Billard:Drama in acht Ordnern

"Der BBV bewegt sich zielsicher auf die Insolvenz zu": Das Präsidium des Bayerischen Billardverbands bleibt trotz heftiger Kritik vorerst im Amt, der Posten des Finanzvorstands ist aber längst verwaist.

Von Dominik Wolf

Wenn Peter Sporer das Wort ergreift, dann brennt es im Bayerischen Billardverband (BBV). Über 20 Jahre war er Präsident des Verbandes, nun im Alter ist er es noch ehrenhalber. Eigentlich halte er sich ja raus, heute aber müsse er sich einmischen, sagt er. Der BBV trifft sich an diesem Sonntagnachmittag im Haus des Sports in München zu einer "außerordentlichen Mitgliederversammlung", das hört sich schon unheilvoll an. Gleich zu Beginn erhebt sich Sporer von seinem Platz und verliest einen Antrag, der mit einem Appell endet: "Wir müssen uns von diesem Präsidium trennen, liebe Sportfreunde."

Der BBV ist der größte Landesverband in der Deutschen Billard Union (DBU), 128 Vereine gehören ihm an, etwa die Hälfte davon ist im Saal vertreten. In den Tischgesprächen geht es um Geld, um Intransparenz und verloren gegangenes Vertrauen. Die Gefechtslinie ist klar: Wir, die Vereine, gegen die, das Präsidium. Roland Gruß ist in einer Doppelfunktion nach München gekommen, als Vorsitzender des Rechtsausschusses des BBV einerseits und als Vertreter seines Heimatvereins 1.PBC Aschaffenburg-Damm andererseits. Er erfuhr durch einen Anruf der DBU vor zwei Jahren von einer finanziellen Schieflage des Verbands. Gruß kontaktierte daraufhin ein paar Vereine und drängte auf eine außerordentliche Mitgliederversammlung. Die letzte ordentliche fand vor drei Jahren statt, seitdem hat das Präsidium einen Termin abgesagt und einen zweiten verschoben - aus Sicht der Kritiker ist das ein Indiz für das Chaos im Verband. Sie haben längst den Eindruck gewonnen, dem Präsidium gehe nur noch darum, sich von aller Schuld reinzuwaschen und die Illusion zu erhalten, man habe alles im Griff.

Präsident Florian Ludwig ist nicht anwesend, er hat sich entschuldigen lassen, seine Lebensgefährtin und er erwarten ein Kind. Am Telefon erzählt er der SZ, dass er die Stimmung zwischen Präsidium und Vereinen schon als aufgeheizt wahrnehme, seit er 2012 zum Präsidium des BBV stieß. Als er vor drei Jahren zum Präsident gewählt wurde, habe er ein Chaos vorgefunden, dass es zu ordnen galt. Also betraute das Präsidium Susanne Klassin mit der Aufarbeitung der Finanzen. Die sitzt jetzt anstelle des Präsidenten auf dem Podium und bekommt all die angestaute Wut ab. Dabei ist sie gar nicht Teil des Präsidiums, jedenfalls kein gewählter, sondern kümmert sich um die bayerische Billardjugend.

Die Finanzordnung des Verbandes sieht für alle wirtschaftlichen Angelegenheiten eigentlich den Vizepräsident Finanzen vor, doch dieser Posten ist unbesetzt. Im Vereinsregister ist eine Person eingetragen, die schon vor drei Jahren per Misstrauensantrag ihres Amtes enthoben wurde, auch ihren Nachfolger ereilte dieses Schicksal. Für Buchhaltung und Belegprüfung ist die Geschäftsstelle verantwortlich, doch im Streit über fehlende Belege, so der Vorwurf, entzog das Präsidium der Geschäftsstelle die Buchhaltung. Ludwig sieht das anders: "Wir wollten niemanden aushebeln, sondern das Chaos in der Buchhaltung beenden und sie auf eine vernünftige Grundlage stellen. Bevor wir Zahlen herausgeben konnten, mussten wir selbst erstmal in Erfahrung bringen, wie es eigentlich um den Verband steht."

Deshalb beauftragte das Präsidium Ende 2017 eine Steuerkanzlei mit der Erstellung der Bilanzen. Auf dem Podium referiert die Inhaberin jener Kanzlei über ihre Arbeit des zurückliegenden Jahres und unterlegt mit Zahlen, was im Saal schon jeder geahnt hat: "Der BBV bewegt sich zielsicher auf die Insolvenz zu, wenn nicht kurzfristig Geld aufgetrieben wird."

Die Folgen einer Insolvenz wären drastisch: Die bayerischen Vereine dürften nicht mehr an Wettkämpfen auf Bundesebene teilnehmen, der Verband bekäme keine Fördermittel mehr aus dem Landessportverband und riskiert obendrein den Verlust der Gemeinnützigkeit. Viele der Anwesenden erfahren gerade zum ersten Mal, wie es um die finanzielle Situation des Verbands wirklich bestellt ist. Die Finanzordnung des BBV verlangt eigentlich für jedes Geschäftsjahr eine Bilanz, die den Vereinen zugänglich gemacht werden muss. Auch dafür hat das Präsidium Sorge zu tragen - eigentlich. Jetzt lagern, in acht Ordnern abgeheftet, die vorläufigen Bilanzen der Jahre 2016 und 2017 auf dem Podium. Jeder ist eingeladen, sich selbst ein Bild zu machen. Aber was soll man da herausfinden in der Kürze der Zeit? Die Mitglieder sehen, dass der Verband fast pleite ist, aber sie wollen wissen: warum?

Die Misere begann noch vor seiner Amtszeit, sagt Ludwig. Vor sechs Jahren war das. Damals, als Sporer, der Ehrenpräsident, sich das letzte Mal gezwungen sah, das Wort zu ergreifen. Die DBU hatte gerade beschlossen, dass ihre Verbände pro Quartal eine Pauschale für jeden aktiven Spieler abführen müssen. Bei 2800 Aktiven in Bayern kein kleiner Betrag. Das damalige Präsidium wollte die Vereinsbeiträge erhöhen, um die Kosten aufzufangen. Sporer hielt auf der Mitgliederversammlung eine Gegenrede, die Vereine beschlossen, die Pauschale auf die Vereine umzulegen und nicht in voller Höhe an die Aktiven durchzureichen.

Doch weil auch die Fördermittel aus öffentlicher Hand immer weiter schrumpften, musste der BBV die Differenz fortan mit eigenem Geld ausgleichen - bis zu 30 000 Euro im Jahr seien das gewesen, sagt Ludwig. Anfang des Jahres erhöhte die DBU ihre Pauschale noch einmal, da waren die Rücklagen des Verbands schon zusammengeschmolzen.

Der größte Vorwurf, den die Vereine ihrem Präsidium machen, ist: nicht gehandelt und sie über die Not im Unklaren gelassen zu haben. Ludwig räumt ein: "Wir haben viele Fehler gemacht, besonders was die Transparenz und Kommunikation mit den Vereinen betrifft." Der Verband braucht nun schleunigst Geld, um eine Insolvenz abzuwenden. Und eigentlich wollten die Klubvertreter doch das Präsidium heute abwählen. "Wenn es jemanden gibt, der für das Amt besser geeignet ist, räume ich meinen Posten", sagt Ludwig.

Auf die Frage, wer sich vorstellen könne, ein Amt zu übernehmen, meldet sich niemand. Am Ende beschließen die Vereine immerhin, die Erhöhung der DBU-Beiträge an die Aktiven durchzureichen. Das Präsidium bleibt und soll dringende Verbindlichkeiten aus der Welt schaffen - eine Art Galgenfrist bis zur nächsten Versammlung. Dann können die Kritiker es ja immer noch vom Hof jagen.

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