Nationalelf:Deutschlands Fußball hat Zahnweh

  • Das deutsche Nationalteam will sich von seinen vielen Debatten erholen, doch noch immer beschäftigt den DFB die Ausbootung verdienter Spieler.
  • Es geht auch um verfehlte Kommunikation zwischen dem Bundestrainer und Präsident Grindel.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Es gibt so einiges, was gewöhnungsbedürftig ist. Neuanfänge bringen das mit sich. Aber dass es gleich so viel sein musste? Am Montagvormittag reisten 22 deutsche Auswahlspieler nach Wolfsburg, um im Fünfsternehotel einzuchecken, das der Deutsche Fußball-Bund (DFB) vor dem Testspiel am Mittwoch gegen Serbien (20.45 Uhr, live bei RTL) reserviert hatte, und sie mussten eine Überraschung verdauen: Der Chef war nicht da.

Bundestrainer Joachim Löw, 59, musste sich nach einer kurzfristigen Zahnoperation einer Nachuntersuchung unterziehen und seine Anreise auf den Abend verlegen. Auch beim abendlichen Training in der Wolfsburger Arena musste er sich durch seinen Assistenten Marcus Sorg vertreten lassen. Es war Manager Oliver Bierhoff vorbehalten, das Team zu begrüßen. Und die Schulterklappen neu zu verteilen, die den unlängst ausgemusterten Weltmeistern von 2014, Thomas Müller, Mats Hummels oder Jérôme Boateng, vom Comandante Löw abgenommen worden waren.

"Du weist die neuen Spieler ein!", habe er Leroy Sané von Manchester City aufgetragen, berichtete Bierhoff - lachend. Und erzählte, dass er Protest geerntet habe. "Ich bin doch der Jüngste", habe Sané geantwortet. Was nicht ganz stimmt, der einstige Schalker ist 23 Jahre alt. Oder: schon 23. Der Leverkusener Kai Havertz etwa ist Geburtsjahr 1999, also noch keine 20. Aber Sané hat immerhin schon 17 Länderspiele, und das heißt: Nur elf Spieler aus dem 23er-Kader (Serge Gnabry laborierte am Montag noch an grippalen Beschwerden) haben mehr Länderspiele bestritten als Sané. Gleich drei Spieler sind komplette Neulinge (Niklas Stark von Hertha BSC, Lukas Klostermann von RB Leipzig und Maximilian Eggestein von Werder Bremen).

Nationalmannschaft - Ankunft

Leroy Sané entschied sich bei seiner Jackenauswahl diesmal für das Modell "bemalte Hauswand im Lammfell-Look".

(Foto: dpa)

Sie sollen erst einmal "ankommen, sich eingewöhnen, alles beobachten, konzentriert trainieren und ansonsten alles machen, was der Julian ihnen vorgibt", sagte Bierhoff, als "der Julian", also Julian Brandt, neben ihm auf dem Podium Platz genommen hatte. Auch das sagte Bierhoff im Scherz, aber nur halb. Er dürfte gewusst haben, dass der Leverkusener Brandt, 22, gleich eine erstaunliche Reife an den Tag legen und reflektiert über den Fußball der Zukunft sprechen würde, der Deutschland den Weg zurück an die Weltspitze bahnen soll. Oder kann. Oder muss?

Nur: Wer soll oder will dieser Tage über Sport reden? Die Stunde null des DFB soll von jungen Profis getragen werden, die noch Geduld brauchen, vollzieht sich aber in einer Lage, da die Ausmusterung des berühmten Bayern-Trios wie ein Schatten über der Nationalelf lastet. Unter anderem auch deshalb, weil es DFB-Präsident Reinhard Grindel mit jeder Äußerung schafft, einen weiteren Auftritt vor einem Mikrofon zu erzwingen, um seine jeweils vorangegangene Stellungnahmen einzuordnen, zu relativieren oder zu erklären - also permanent Exegese in eigener Sache betreibt, bis keiner mehr weiß, was er eigentlich will oder wollte, wen er kritisiert und für was. Man könnte meinen, der DFB täte gut daran, den Speaker aus dem britischen Unterhaus zu verpflichten, der so herrlich "Oooordäääär" ruft, wenn sich die Abgeordneten über das Brexit-Chaos zanken.

Gespräche stehen an

Vorerst will der DFB aber die offen zu Markte getragenen Differenzen mit Bordmitteln in den Griff bekommen. Dieser Tage steht ein Gespräch Bierhoffs mit dem DFB-Präsidium und den Verantwortlichen der Deutschen Fußball Liga (DFL) an, das nötig zu sein scheint, obwohl Bierhoff "mit allen Delegationsmitgliedern" schon gesprochen hat. In der Defensive sieht er sich nicht: "Ich habe da keine Verteidigungslinie."

Dafür verteidigte er Löws überfallartige Visite am Trainingszentrum des FC Bayern, der Bundestrainer war dort bekanntlich vor zwei Wochen ohne Vorankündigung erschienen, um Boateng, Müller und Hummels zu sagen, dass er nicht mehr mit ihnen plane. "Das Wichtigste war, dass die Spieler es von uns, von Joachim Löw erfahren", sagte Bierhoff. "Wenn man das mit Vorlauf macht, dann ist das Risiko groß, dass die Spieler über die Medien oder andere Kanäle etwas erfahren", fügte er hinzu. Wobei offen blieb, ob er mit dem anderen Kanal auch den DFB-Chef Grindel meinte.

Der hatte am Sonntag ja schon das nächste Thema aufgemacht: "Ich würde vorschlagen, dass sich alles setzt. Wenn sich dann die Situation ergibt, dass die Spieler von uns verabschiedet werden möchten, dann werden wir das in einer angemessenen Form tun", sagte er im BR. Bierhoff sagte nun am Montag, er werde sich damit beschäftigen, wenn ein Spieler seinen Rücktritt bekannt gibt: "In dem Moment, in dem er nicht mehr zur Verfügung steht, werden wir ihn verabschieden."

Julian Brandt dagegen wollte sich nicht festlegen, was auch dem ausufernden Dank geschuldet war, den er den Verbannten hinterherrief. Die DFB-Tür sieht er für das Trio als nicht endgültig verriegelt an: "Man weiß nie, was im Leben passiert, du spielst eine Supersaison und bist plötzlich wieder drin", sagte er. Und: "Ich glaub', man sieht sich immer zwei Mal im Leben."

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