Interview mit Timoschtschuk:"Das Leben ist ein täglicher Kampf"

Der derzeit ausgebootete Bayern-Zugang Timoschtschuk über van Gaals Stil, einen Einsatz als Rechtsverteidiger und Meisterfeiern ohne Weißbier.

Johannes Aumüller

sueddeutsche.de: Anatolij Alexandrowitsch, Sie sind mehr als drei Monate in Deutschland. Haben Sie sich an München gewöhnt?

Interview mit Timoschtschuk: Anatolij Timoschtschuk ist mit seiner derzeitigen Situation nicht zufrieden.

Anatolij Timoschtschuk ist mit seiner derzeitigen Situation nicht zufrieden.

(Foto: Foto: dpa)

Anatolij Timoschtschuk: Ja, alles ist in Ordnung, nur spielen wir derzeit alle drei Tage in den Klub-Wettbewerben oder wie jetzt mit der Nationalmannschaft. Und da gibt es keine Zeit, mal in die Stadt zu gehen.

sueddeutsche.de: Sie haben endlich einen Lehrer gefunden und angefangen, regelmäßig Deutsch zu lernen. Wie unterhalten Sie sich mit Ihren Mitspielern?

Timoschtschuk: Unterschiedlich. Mit einigen auf Deutsch, mit einigen auf Englisch, manchmal auch auf Kroatisch und mit Miroslav Klose auf Polnisch. Und mit Ivica Olic natürlich auf Russisch. (Olic spielte fast vier Jahre für ZSKA Moskau, die Red.)

sueddeutsche.de: Welchen Unterschied haben Sie zwischen dem russischem und dem deutschen Fußball bemerkt?

Timoschtschuk: In erster Linie in der ganzen Organisation rund um den Fußball. Die Infrastruktur, die Spielfelder, die Stadien, das Verhältnis der Leute zueinander insgesamt, das alles ist professioneller als in Russland. Überall sind die Stadien voll, überall entsprechen die Spielfelder allen Anforderungen. Ich denke, Fußballer arbeiten immer gerne unter solchen Bedingungen.

sueddeutsche.de: Und mit Blick auf die fußballerischen Qualitäten? Oft heißt es, dass es in Deutschland keine leichten Gegner gibt, während man in Russland nur ein paar Mal pro Saison richtig gefordert ist.

Timoschtschuk: Nein, auch in Russland ist jedes Spiel schwer. Fahren Sie doch einmal nach Tomsk oder nach Naltschik und schauen Sie, ob es da einfach ist. In Deutschland haben viele Mannschaften einen sehr guten Kader. Ich denke aber, dass die Bundesliga in der nächsten Zeit noch stärker wird.

sueddeutsche.de: Wie schwer war es für Sie, als Sie in den ersten Spielen nicht spielten und auch zuletzt nur auf der Bank saßen?

Timoschtschuk: Diese Situation ist für jeden Spieler schwer, zumindest für jeden Profi, der es gewohnt ist, immer zu spielen und seiner Mannschaft zu nutzen.

sueddeutsche.de: Aber Ihre Situation ist eine besondere. Als Sie zu Bayern wechselten, erwarteten alle von Ihnen, dass Sie die Mannschaft anführen könnten.

Timoschtschuk: Sowohl im Spiel als auch im Training versuche ich, Verantwortung zu übernehmen. Ob das dann für die Startelf reicht, hängt vom Trainer und seinen Vorstellungen vom Fußball ab. Aber das Leben als Ganzes ist ein täglicher Kampf mit irgendwelchen Schwierigkeiten. Und ich bin immer bereit zu kämpfen.

sueddeutsche.de: Haben Sie oft mit dem Trainer über Ihre Situation gesprochen?

Timoschtschuk: Was soll der Trainer sagen? Der Trainer hat seine Prinzipien und es ist manchmal schwer für ihn, Entscheidungen zu treffen, weil in seiner Mannschaft 25 Spieler stehen, die alle eine hohe Qualität haben. Ich als Spieler kann nur versuchen, meine Arbeit zu machen, eine Situation zu analysieren und Konsequenzen daraus zu ziehen.

sueddeutsche.de: Es gibt zwei Typen von Trainern. Die einen entscheiden nur, die anderen sprechen viel mit den Spielern und erklären ihre Maßnahmen. Zu welchem Typ gehört van Gaal?

Timoschtschuk: Van Gaal kommuniziert viel mit der Mannschaft und mit den Spielern. Es braucht auch einfach ein bisschen Zeit, um die Qualität der Mannschaft zu erhöhen.

sueddeutsche.de: Wenn van Gaal entscheidet, wer auf der Bank sitzt, erklärt er dann konkret: Anatolij, du sitzt heute aus diesem oder jenen Grund auf der Bank.

Timoschtschuk: Nein, es wird nur die Aufstellung genannt.

sueddeutsche.de: Aber vielen Spielern ist es in diesem Moment sehr wichtig, eine Erklärung zu bekommen.

Timoschtschuk: Ich verstehe, was Sie meinen, aber erklären kann man alles, nicht wahr? Man kann das eine denken, und das andere denken. Ich glaube, ein Spieler, der sich objektiv beurteilt, fühlt selbst, inwieweit er in diesem Moment bereit ist zu spielen und wie gerecht die eine oder andere Situation ist.

sueddeutsche.de: Van Gaal ist ein Trainer, der im Kollektiv denkt und dem Eigenheiten nicht gefallen. Sie dagegen gelten als ein Spieler mit einem gewissen Glamour-Faktor, hatten in St. Petersburg einen eigenen Koch, eine Masseuse und einen Pressesprecher.

Timoschtschuk: Ich habe in meiner Karriere immer die Interessen des Klubs über die eigenen gestellt. Ich tue jedenfalls alles dafür, damit die Zeit der Anpassung so kurz wie möglich wird. Ein Sportler sollte sehr auf eine gesunde Ernährung achten, um das Maximum aus seinem Körper rauszuholen. Wie sagt man auf Deutsch: Der Mann ist, was er isst. Jeder Trainer begrüßt es, wenn ein Sportler so denkt. In München habe ich anders als in St. Petersburg keinen Koch und keine Masseuse, was ich sehr schade finde.

Auf der nächsten Seite: Was Timoschtschuk über Vergleiche mit van Bommel denkt und warum er die Umstellung auf das 4-3-3-System begrüßte.

"Van Bommel ist ein Partner wie jeder andere auch"

sueddeutsche.de: Gab es schon Momente, in denen Sie bedauert haben, dass sie zu Bayern gewechselt sind?

Timoschtschuk: Ich bedauere im Leben nie irgendetwas. Ich reflektiere eine Entscheidung, ich denke über sie nach, aber ich bedauere sie nicht. Wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, halte ich sie für richtig und versuche alles zu machen, um das Angedachte zu erreichen.

sueddeutsche.de: In einer russischen Zeitung war die Aussage ihrer Frau zu lesen, dass auch andere europäische Klubs gute Spieler auf Ihrer Position bräuchten ...

Timoschtschuk: Falls sie das gesagt haben sollte, wird das schon seine Gründe gehabt haben. Sie können sie immer direkt dazu fragen.

sueddeutsche.de: Sind Sie überzeugt, dass Sie Ihre Lieblingsposition im defensiven Mittelfeld einnehmen werden, wenn van Bommel zurückkommt?

Timoschtschuk: Ich bin nur überzeugt von mir und von meiner Arbeit, weil ich immer 100 Prozent gebe. Alles weitere und die Frage, welcher Spieler auf dieser oder jener Position spielt, ist die Entscheidung des Trainers. Man kann mich auf verschiedenen Position ausprobieren, aber ich sage: Ich spiele seit vielen Jahren auf der Sechs und auf dieser Position bin ich effektiver für die Mannschaft.

sueddeutsche.de: Van Bommel ist Ihr großer Konkurrent im Kampf um einen Stammplatz. Worin unterscheidet sich Ihr Spiel vom Spiel van Bommels?

Timoschtschuk: Solche Vergleiche will ich nicht ziehen. Für mich ist van Bommel ein Partner in der Mannschaft wie jeder andere auch. Ich kenne mein Spiel, ich bin bereit, auf dem Platz 90 Minuten zu fighten und zu kämpfen. Und gerade dieser Kampfgeist ist das, was man meiner Meinung nach von einem Sechser fordert. Diese Position ist erstens sehr wichtig, weil in der Mitte des Feldes sehr viel entschieden wird, und zweitens nicht sehr leicht. Es gibt nicht viele Spieler, die diese Position auf einem hohen Niveau ausfüllen können.

sueddeutsche.de: Es heißt, van Gaal plane Sie auch als Rechtsverteidiger ein, falls Philipp Lahm ausfällt oder auf der linken Seite verteidigen muss. Wären Sie bereit, als rechter Verteidiger zu spielen?

Timoschtschuk: Sagen wir so: Ich habe in meiner Karriere vom Linksverteidiger bis zum Angreifer schon alles gespielt, sowohl in der Nationalelf als auch bei Schachtjor Donezk auch auf der rechten Verteidigerposition. Schachtjor hat mich als Stürmer gekauft, als ich 18 war. Danach, mit 20, 21, habe ich angefangen, im Mittelfeld zu spielen, schließlich als Sechser. Doch jeder Spieler sollte eine Rolle haben, in der er seine Qualitäten am besten zeigen kann. Deswegen denke ich nicht, dass man für einen Spieler irgendetwas ausdenken oder Neues finden muss. Erst recht nicht für einen Spieler, der in seiner Karriere mehr als 600 Spiele bestritten hat, darunter rund 200 internationale.

sueddeutsche.de: Hat es Sie gefreut, dass nach dem Kauf von Robben van Gaal das System auf 4-3-3 umgestellt hat?

Timoschtschuk: Natürlich ist das 4-3-3 bequemer für mich, weil ich in den vergangenen Jahren bei Zenit genau so gespielt habe wie jetzt Bayern spielt.

sueddeutsche.de: Viele sagen, dass der FC Bayern Probleme in der Abwehr hat. Dennoch ist er offensiv aufgestellt, mit nur einem "Sechser" und fünf mehr oder weniger nach vorne orientierten Spielern.

Timoschtschuk: Fußball ist heutzutage ein Spiel, in dem die ganze Mannschaft verteidigt. Aber alles muss ausbalanciert sein. Wenn es die Situation und der Gegner erlauben, dass fünf Spieler in der Offensive spielen können, warum sollte man nicht so spielen? Man muss schauen, gegen wen man spielt und in welche Richtung das Spiel angelegt ist. Wie viele Mittelfeldspieler und wie viele Angreifer spielen, ist nicht wichtig.

sueddeutsche.de: Stimmt es, dass Sie überhaupt keinen Alkohol trinken?

Timoschtschuk: Ja.

sueddeutsche.de: Das heißt, Sie gewinnen vielleicht die Meisterschaft oder die Champions League und Sie feiern ohne Weißbier?

Timoschtschuk: Nicht nur ohne Weißbier, sondern mit überhaupt keinem alkoholischen Getränk. Ich lebe nun mal so. Ich kann mich am Leben erfreuen, dafür brauche ich nicht irgendwelche zusätzliche Stimulatoren in Form von Alkohol.

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