der Gründerzeit die Situation in einem Schlafsaal rekonstruiert. Auch Teile einer Isolierzelle sind dort zu sehen.

Besucher erfahren, wie Patienten früher fixiert wurden, sie sehen medizinische Geräte und die fremdartig anmutende Schwesterntracht von einst und erfahren, wie Patienten in der Anstalt lebten, für die eine Einweisung lange Zeit nichts anderes bedeutete, als dort den Rest ihres Lebens zu verbringen. Sie gingen zur Schule und arbeiteten auf einem weitläufigen Areal, das mehr an ein Dorf als an ein Krankenhaus erinnerte. Auch die NS-Zeit wird im Museum thematisiert, während der in der größten Psychiatrieeinrichtung Bayerns Tausende zu Tode kamen.

Mehr als 24 000 Besucher zählt das Museum bis heute, das regelmäßig nur am Sonntagnachmittag geöffnet ist. Einen Großteil der Interessierten machen laut Klinik-Sprecher Henner Lüttecke Gruppen aus, die sich zu Sonderführungen anmelden: Schulklassen, Pflegeschüler, die sich auf den Beruf vorbereiten, und politisch Interessierte.

Dem Bezirk Oberbayern und der Klinik liegt daran, dass nicht vergessen wird, was einmal war. Das betrifft auch die Fortschritte, die es in der Psychiatrie gegeben hat, beginnend mit dem Bau der einst als Vorbild geltenden Anstalten vor den Toren Münchens - in dem Glauben, dass die in einem Guss im Jugendstil errichteten weitläufigen Anlage in einer ländlich geprägten Umgebung zur Genesung der Patienten beitragen würde. Die alten Gebäude im Pavillonstil legen Zeugnis davon ab.

Die heutige Psychiatrieversorgung in Bayern geht zurück auf ein Gesetz des Königs Ludwig I. im Jahr 1837, mit dem das Fürsorgewesen auf die damaligen Kreise, die heutigen Bezirke, übertragen wurde. Zwischen 1846 und 1915 wurden 16 Anstalten in Bayern gegründet. Im Jahr 1900 wurde der Bau einer neuen Kreisirrenanstalt für 1200 Patienten außerhalb Münchens genehmigt. 1905 wurde die Anstalt Eglfing eröffnet. 1912 nahm die Anstalt Haar, direkt nebenan, die ersten Patienten auf.

Das Areal der früheren Anstalt Haar wurde verkauft und ist nun ein Wohngebiet. Die Isar-Amper-Klinik wächst angesichts steigender Patientenzahlen wieder. Ein Konzept "Bezirk 2030+" sieht vor, gegenüber dem Haupteingang der Klinik Wohngebäude für Bedienstete, aber auch Gebäude für Verwaltung und nachklinische Versorgung zu platzieren. Dort könnte nach Josef Mederers Vorstellung auch das Museum stehen, in dem mahnend an die NS-Verbrechen erinnert werden könnte. Zugleich könnte ein Museum dokumentieren, dass in Bayern Weichen für eine moderne Psychiatrie gestellt worden seien.

In der Bezirksverwaltung und am Klinikum findet Mederer mit seiner Idee nach eigenen Worten bisher nur Zustimmung. Etwa vom Ärztlichen Direktor am Isar-Amper-Klinikum, Peter Brieger. Mit dem aktuellen, mit großem persönlichen Einsatz geschaffenen Museum stoße man an Grenzen, sagt er. Brieger leitet den Arbeitskreis Erinnerungskultur des Bezirks, in dem die Idee für einen "großen Wurf" aufkam. Mederer sagt, noch habe kein Gremium das Vorhaben abgesegnet. Als erstes möchte er abwarten, wie die Gemeinde das Bezirkskonzept für die sogenannte Gutswiese an der Vockestraße bewertet. Bis zum Sommer rechnet er mit Ergebnissen. Sollten diese positiv ausfallen, folge der nächste Schritt.

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