Aus von Hummels, Boateng, Müller:Löw erklärt seine Geheimoperation

  • Joachim Löw äußert sich in Frankfurt zum Aus von Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller in der Nationalmannschaft.
  • Der Bundestrainer erklärt, warum er die Botschaft an die drei Weltmeister überfallartig überbrachte.
  • Auch DFB-Präsident Reinhard Grindel erfuhr erst später von Löws Entscheidung.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

Er wolle "hier ein bisschen was persönlich schildern, aus meiner Sicht der Dinge", sagte der Bundestrainer, als er das Wort an seine Zuhörer richtete. Das klang vertraulich und beinahe verschwörerisch, war es aber nicht, denn Joachim Löw saß nicht im stillen Eck einer Gastwirtschaft, sondern im großen Sitzungssaal des DFB-Hauptquartiers an der weltberühmten Otto-Fleck-Schneise. Außer einer Einsatzhundertschaft von Reportern konnte via Live-Übertragung auch das Fußball-Volk seinen Worten folgen. In dieser alles andere als intimen Runde ging es einerseits um eine allgemeine Bekanntmachung - nämlich des Kaders für die nächsten zwei Länderspiele - und andererseits um Aufklärung über die Geheimoperation, die Löw neulich in München unternommen hatte. Dort hatte er unter seltsam anmutenden Umständen die Weltmeister Jérôme Boateng, Thomas Müller und Mats Hummels darüber unterrichtet, dass sie nicht nur auf der Liste für den Test gegen Serbien und das erste EM-Qualifikationsspiel in den Niederlanden fehlen werden - sondern auf überhaupt keiner Nominierungsliste mehr auftauchen sollen.

Man habe "natürlich zur Kenntnis genommen, dass darüber viel diskutiert und interpretiert wurde", sagte der DFB-Sprecher Jens Grittner, und Löw ließ den Anflug eines Lächelns erkennen, was deswegen bemerkenswert ist, weil er ansonsten während seiner Ausführungen das Lächeln konsequent unterlassen hat.

Mit Debatten hatte er wohl gerechnet, aber gefallen hat es ihm trotzdem nicht, dass seine Exkursion landauf, landab in vielerlei Hinsicht missbilligt wurde. Jenseits der sportlichen Aspekte warf man ihm fahrlässiges Vorgehen und schlechten Stil vor, mangelhaftes Gespür, sogar Gefühlskälte beim Überbringen der Botschaft an die alten Helden. Gegen Letzteres verwahrte er sich ausdrücklich. Er finde es "befremdend", von Leuten für Gesprächsinhalte kritisiert zu werden, die gar nicht dabei gewesen seien. Trotz der Verachtung für diese Sorte von unwissenden Besserwissern spürte er keinerlei Eile, sein Befremden zu äußern. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er es frühestens kommende Woche in Wolfsburg - am Ort des nächsten Länderspiels - ausgedrückt. Doch der DFB hielt es für nötig, die Öffentlichkeit so zügig wie möglich über Hintergründe und Motive der plötzlichen Verabschiedung zu informieren und ließ Löw dies auch wissen. Dass der Bundestrainer den angesetzten Termin um eine knappe Stunde verpasste, lag aber nicht an seinem Widerwillen, der sehr feste Formen annehmen kann, sondern an Pünktlichkeitsproblemen der Deutschen Bahn.

Darüber hinaus ist Löw nicht der Meinung, dass diese Angelegenheit die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses erfordert hätte. Mit den Betroffenen wähnt er sich längst wieder im Reinen, mit Boateng und Müller (mit Hummels offenbar noch nicht) habe er während der vergangenen Tage ausführlich telefoniert, berichtete Löw.

Löw zieht den FC Bayern und den DFB nicht ins Vertrauen

Seine Entscheidung, die alten Champions aus dem Dienst zu nehmen, um der jüngeren Generation Platz zur Entfaltung zu verschaffen, hält er ohnehin für richtig ("es war unerlässlich, etwas zu ändern"), und auch am Ablauf der Reise nach München kann er keinen Fehler entdecken: "Das alleroberste Gebot war: Direktheit und es persönlich zu sagen, weil wir offen und ehrlich mit ihnen umgehen wollten", sagte Löw. Aus dieser Voraussetzung resultierte das Vorgehen im Stil einer Kommandoaktion: "Ich hätte mich geschämt, wenn vorher irgendetwas in den Medien aufgetaucht wäre", sprach der 58 Jahre alte Trainer einen Satz, der vieles erklärt und zugleich manche Fragen aufwirft.

Dass Löw, sein Assistent Marcus Sorg und DFB-Manager Oliver Bierhoff an jenem Dienstagvormittag auf einmal an der Säbener Straße vor der Tür standen und Einlass sowie ein Zimmer begehrten, um Einzelgespräche mit Müller, Hummels und Boateng zu führen, das hat die Leute beim FC Bayern auch deswegen irritiert, weil sie den unbewaffneten Überfall als Misstrauensvotum auffassten. Zu dieser Annahme hatten sie durchaus Anlass. Löw hatte auf eine förmliche Anmeldung verzichtet, weil er glaubte: "Die Gefahr, dass etwas durchsickert, war zu groß." Doch er wollte halt unbedingt, dass es seine Weltmeister "von mir persönlich erfahren, nicht am Telefon, nicht über die Medien", und dafür hielt er den Arbeitsplatz der Spieler für besser geeignet als ein Hotel, "wo man dann vielleicht abgeschossen wird". Gemeint ist: mit dem Fotoapparat. "Emotional" sei ihm dieser Gang "wahnsinnig schwergefallen", sagte Löw.

Löw kann das Unverständnis nicht verstehen

Außer beim FC Bayern gab es auch im DFB Unmut darüber, nicht ins Vertrauen gezogen worden zu sein. Selbst der Präsident Reinhard Grindel erfuhr erst durch einen Anruf Bierhoffs um 9.30 Uhr von der Top-Secret-Unternehmung. Löw wurde gefragt, warum er Grindel nicht vorher unterrichtet hatte über das Schicksal der WM-Helden. Die Antwort war eindeutig: "Meine sportlichen Entscheidungen treffe ich absolut autark. Da habe ich die absolute Entscheidungshoheit." Im betreffenden Fall habe er außer Sorg und Bierhoff lediglich den Torwarttrainer Andreas Köpke eingeweiht, Grindel rief er erst nach seiner Visite an der Säbener Straße an.

Für Unverständnis hatte, besonders natürlich bei den Betroffenen, die Endgültigkeit von Löws Entscheidung gesorgt. Er selbst wiederum kann das Unverständnis nicht verstehen. Der Prozess der Beschlussfassung habe schon nach der misslungenen WM eingesetzt, im Januar und Februar habe er sich dann noch ein paar Spiele anschauen wollen, um Klarheit zu gewinnen. Eine vorläufige Lösung habe er von vornherein ausgeschlossen, "es wäre ein Eiertanz gewesen, den Spielern, die so große Verdienste haben", zu sagen, er werde sie vielleicht bald wieder einladen: "Wir haben sie nicht verbannt, sie haben auch nichts verbrochen. Natürlich waren sie am Ende des Gespräches wahnsinnig enttäuscht." Dass sich die drei grundsätzlich weiter zur Verfügung halten, wird kaum zu ihrer Reaktivierung führen. Er wisse zwar nicht, wie es in einem Jahr aussehen werde - "das ist so hypothetisch!" -, aber Löw sieht auch keinen Grund, eine Rückkehr in Aussicht zu stellen.

So rücken nun andere in den Mittelpunkt der Mannschaft. Zum Kapitän Manuel Neuer, den Löw unzweideutig zum Stammtorwart erklärte ("er ist unsere Nummer eins"), und zum Mittelfeldchef Toni Kroos sollen sich jüngere Spieler gesellen und als Führungskräfte etablieren. Einer von ihnen ist Joshua Kimmich, der am vorigen Wochenende auch Kritik an der Entscheidung gegen die Münchner Mitspieler formulierte, den Fall nun aber mit Löw offenbar am Telefon geklärt hat.

Es sind aber nicht nur Hummels und Müller und Boateng aus dem angestammten Kreis ausgeschieden, auch ein jahrelang zuverlässiger Stammspieler, der Kölner Jonas Hector, gehört nicht mehr dem Aufgebot an, lediglich einem imaginären "erweiterten Kader" (Löw). Neu im Aufgebot sind dafür der Berliner Abwehrspieler Niklas Stark, 23, der Leipziger Außenverteidiger Lukas Klostermann, 22, sowie Maximilian Eggestein, 22, von Werder Bremen. Sie sollen helfen, das Spiel der Nationalelf wieder dynamischer und zielstrebiger zu gestalten. Attribute, die der Bundestrainer mit seinen geschätzten Weltmeistern von 2014 heute nicht mehr in Verbindung zu bringen vermag.

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