Kunst:Milde Wilde

Walter Dahn | As Life Travels On 2. März bis 28. April 2019 // Pressebilder sind nur frei zur Berichterstattung über das Ausstellung

Was nicht passt, wird passend gemacht: Motive holt sich Dahn von überall her, deshalb kann es passieren, dass in seinen Werken Personen wie Anne Frank und Bruce Lee in einer Figur zusammenfallen. „Anne Frank wehrt sich III“ (2003).

(Foto: Walter Dahn, Sprüth Magers)

Die Kestnergesellschaft in Hannover zeigt Walter Dahn in einer Retrospektive nicht nur als den Punk-Künstler, der er in den Achtzigerjahren war.

Von Till Briegleb

Wer davon überzeugt ist, dass Künstler immer nur über sich selbst reden, der sollte mal mit Walter Dahn sprechen. Die Frage an den Kölner Maler ist noch nicht einmal halb ausformuliert und schon befindet man sich mittendrin in einer Antwort. Dahn erzählt von seinem Lehrer Joseph Beuys und den anderen Vorbildern seiner Jahre an der Düsseldorfer Akademie, Blinky Palermo, Imi Knoebel, Lothar Baumgarten. Im Café der Kestnergesellschaft in Hannover, die gerade die Dahn-Retrospektive "As Life Travels On" ausrichtet, hat der Künstler flink seinen Laptop zur Hand, wo er zu einer ausholenden assoziativen Schnitzeljagd Bilder seiner Einflüsse zeigt, die er seit fünf Jahren auf digitalen Karteikarten sammelt.

Dieses Privatarchiv reicht von seinem guten Freund Richard Prince zu irgendwelchen großartigen Lehrern von Lehrern von einflussreichen Künstlern in Kalifornien. Dahn ist aber der Meinung, man sollte die gar nicht erst groß publik machen, weil sie dann nur die Kunstmarktgier zur Strecke bringt. Er empfiehlt Countrymusiker für Insider und spricht über den linken Pop der Achtziger von Scritti Politti und Heaven 17. Erinnert sich an Harald Szeemanns Documenta und beschreibt, wie es dort 1972 in der Installation von Paul Thek gerochen hat. Da war Dahn 18 Jahre alt. Aber er spricht einfach nicht über sich selbst und seine Ausstellung.

Walter Dahn ist mittlerweile 65 Jahre und hat oft starke Rückenschmerzen. Vielleicht auch, weil er schon so lange ein Kreuz schleppen muss mit der Inschrift "Junge Wilde", darunter in klein: "Mülheimer Freiheit". Das kann durchaus zur Last werden, wenn man seit vierzig Jahren vielfältige Kunst produziert und jede Biografie immer noch mit demselben Verweis auf die Anfänge beginnt. Da will man vielleicht einfach vermeiden, schon wieder über 1979 zu reden, als Dahn mit Jiři Dokoupil, Peter Bömmels und anderen eine Ateliergemeinschaft aus Zufallsbekanntschaften an der Straße Mülheimer Freiheit gründete und sein Galerist Paul Maenz - so die Mär - den Begriff "Neue Wilde" als Etikett für ihren Öl-Punk erfand.

Dahn malte in einer Phase "zur Not auch mit der Nase"

Dies war der rheinische Zweig des ironischen Aufruhrs in den Achtzigern, der in Hamburg von Kippenberger, Oehlen, Büttner, in Berlin von Salome, Fetting und Middendorf gegen die Abstrakten, Konzeptler, Minimalisten ausgefochten wurde. Gemeinsam hießen sie bald noch forscher "Junge Wilde". Und das ist rückblickend betrachtet sicherlich eine der fairsten Bezeichnungen, die sich Händler zur Kunstvermarktung je ausgedacht haben. Die rabiat schnell hingeknallten Motive von komischen Gestalten und angedeuteten Objekten in Umrisslinien mit so hämischen Titeln wie Dahns "Analytische Malerei" oder "Ein Mann mit einer langen Nase repariert die Karawane" waren die Kreuzung von Gitarren- und Pinselhälsen als Liebeserklärung an eine aufregende Jugendkultur voll Witz, Wagnis und Wut.

Dahn malte in dieser Phase, "zur Not auch mit der Nase", wie ein anderer seiner berühmten Titel hieß. Aber diese unfassbar produktive Phase impulsiver Motivverarbeitung, die alte Bücher über außereuropäische Kulturen ebenso zur Inspiration benutzte wie Fernsehcartoons, politische Geschehnisse und Künstlerbesäufnisse, endete mit den Achtzigern. Und dann begann eine viel längere Episode, in der das Wilde milde, das Surreale real wurde, eine Neuorientierung, die verständlich macht, warum Walter Dahn so leidenschaftlich über andere spricht. Ab den Neunzigern zollt Walter Dahn Respekt.

Er gestaltet verkohlte Objekte, die wie Beuys'sche "Energiespeicher" aussehen und Schriftbilder im Stile Cy Twomblys. Er zeichnet kleine abstrakte Formate wie ein echter Konzeptkünstler und druckt farbig beschichtete Schallplatten auf Papier als Tribut an Kasimir Malewitsch. Man meint, Zwiegespräche mit Sigmar Polke, Marcel Broodthaers, Blinky Palermo, ja sogar Norbert Schwontkowski in seinen Objekten, kleinen Formaten und Siebdrucken zu entdecken. Er reagiert auf andere Künstler, offen, unverkrampft und gesprächsfreudig. Ja, er beginnt irgendwann bescheiden mit Wasserfarben zu malen, was ein Kunstmarktjournalist schließlich mit dem Adjektiv "zauberhaft" den Sammlern anpreist. Unvorstellbar in den Achtzigern.

Aber ein Künstler, der auch in seiner Kunst über andere spricht, widerspricht dem Gesetz des Ego, nach dem der Kunstmarkt funktioniert. Tatsächlich verschwindet Walter Dahn in den Neunzigern ein wenig aus dem Scheinwerferlicht der aufregenden Jugend. "Almost famous" nennt er ein schwarzes Bild im Jahr 2004. Fast berühmt. Das stimmt zwar nicht ganz, denn Dahns Bilder aus der ersten Phase werden bis heute fleißig gehandelt und hochgepriesen. Aber der Star der Achtziger lehrt jetzt mehr für Studenten an der Akademie in Braunschweig. Er selbst produziert vor allem Siebdrucke, die er dezent übermalt. Aber auch die sprechen von anderen, von Musikern, Walter Dahns guten Geistern.

Auch in seinen wilden Jahren war er kein Schöpfer sehr komplexer Werke

Die von ihm selbsteingerichtete Rückschau in den vier großen Sälen der Kestnergesellschaft zitiert in den meisten Werken Pop-Vorkommnisse, eine Jukebox für mentale Rillensprünge. Vor allem seit der Jahrtausendwende zeigen seine übermalten Siebdrucke, die er ins Zentrum der Ausstellung platziert hat, vermehrt Covermotive von The Smiths, den Kinks und Primal Scream, verweisen auf Elvis, an dessen Grab Walter Dahn hemmungslos geweint hat, wie er als lebenslanger Fan ehrlich erzählt. Er erfindet neue Albumcover für Neil Young oder Iron & Wine durch die Kombination von stark gerasterten Fotos aus ethnologischen Bildbänden und farbigen Schriften. Aber er collagiert auch neue hybride Helden zusammen, etwa Anne Frank auf dem Körper von Bruce Lee, die sich "wehrt".

Walter Dahn war auch in seinen wilden Jahren kein Schöpfer sehr komplexer Werke. Es war zuckende Jubelmalerei, die aus der temporeichen Pinselführung ihre Energie bezog, optimistische Leck-mich-Kunst, die nicht - wie Martin Kippenberger oder Albert Oehlen es in ihrer weiteren Entwicklung taten - nach Vielschichtigkeit strebte. Aber Dahn traf vielleicht noch mehr als diese beiden Hochambitionierten ein Lebensgefühl, das kapitalistischen Ehrgeiz und die Logik der Karriere ebenso ablehnte wie die Heuchelei professioneller Vermarktung. Und diese Distanz zum Wichtigtuerischen führt dann vielleicht nach einer erschöpften Phase der Exzesskunst in die Bescheidenheit, wie Walter Dahn sie in Hannover zeigt.

Und so erscheint diese Werkschau über 40 Jahre plötzlich aus einem ebenso schüchternen Geist gezeugt wie der unstoppbare Redeschwall interessanter Verweise, mit dem Dahn nur über andere Künstler spricht. Hier tritt nicht der rücksichtslose Rebell auf, der sich die Welt aneignet, indem er sich über sie lustig macht, sondern der dezente Kommentator, der das eigene Interpretieren im Verhältnis zu anderen nicht künstlich nach vorne rücken mag. Die Reise längs des künstlerischen Lebenswegs von Walter Dahn ist ein "Travel On" ungewöhnlicher Rücknahme. Ein Mann mit guter Nase begleitet die Karawane emotionaler Kultur. Seinen eigenen Beitrag dazu will er nicht mit Peitschenschlägen bekannt machen, sondern mit Geschichten über das Eindrückliche. Thanks, and bon voyage!

Walter Dahn: As Life Travels On. Kestnergesellschaft Hannover; bis 28. April 2019; Katalog in Vorbereitung.

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