Die Grünen:Schwarzfahren soll keine Straftat mehr sein

Fahrscheinkontrolle in Frankfurt am Main

Wer Strafen fürs Schwarzfahren nicht zahlen kann, muss mit Freiheitsentzug rechnen: Fahrkartenkontrolleur in Frankfurt am Main.

(Foto: Andreas Arnold/picture alliance/dpa)
  • Jeder Siebte, der wegen Schwarzfahrens verurteilt wurde, landet laut einer Untersuchung aufgrund von Zahlungsunfähigkeit in Haft.
  • Die Grünen wollen das nun ändern, sie haben sich auf das Ziel geeinigt, das Schwarzfahren zu entkriminalisieren.
  • Die Partei, die in acht Bundesländern mitregiert und in drei von diesen den Justizminister stellt, fordert die Streichung des Straftatbestands.

Von Ronen Steinke, Berlin

Etwa tausend Menschen kommen jedes Jahr bundesweit ins Gefängnis, weil sie einen Bus, eine S- oder eine U-Bahn benutzt haben, ohne eine gültige Fahrkarte zu besitzen. Verurteilt werden sie zwar in der Regel nur zu einer Geldstrafe, können diese aber oft nicht bezahlen.

Die Gefahr, dann eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen, sei bei keinem Delikt höher als beim Schwarzfahren, der Beförderungserschleichung nach Paragraf 265a des Strafgesetzbuchs, fand der Kriminologe Frank Neubacher von der Universität Köln im Jahr 2014 heraus. Jeder Siebte, der wegen Schwarzfahrens verurteilt wurde, landete demnach aufgrund von Zahlungsunfähigkeit in Haft.

Die Grünen wollen das nun ändern, sie haben sich auf das Ziel geeinigt, das Schwarzfahren zu entkriminalisieren. Die Partei, die in acht Bundesländern mitregiert und in drei von diesen den Justizminister stellt, fordert die Streichung des Straftatbestands. Eine Debatte darüber hatte der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) bereits im vergangenen Frühjahr angestoßen. Nun übernimmt aber in dem gerade beginnenden Wahlkampfjahr, das bis zur Bürgerschaftswahl in Hamburg im kommenden Februar reichen wird, die gesamte Partei die Position. Eine entsprechende "Gemeinsame Erklärung grüner Rechtspolitiker*innen" haben am Freitag Parteivertreter aus Bund und Ländern unterzeichnet.

Darin heißt es: Die Verfolgung des Fahrens ohne Fahrschein als Fall für Polizei und Staatsanwaltschaften "verfestigt und verschärft soziale Ungleichheiten, da sie in vielen Fällen sozial schwächere Menschen, zum Teil auch mit körperlichen und seelischen Defiziten, trifft". Die Verkehrsbetriebe bräuchten eine solche harte Unterstützung durch die Justiz gar nicht. Denn sie könnten sich selbst helfen, etwa indem sie zur Abschreckung erhöhte Beförderungsentgelte androhen, im Wiederholungsfall Hausverbote verhängen oder auch Personen, die ohne Fahrschein angetroffen werden, auch nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Feststellung der Personalien festhalten.

Es ist auch eine Frage der Gleichbehandlung

Daneben nennen die Grünen ein praktisches und ein Gerechtigkeitsargument. Es sei der vielerorts überlasteten Justiz nicht zuzumuten, weiter so viele Ressourcen auf dieses "Massendelikt" zu verwenden. Mehr als 200 000 Fälle werden jedes Jahr zur Anzeige gebracht, so die polizeiliche Kriminalstatistik. Dies verbrauche Ressourcen, "die für die Verfolgung schwerer Kriminalitätsformen nicht zur Verfügung stehen".

Hinzu komme: Auf das "Instrumentarium des Ordnungswidrigkeitenrechts", so heißt es in der Erklärung der Grünen, beschränke sich der Staat schon heute bei sehr vielen Formen von "Fehlverhalten" im täglichen Verkehr. Da sei es eine Frage der Gleichbehandlung: Beim Schwarzfahren, wo der angerichtete Schaden oft unter dem schuldig gebliebenen Entgelt bei einem Parkverstoß liege, könne "unter rationalen Gesichtspunkten nichts anderes gelten".

Nach der ersten Debatte im Kreis der Landesjustizminister 2018 hatte es für den Plan zur Entkriminalisierung überraschenden Zuspruch vom Bund Deutscher Kriminalbeamter gegeben. Nun bereitet Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) eine Initiative im Bundesrat vor, mit dem Ziel, das Schwarzfahren zu einer bloßen Ordnungswidrigkeit herabzustufen, mit der sich die Kriminalpolizei nicht länger beschäftigen müsste. Auch von dem nordrhein-westfälischen Justizminister Peter Biesenbach (CDU) hatte es seither Unterstützung für den Plan gegeben, "sodass wir auf diese erfreulich breite Debatte jetzt aufsetzen", wie Behrendt sagt, "und hoffen, dass die Rechtspolitiker der SPD im Bundestag, die derzeit noch blocken, sich der Kraft der Argumente öffnen".

Auf der anderen Seite hat Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) unlängst einen Gegenvorstoß unternommen: Der Rechtsstaat dürfe "auch bei massenhaft auftretenden Delikten mit regelmäßig nur geringen Schadenshöhen" keine Toleranz zeigen, wenn er nicht weiter an Respekt einbüßen wolle. In Sachsen, wo am 1. September gewählt wird, soll die Justiz künftig Diebstahlsverfahren schon bei einem Schadenswert von zehn Euro nicht mehr ohne Auflage einstellen dürfen. Eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens, so hat auch Hessens Ministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) gesagt, wäre "eine Kapitulation des Staates vor den Massendelikten".

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