Joshua Kimmich als Anführer:"Der legt sich mit jedem an"

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Den ernsten Blick von Joshua Kimmich dürften seine Mitspieler bestens kennen. (Foto: Bongarts/Getty Images,)
  • Bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft müssen sich während des Umbruchs auch neue Hierarchien festigen.
  • Joshua Kimmich tritt bereits als natürlicher Anführer und Antreiber an.
  • Der Bayern-Profi hält auch seine gleichaltrigen Mitspieler zu Einsatz und Ernsthaftigkeit an.

Von Philipp Selldorf, Wolfsburg

Mit seinem Auftritt im Testspiel gegen Serbien dürfte Julian Brandt nicht glücklich gewesen sein, was immer er versuchte, es nahm meistens kein gutes Ende. Der Nationalspieler Brandt hatte mit dem zuletzt höchst einflussreichen Vereinsspieler Brandt nicht viel gemeinsam, und das lag kaum daran, dass er anders als bei Bayer Leverkusen nicht im zentralen Mittelfeld eingesetzt wurde, sondern auf dem rechten Flügel. Im Klub hat ihn sein neuer Trainer Peter Bosz zum Mittelpunktspieler umfunktioniert, die Wirkung dieses Wechsels führte dazu, dass sich der 22 Jahre alte Profi "in einem Entwicklungsschritt" wähnt, und er glaubt, "dass es kein kleiner Schritt ist, sondern ein großer". Drei Tore und sieben Torvorlagen seit Rückrundenstart mit Bosz unterstreichen den Eindruck.

Was Joshua Kimmich, 24, zu Brandts Einsatz beim Länderspiel in Wolfsburg gesagt hat, das ist nicht bekannt geworden, aber DASS er etwas dazu gesagt hat, das ist wahrscheinlich. Kimmich und Brandt verbindet ein freundschaftliches Verhältnis, sie kennen sich schon lang, 2014 standen sie gemeinsam in der U19-Nationalelf, die mit dem Trainer Marcus Sorg - dem heutigen Assistenten des Bundestrainers - die Europameisterschaft gewann. Die beiden sind regelmäßig telefonisch in Kontakt, neulich nach dem Bayer-Sieg in Hannover hat sich Kimmich mit einer SMS bei Brandt gemeldet, die dieser mit dem Prädikat "besonders wertvoll" versehen durfte: Der Münchner hatte seinen Leverkusener Kollegen für die starke Leistung gelobt und Gefallen an der generell steigenden Formkurve formuliert.

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Brandt kennt aber auch andere Wortmeldungen. Joshua Kimmich sei seit Jahren sein "größter Kritiker", sagt er, "er hat mich immer auf Trab gehalten".

Offenbar ist Brandt nicht der Einzige, den Kimmich zu Einsatz und Ernsthaftigkeit anhält, auch andere Altersgenossen müssen sich immer wieder vom Bayern-Profi ermahnen lassen, Leroy Sané und Timo Werner sind bevorzugte Objekte seiner pädagogischen Belehrungen. Kimmich sei ein Spieler, "der immer 100 Prozent Mentalität zeigt", sagt Brandt: "Der will immer. Der ist bissig, der zeigt es mit der Körpersprache, der legt sich mit jedem an - er hat die Erwartung, dass jeder Spieler wie er sein soll." All dies erzählt Brandt mit einem Lächeln, das sowohl die Sympathie für die Eigenarten des Mitspielers ausdrückt als auch das Staunen über dessen Natur, die so ganz anders ist als die eigene.

Verbliebene Autoritäten wie Neuer und Kroos haben Not, sich Geltung zu verschaffen

Dass sich Kimmich die Rolle des Antreibers und Anführers nicht extra aneignen muss, weil sie seinem Wesen und Charakter entspricht, das ist dem Bundestrainer längst bekannt. Als Joachim Löw in den friedlichen Tagen vor der WM in Russland einen Ausblick auf die Zeit nach dem Turnier wagte, sah er zwei Dinge treffend voraus: Es werde dann, sagte er, einen Umbruch und ein neues Team geben - "angeführt von Kimmich und Co".

Aktuell enthält die Prophezeiung mehr Wahrheitsgehalt, als er sich möglicherweise gewünscht hat. Gesucht werden die Adjutanten für Coach Kimmich. Wenn es um die Hierarchie im Team geht, dann blickt man bei der Nationalelf auf ein Bild, das so flach ist wie die Topografie im Land des nächsten Gegners - der nicht umsonst Niederlande heißt. Einerseits liegt das daran, dass der Bundestrainer alte Leitfiguren wie Hummels, Khedira oder Müller aus dem Bestand genommen hat, andererseits daran, dass die verbliebenen Autoritäten derzeit aus privaten Gründen Not haben, sich als Respektspersonen Geltung zu verschaffen.

Während es Kapitän Manuel Neuer zu schaffen macht, dass ihm neuerdings die bedingungslose Vertrauenswürdigkeit abgesprochen wird, erlebt Toni Kroos mit Real Madrid eine Saison voller Enttäuschungen, die auch sein Ansehen beschädigt haben. Für das Qualifikationsmatch in Amsterdam hat Löw seinen alten Größen eine Einsatzgarantie gewährt, und Joshua Kimmich wird wieder im Zentrum des Mittelfeldes spielen. Weil er da mehr Einfluss aufs Ganze nehmen kann als auf der Außenbahn.

© SZ vom 23.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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