Video-Wettkampf:Athleten am Bildschirm

Lesezeit: 4 min

Spieler in der Computerspielliga NBA2K. (Foto: Invision for NBA 2K)

Sportspiele belegen im E-Sport-Markt nur eine Nische. Dabei sind sie nah an der Wirklichkeit. Nun sollen Profivereine die Leute für die neue Disziplin begeistern.

Von Claus Hulverscheidt und Jürgen Schmieder, New York

Manchmal, wenn er die Augen schließt, dann sieht sich Jordan Sowers wohl tatsächlich auf dem Spielfeld. Die Menschen auf den Tribünen sind von ihren Sitzen aufgesprungen, es laufen die letzten Sekunden des Spiels. Crunch Time nennen die Amerikaner das, und Sowers gilt als einer, der in diesen prägenden Momenten ganz besonders herausragend agiert: kurze Körpertäuschung, ansatzloser Wurf. Die Schlusssirene ertönt, die Kugel rauscht durch den Korb. Es ist ein emotionaler Höhepunkt, wie ihn selbst die millionenschweren Stars der nordamerikanischen Basketballliga NBA nur selten erleben. Sowers ist Basketballspieler - allerdings nicht auf dem Parkett, sondern an der Spielkonsole.

"Ich habe Basketball schon als Kind geliebt, bin allerdings nicht mit dem notwendigen Körperwuchs gesegnet", sagt Sowers grinsend und schaut an sich herab. "Gucken Sie mich doch mal an: fünf Fuß acht!" Tatsächlich: Mit 173 Zentimetern und ein wenig Hüftgold wird man kein Profi in einer Liga, in der mittlerweile sogar Aufbauspieler die Zwei-Meter-Marke knacken. Dennoch ist Sowers an diesem sonnig-kalten Märzabend nach Brooklyn gekommen, um in der Halle, in der gewöhnlich der Profiklub Nets seine Heimspiele austrägt, an der Talentauswahl der NBA teilzunehmen - jener für die Computerspielliga NBA 2K, die der Basketballkonzern gemeinsam mit dem Videospielhersteller Take-Two Interactive betreibt.

Wettbewerbe in Videospielen sind längst als Sportart anerkannt: Amerikanische Universitäten vergeben Stipendien an die besten Spieler, finanzkräftige Unternehmen wie Nike, Mercedes oder McDonald's unterstützen die einzelnen Ligen, Profis wie Kuro Takhasomi (Deutschland, Dota 2), Sasha Hostyn (Kanada, Starcraft II) oder Lee Sang-hyeok (Südkorea, League of Legends) verdienen pro Jahr Gehälter, Prämien und Sponsorengelder im siebenstelligen Bereich - und bei der Debatte, ob Computerspiel-Turniere ins olympische Programm aufgenommen werden sollen, ist mittlerweile die Frage erlaubt: Kann es sein, dass Olympia die Videosportler dringender braucht als umgekehrt?

Dominiert wird der E-Sport von Strategie- und Shooter-Spielen, Sportspiele belegen derzeit nur eine Nische. Interessant sind sie dennoch, weil es nun mal das sportliche Pendant aus der wirklichen Welt gibt. Die Zuschauer kennen Regeln, Ligen und Vereine, und es gibt bereits eine breit aufgestellte und loyale Fanbasis. Ligen wie NBA 2K dienen als Hybrid, um Leute aus der analogen Welt für diese neuen Disziplinen zu begeistern, und sie sollen junge Menschen noch stärker an die NBA binden, die sich derzeit auf recht aggressivem Expansionskurs befindet.

"Mehr als 250 Millionen Menschen haben im vergangenen Jahr E-Sport geguckt", sagt Take-Two-Geschäftsführer Strauss Zelnick am Rande der Brooklyner Talentshow, des sogenannten Drafts: "Wir werden in diesem Jahr mehr Exemplare von NBA 2K verkaufen als jemals zuvor." Die Tech-Giganten AT&T, Dell und Intel sind Sponsoren der Liga, die im April mit 21 Mannschaften die zweite Saison beginnen wird. Jede Mannschaft besteht aus fünf Spielern und einem Ersatzspieler, die jeweils ihren ganz speziellen Avatar steuern. Anders als Hobby-Sportler sind das nicht Abbilder der tatsächlichen NBA-Profis, sondern Neuschöpfungen, die aus Gründen der Chancengleichheit auf ihren Positionen jeweils gleich programmiert sind. Es hängt also allein vom Geschick und der Übersicht des E-Sportlers ab, ob seine Figur einen Drei-Punkte-Wurf schafft oder einen Ballverlust produziert.

198 Sportler bewerben sich an diesem Märzabend in Brooklyn um 75 freie Plätze. Die in der ersten Runde Gewählten bekommen ein Grundgehalt von 37 000 Dollar, sie dürfen individuelle Sponsorenverträge abschließen. Die beiden Turniere während der regulären Saison sind mit jeweils 180 000 Dollar dotiert, das siegreiche Team bekommt 360 000 Dollar. Die besten Spieler dürften also während der sechs Monate dauernden Spielzeit deutlich im sechsstelligen Bereich verdienen.

Der Platz vor dem Barclays Center ist wie leergefegt an diesem Nachmittag. Ein paar Leute eilen vorbei, verschwinden in U-Bahn-Schächten und umliegenden Geschäften. Drinnen jedoch geht es fast zu wie bei der Talentwahl der NBA. Auf dem roten Teppich drängen sich Dutzende junge Leute. Fast alle sind Männer. Es gibt die Sportlichen, die Seriösen, die Lässigen, die Dandyhaften. Manche sehen aus wie jene stereotypen Nerds, wie man sie aus Dokumentationen und Netflix-Serien kennt: ein paar Pfunde zu viel, schlecht sitzendes Hemd, die Haare leicht fettig. Auf der anderen Seite sind da aber auch die Bling-Bling-Typen: ausgefallene Frisur, Ray-Ban-Sonnenbrille, dicke Ringe an den Fingern.

Um kurz nach 17 Uhr betritt Liga-Chef Brendan Donohue die Bühne und verkündet den Namen des "First Pick": Wie in der echten Basketballliga darf, vereinfacht gesagt, das schlechteste Team der Vorsaison zuerst wählen: die Utah Jazz. Der amtierende NBA-2K-Meister, die New York Knicks, wählen als Letzte - ausgerechnet jene Knicks, die im wirklichen Basketball zur Lachnummer der Liga verkommen sind. Vielleicht sollte sich der Verein künftig einfach aufs Computerspielen verlegen.

Jazz Gaming hat sich für Spencer Wyman entschieden. Er schüttelt ein paar Hände, setzt sich die Baseballmütze auf und stakst im weinroten Anzug auf die Bühne. "Es ist ein unbeschreibliches Gefühl. Den ganzen Tag fiebert man dem Abend entgegen - und dann das", sagt Wyman in das Mikrofon des Interviewers und setzt damit den Ton für den Abend: Manche der Auserwählten danken ihren Eltern, andere sind überwältigt, wieder andere sagen, der Star sei die Mannschaft.

Als zweiten Spieler ziehen die Warriors aus Oakland, im wirklichen Basketball zuletzt zwei Mal nacheinander Meister, Samuel Salyers, auf Platz drei folgt Michael Diaz, der künftig für die Kings aus Sacramento spielen wird. So geht das weiter im Zwei-Minuten-Abstand, jedes Mal nimmt Donohue die paar Stufen hoch auf die Bühne wieder schwungvoll in Angriff, während sich unten im Saal langsam so ein bisschen Langeweile breitmacht. Nach einer halben Stunde sind von den 75 freien Plätzen gerade einmal zehn vergeben, mit jedem weiteren Treppenlauf des Liga-Chefs wird die Veranstaltung ein bisschen zäher.

Der deutsche Computerspieler Jannis Neumann, der in der ersten Saison den Center der Dallas Mavericks steuerte und damals auch den echten Basketballer Dirk Nowitzki traf, wird diesmal nicht gewählt, und auch Jordan Sowers wird von der Profikarriere vorerst nur träumen können. Dafür wählen die Warriors an Platz 56 mit Chiquita Evans erstmals eine junge Frau. "Ich musste mich nach oben kämpfen. Ich habe in meiner Karriere manchmal den Ball nicht mehr bekommen, wenn die Jungs über das Headset festgestellt haben, dass ich eine Frau bin", sagte sie nach dem Draft: "Jetzt freue ich mich darauf, auf dem Trainingsgelände der Warriors-Stars Steph Curry und Kevin Durant zu treffen - und dann zu beweisen, dass ich es verdient habe, in dieser Liga zu spielen."

© SZ vom 22.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: