Demografischer Wandel:Der Rentenpolitik fehlt es an Weitsicht

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Die Generation der Babyboomer geht in Ruhestand, wie sollen die nachwachsenden geburtenschwachen Jahrgänge die Lasten tragen?

(Foto: Florian Peljak)

Die große Koalition plant teure Rentenprojekte, anstatt zuerst die Frage zu klären: Was muss passieren, bevor bald jedem Beitragszahler rechnerisch ein Rentner gegenübersteht?

Kommentar von Hendrik Munsberg

Es ist eine Nachricht, die klingt wie helles Glockengeläut. Zum 1. Juli werden die Renten kräftig erhöht. Im Westen Deutschlands steigen sie um gut drei, im Osten sogar um beinahe vier Prozent. Abermals profitieren die Rentner von der guten Lage am Arbeitsmarkt und von deutlichen Lohnsteigerungen. Das sei ihnen vergönnt. Seit 2014 sind die Altersbezüge im Westen um 15, im Osten um immerhin 20 Prozent gewachsen. Die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen beiden Teilen Deutschlands kommt voran. Wenn das keine frohe Botschaft ist.

Doch es gibt noch eine Neuigkeit, die alarmieren muss: Im nächsten Jahr, so die Haushaltsplanungen von Finanzminister Olaf Scholz, wird der Steuerzuschuss des Bundes zur Rentenversicherung erstmals die Grenze von 100 Milliarden Euro überschreiten, bis 2023 soll er auf 114 Milliarden Euro anschwellen. Ausgerechnet zu einer Zeit, da die Wirtschaft vor einer empfindlichen Konjunktureintrübung steht, sehr wahrscheinlich sogar vor einem Umbruch, ausgerechnet da verplant die Politik in fahrlässiger Weise große Summen für immer neue Rentenversprechungen, die den Staat sehr lange binden. Die CSU hat ihre höhere Mütterrente schon durchgesetzt, jetzt adelte der SPD-Finanzminister die Pläne seiner Partei für eine "Respektrente", die ohne jede Bedürftigkeitsprüfung gewährt werden soll.

Fahrlässig daran ist, dass SPD und Union so tun, als ob der mittlerweile zehn Jahre währende Aufschwung allenfalls ein bisschen getrübt werden könnte, aber nie enden. Geradezu verantwortungslos aber muss man nennen, dass sich die große Koalition seit Langem beharrlich weigert, den Blick zuerst einmal in die etwas fernere Zukunft der Alterssicherung zu richten - vor weiteren teuren Rentenprojekten. Stattdessen schauen die Parteien jetzt nur noch auf den Herbst, dann werden in drei ostdeutschen Bundesländern Landtagswahlen abgehalten.

Aber war da nicht was - der demografische Wandel, der für das Rentensystem zur Herausforderung wird? Die Generation der Babyboomer geht in Ruhestand, wie sollen die nachwachsenden geburtenschwachen Jahrgänge die Lasten tragen? Zudem werden die Menschen immer älter, alle zehn Jahre steigt die Lebenserwartung um zweieinhalb Jahre. Berechnungen des Freiburger Rentenexperten Bernd Raffelhüschen zeigen: Während heute 20,5 Millionen Rentnern immerhin 32,9 Millionen Beitragszahler gegenüberstehen, werden 2050 auf etwa 25 Millionen Rentner nur noch 26,5 Millionen Beitragszahler kommen.

So funktioniert die Kunst des Verdrängens

Doch solche Fragen hat die große Koalition in einem Akt vorsätzlicher politischer Amnesie erst einmal vertagt, bis März 2020 soll eine Rentenkommission dazu Vorschläge erarbeiten. So funktioniert die Kunst des Verdrängens. Womöglich ist das allzu oft schlecht gelaunte Regierungsbündnis dann längst zerbrochen. Einstweilen haben Union und SPD die Wirklichkeit durch "eine doppelte Haltelinie" wegdefiniert. Bis 2025 soll das Rentenniveau, also das Verhältnis der Durchschnittsrente nach 45 Beitragsjahren zum Durchschnittslohn, auf dem heutigen Stand von 48 Prozent bleiben. Zudem sollen die Beiträge nicht über 20 Prozent hinaus wachsen, derzeit liegt der Satz bei 18,6 Prozent.

So funktioniert Politik bei schönem Wetter. Was aber, wenn die goldenen Jahre bald vorüber sind? Vieles spricht leider dafür. Die mit Abstand bedeutendste Branche, die Autoindustrie, muss ihren Produktionsapparat schon bald in großem Stil auf Elektrofahrzeuge umrüsten; selbst wenn das klappt, dürfte es viele Arbeitsplätze kosten. Der Zollstreit mit Donald Trump schwelt weiter. Noch sucht der US-Präsident eine Einigung mit China, um sich dann seinem Lieblingshassobjekt zuzuwenden - den deutschen Autos.

Die Gesellschaft erwartet schon lange eine Antwort auf die Frage, was geschehen muss, damit das Rentensystem zukunftsfest wird. Die Vernunft hätte geboten, eine so wichtige Frage in guten Zeiten zu klären. Alterssicherung gehört zum Kern des Sozialstaats, auf Änderungen müssen sich Generationen einstellen.

Doch die Logik der politischen Parteien orientiert sich selten an längeren Linien. Auch SPD-Kanzler Gerhard Schröder konnte sich erst zu Arbeitsmarktreformen durchringen, als die Probleme übermächtig wurden. Es sieht so aus, als ob sich dieses Muster bei der Rentenversicherung wiederholen soll.

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