Alkohol in der Schwangerschaft:Fast 13 000 Babys pro Jahr kommen geschädigt zur Welt

Alkohol

Trinkt die Mutter in der Schwangerschaft Alkohol, können die Kinder schon vor der Geburt am fetalen Alkoholsyndrom erkranken.

(Foto: Alexander Heinl/dpa)
  • Ein internationales Suchtforscherteam hat sich in einer Studie besonders schlimmen Folgen des Alkoholkonsums für Dritte gewidmet.
  • Die Wissenschaftler untersuchten Gesundheitsschäden bei Babys, die durch Alkoholkonsum während der Schwangerschaft verursacht werden.
  • Sie berechneten auch, wie viele unbeteiligte Menschen durch Verkehrsunfälle betrunkener Fahrer oder durch Gewaltausbrüche nach Alkoholkonsum zu Tode kommen.

Von Astrid Viciano

Auf das Wochenende folgen die schrecklichen Nachrichten: Über den betrunkenen Jugendlichen, der auf dem Heimweg von der Disco mit seinem Auto von der Fahrbahn abgekommen ist. Über die junge Frau, die nach exzessivem Trinken im Stadtpark an Unterkühlung starb. Welchen Schaden der Alkoholkonsum aber nicht beim Betrunkenen selbst, sondern bei anderen Menschen anrichten kann, hat jetzt ein internationales Team um den Psychologen Ludwig Kraus vom IFT Institut für Therapieforschung in München berechnet und im Fachblatt BMC Medicine veröffentlicht. "Darüber ist noch zu wenig bekannt", sagt Institutsleiter Kraus. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat er sich in einer Studie besonders schlimmen Folgen des Alkoholkonsums gewidmet.

Allein im Jahr 2014 kamen demnach in Deutschland fast 13 000 Kinder als Folge von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft mit Gesundheitsschäden zur Welt. Wenn schwangere Frauen Alkohol trinken, können die Kinder im Mutterleib an einer fetalen Alkoholspektrumstörung (FASD) erkranken, manchmal an der dazu gehörenden, schweren Form des fetalen Alkoholsyndroms (FAS). Dann können die Gesichtszüge der Babys verändert sein, sie haben zum Beispiel eine zu schmale Oberlippe, eine zu kurze Spalte zwischen den Augenlidern, eine abgeflachte Rinne zwischen Nase und Mund. Auffällig ist oft der geringe Kopfumfang. Besonders schwerwiegend jedoch ist, dass manche der Kinder kognitiv eingeschränkt sind.

Wie viele Babys mit diesen Leiden jedes Jahr in Deutschland zur Welt kommen, ist unbekannt. "Die Diagnose ist schwer zu stellen", erklärt Kraus. Daher nahm er zunächst internationale Studien zur Hand. Die hatten berechnet, wie häufig Kinder von trinkenden Frauen im Durchschnitt an diesen Syndromen leiden. Mit Hilfe von Daten des Robert-Koch-Instituts zum Alkoholkonsum von Schwangeren in Deutschland konnten die Suchtforscher dann abschätzen, wie viele Babys mit diesen schweren Schäden geboren werden: Allein im Jahr 2014 waren das in Deutschland 2930 Babys mit FAS und 12 650 Neugeborene mit FASD. Insgesamt kamen 2014 in der Bundesrepublik 714 927 Kinder zur Welt.

Zusätzlich sahen sich die Wissenschaftler Verkehrsunfälle an, bei denen die Mitfahrer betrunkener Menschen oder Fußgänger zu Tode kamen. Sie riefen zunächst die Daten des Statistischen Bundesamts zur Anzahl von Verkehrstoten für das Jahr 2014 ab und konnten anhand der Diagnoseschlüssel diejenigen auswählen, die durch einen fremdverschuldeten Verkehrsunfall ums Leben kamen.

Da Kollegen in Studien vergleichbarer europäischer Länder anhand von Stichproben bereits berechnet hatten, wie hoch der Anteil der durch Alkoholkonsum verursachten Verkehrsunfälle mit Todesfolge ist, konnten sie diesen Anteil auf ihre Daten übertragen. Aus den ausgewählten Todesfällen konnten sie dann den Anteil an Beifahrern und Fußgängern abschätzen, die durch einen alkoholisierten Fahrer ihr Leben verloren. 2014 waren es den Berechnungen nach 1214 Menschen.

Ähnlich gingen sie bei den Gewaltdelikten vor. Hier kamen sie auf 55 Opfer eines alkoholisierten Täters, ebenfalls für das Jahr 2014.

Wie groß das Problem in Deutschland weiterhin ist, zeigen die neuesten Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation. Während der Alkoholkonsum in vielen Ländern in den vergangenen Jahren abnahm, stieg er in Deutschland von 12,9 Litern reinen Alkohols pro Kopf im Jahr 2010 auf 13,4 Liter im Jahr 2016. Weltweit leiden etwa 237 Millionen Männer und 46 Millionen Frauen an einem Alkoholproblem, die meisten davon leben in Europa und auf dem amerikanischen Doppelkontinent.

Alkohol ist die bei weitem gefährlichste Droge

Bereits im Jahr 2010 hatte der britische Psychiater David Nutt vom Imperial College in London die Folgen des Alkoholkonsums für Großbritannien berechnet. Er hatte die Folgen für den Trinker selbst und seine Umgebung zusammengefasst und herausgefunden, dass Alkohol die bei weitem gefährlichste Droge ist, vor berüchtigten Substanzen wie Heroin, Crack und Kokain. "Jetzt liegt uns eine hochwertige neue Studie vor, die erneut die massiven Schäden des Alkoholkonsums darlegt", sagt Nutt. Daher sollte nun eine gesellschaftliche Debatte darüber entstehen, wie sich diese Risiken minimieren lassen, fordert der britische Psychiater.

Auch Kraus wünscht sich strengere Regulierungen für den Alkoholkonsum. "Unsere Schätzungen sollen der Politik nahelegen, wie viele unschuldige Menschen das Problem betrifft", sagt Kraus. Ähnlich wie vor Jahren die Nichtrauchergesetze eingeführt wurden, um unbeteiligte Menschen vor den Folgen des Zigarettenrauchs zu schützen, sollte auch mit Alkohol umgegangen werden. Die Verkehrskontrollen zum Beispiel könnten sehr viel häufiger sein, erklärt Kraus, und der Verkauf von Alkohol an Tankstellen sollte verboten werden. Aber auch andere Maßnahmen, wie etwa Schwangere gezielt zu informieren und zu beraten, sieht er als wichtiges Ziel.

Sein britischer Kollege David Nutt geht sogar noch einen Schritt weiter. Er forscht bereits an einer Alternative zu Alkohol. Sie soll ähnlich entspannend und auflockernd wirken wie Wein, Bier oder Schnaps, so berichtet der Psychiater, aber eben keine Risiken oder Gesundheitsschäden mit sich bringen, weder für den Trinker selbst noch für seine Umgebung.

Anmerkung: In einer früheren Version des Textes war die Zahl der Kinder, die als Folge von Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft mit Gesundheitsschäden zur Welt kommen, mit 16 000 beziffert worden. Diese Zahl ist zu groß, wir haben den Fehler korrigiert.

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