"Of Fathers an Sons" im Kino:Der enthauptete Vogel

Film Fathers

Während die Jungen am Anfang der Dhihadistenausbildung noch kindlich ungeschickt wirken, sind sie am Ende des Films zu Soldaten gereift.

(Foto: Talal Derki; Basis Berlin Fotoproduktion)

In seinem Dokumentarfilm "Of Fathers and Sons - Die Kinder des Kalifats" hat Talal Derki unter Lebensgefahr einen Terroristen und seine Söhne gefilmt.

Von Martina Knoben

Die Brüder haben einen Vogel gefangen, einer hält ihn vorsichtig und streichelt ihm den Kopf. Kurze Zeit später ist das Tier tot. "Ich habe den Vogel geschlachtet", sagt der kleine Osama lächelnd zu seinem Vater. "Wir haben seinen Kopf runtergedrückt und abgetrennt, wie du es mit dem Mann gemacht hast."

Die Brüder gehören zur Großfamilie von Abu Osama, einem der Gründer der syrischen Terrorgruppe al-Nusra, einem Ableger von al-Qaida. "Of Fathers and Sons - Die Kinder des Kalifats" zeigt, wie es ist, in solch einer radikal-islamistischen Familie aufzuwachsen. Der Filmemacher Talal Derki, der in Damaskus geboren wurde, in Athen an der Filmhochschule studierte und seit 2014 in Berlin lebt, war dafür in sein früheres Heimatland zurückgekehrt. Er gab sich als Kriegsreporter und Sympathisant der Dschihadisten aus, gewann das Vertrauen von Abu Osama und lebte über mehr als zwei Jahre hinweg mit dessen Familie in Syrien. So entstand ein einzigartiges Dokument. Unglaublich, dass es einen solchen Film überhaupt gibt. "Of Fathers and Sons" wurde mit diversen Preisen ausgezeichnet und war für den Dokumentarfilm-Oscar nominiert. Ein Lohn auch der Angst. Man mag sich nicht vorstellen, wie gefährlich es für Derki gewesen ist, in diesem hermetischen, extrem gewaltbereiten Milieu zu drehen, welche Folgen seine Enttarnung gehabt hätte.

Manche Auswüchse dieses Extremismus sind so bizarr, dass sie fast komisch wirken.

Wie der Krieg die Menschen in Syrien verändert, ihre Verrohung und Radikalisierung hatte Derki schon in seinem Film "Rückkehr nach Homs", 2013, gezeigt. "Of Fathers and Sons" konzentriert sich nun auf die "Kinder des Kalifats", die zwei ältesten Söhne Abu Osamas, den 13-jährigen Osama und den 12-jährigen Ayman. Vor allem Osama sticht aus der Kinderschar heraus. Er hat ein verschmitztes Lächeln und ist manchmal aufmüpfig; die Kamera beobachtet ihn immer wieder, wie er vor dem Haus der Familie sinnend in die Ferne blickt. Er wirkt neugierig. Ob ein anderes Leben für ihn vorstellbar ist? Ob er sich danach sehnt?

Spielzeug, Fernsehen oder Handy gibt es für die Brüder nicht; der Vater hat sie auch von der Schule abgemeldet. Sie bauen eine Bombe aus Zitronensäure und bunter Erde, treten absichtlich darauf und freuen sich, dass sie laut knallt beim Explodieren. Sie spielen in zerstörten Panzern, prügeln sich oder bewerfen Mädchen, die sie außerhalb des Hauses sehen, mit Steinen. Und schon der Allerkleinste, keine zwei Jahre alt, lernt, den Koran zu rezitieren: "Sprich mir nach", sagt der Vater, nur halb scherzhaft für die Kamera: "Im Namen Gottes ..." Und der Kleine beginnt Wörter aus dem Koran zu brabbeln.

Manche Auswüchse dieses Extremismus sind so bizarr, dass sie fast komisch wirken. Etwa wenn Abu Osama, der als Minensucher arbeitet und bei einem Unfall einen Fuß verliert, sich bei Allah bedankt: Der hätte ihm, wie erbeten, den linken Fuß genommen, nicht den rechten, so könne er immer noch Auto fahren. Das alles beobachtet Talal Derki scheinbar nüchtern im Stil des Direct Cinema. Die Kamera versucht, möglichst unsichtbar zu wirken - wird von den Protagonisten des Films aber sehr wohl bemerkt. Abu Osama nutzt sie als Gegenüber, um zu schwadronieren, anzugeben und sein obskures Weltbild und seine eigene Wichtigkeit als Kämpfer im Heiligen Krieg darzulegen. Auch vor seinen Kindern produziert er sich. Ob er wirklich einen Mann enthauptet hat, wie er seinen Söhnen erzählt hat?

Die schlimmsten Ängste des Westens vor einem grausamen Islam scheinen hier bestätigt zu werden.

Abgesehen von den Prügeleien der Söhne, die im Film erschreckend brutal wirken, hat Derki keine Gewalttaten gefilmt - es wäre im Film unerträglich gewesen. Der moralische Zwiespalt, unter dem der Regisseur gelitten haben muss, lässt sich ahnen, wenn Abu Osama bei einem Kampfeinsatz sentimental von seiner Verbundenheit mit seinem ältesten Sohn schwafelt, plötzlich auf einen Mann außerhalb des Kamerabildes schießt und dann die Umstehenden bittet, ihm möglichst schnell ein anderes, funktionierendes Gewehr zu geben, damit er den am Boden Liegenden töten kann. Es gelingt ihm glücklicherweise nicht.

Die schlimmsten Ängste des Westens vor einem grausamen Islam scheinen hier bestätigt zu werden. Gerade auch vor dem Hintergrund des Attentats in Christchurch kann man nur hoffen, dass es nicht zu viel Applaus für den Film von der falschen Seite gibt. Spezifisch islamistisch oder gar muslimisch sind die Gehirnwäsche und die gezielte Verrohung von Kindern nämlich nicht, afrikanische Kindersoldaten zum Beispiel erfahren Ähnliches. Um solche Vergleiche oder auch eine Analyse der politischen Entwicklung in Syrien aber geht es Derki nicht. Er zeigt eine Parallelwelt wie aus einem Albtraum, die dem Zuschauer dennoch nahegeht, weil in diesen radikalisierten Jungen immer wieder auch das universell Kindliche aufscheint, das ursprünglich Unschuldige.

Und so banal die Erkenntnis vielleicht ist, so verblüffend ist es dennoch zu sehen, was für ein liebevoller Vater der Terrorist Abu Osama seinen Söhnen ist. Er schmust mit den kleinen, die größeren nimmt er bei seinen Fahrten zur Arbeit mit. Hinter den Autofenstern sind im Vorbeifahren Ruinen zu sehen oder zerstörte Brücken - ein kaputtgebombtes, staubiges Land. Das, oder auch die knappen Erzählungen des Vaters von seiner Haft oder Witze eines Freundes über das Auspeitschen mit Stromkabeln können den islamistischen Hass noch am ehesten "erklären" - soweit es eine Erklärung für grausame Morde und Terror überhaupt geben kann.

Die Enthauptung des Vogels, für viele westliche Eltern ein Grund, einen Kinderpsychologen zu Rate zu ziehen, erscheint als willkommener Schritt auf dem "Pfad des Todes".

"Of Fathers and Sons" wurde vom RBB, SWR und Arte koproduziert - ein wenig mehr Eigenwerbung der Öffentlich-Rechtlichen für ihre Marke dürfte aus diesem Anlass schon sein. Man stelle sich nur vor, was Netflix aus dieser Gelegenheit gemacht hätte! Dass Derki sich in seinem Film mit Deutungen zurückhält und vor allem beobachtet, haben ihm Kritiker übrigens vorgeworfen, aber es ist eine Stärke der Doku. So werden Widersprüche nicht einfach wegerklärt: etwa der, dass Abu Osama seine Söhne offenkundig liebt, sie aber dennoch so früh wie möglich in den Heiligen Krieg schickt. Die Enthauptung des Vogels, für viele westliche Eltern ein Grund, einen Kinderpsychologen zu Rate zu ziehen, erscheint als willkommener Schritt auf dem "Pfad des Todes", wie Derki den Weg nennt, den einer der Jungen nach dem Vorbild des Vaters einschlägt.

Zu den erschütterndsten Szenen gehören die Bilder aus einem Trainingslager der Dschihadisten, wohin der Vater Osama und Ayman schickt. Tarnanzüge und Gesichtsmasken in Kindergrößen werden verteilt. Die Jungen hechten über Lkw-Reifen, sie erklimmen eine Hausfassade; gezielte Schüsse mit scharfer Munition neben ihre Köpfe und Füße sollen sie abhärten und auf den realen Terrorkampf vorbereiten. Während sie am Anfang der Ausbildung noch kindlich ungeschickt wirken, sind sie am Ende des Films zu Soldaten gereift. Haben diese Kinder eine Wahl? Könnten sie sich auch gegen den Hass und das Töten entscheiden?

Bezeichnend ist ein Spiel der Brüder. Vor dem Zubettgehen gibt Osama seinen jüngeren Geschwistern Mathematikunterricht. "Was macht x mal x?", fragt er. "N", antwortet der eine Bruder, "B" der andere. "B" ist richtig, entscheidet Osama - eine bizarr willkürliche Lösung, die keinen Widerspruch duldet, ganz einfach weil Osama der alteste der Kinder ist. So funktioniert Lernen, so bildet sich Wissen in einer streng hierarchischen Gemeinschaft. Osama fügt auch gleich das nächste Rätsel an: "Vier Äpfel geteilt durch zehn?" - "Ich sage fünf", rät der eine. "Ich weiß - wir schneiden die Äpfel auf", sagt der andere, es ist Ayman. Osama überlegt kurz, dann beschließt er, dass "fünf" die richtige Antwort ist. Ayman aber - das ist ein kleiner Hoffnungsschimmer - lernt rechnen. Und vielleicht wird Osamas Willkürantwort irgendwann auffliegen.

Of Fathers and Sons - Die Kinder des Kalifats, D/Syrien/Libanon 2019 - Regie: Talal Derki. Kamera: Kahtan Hasson. Schnitt: Anne Fabini. Port au Prince, 99 Minuten.

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