Joachim Löw:Mit jugendlicher Zuversicht gegen die Zweifel

Nationalmannschaft Abschlusstraining

Hofft gegen die Niederlande auf viel Feingefühl bei seiner Mannschaft: Bundestrainer Joachim Löw.

(Foto: dpa)

Die neu aufgestellte Nationalelf bestreitet in Amsterdam, wo sie zuletzt eine empfindliche Niederlage erlitt, ihr erstes Bestimmungsspiel. Von einem mulmigen Gefühl will Bundestrainer Löw nichts wissen.

Von Ulrich Hartmann

Die Fußballarena im Süd-Osten von Amsterdam ist für den Bundestrainer Joachim Löw kein Schloss des Schreckens. Vor fünf Monaten hat seine Nationalmannschaft dort mit 0:3 gegen die Niederlande verloren. Ob ihm mulmig sei vor der Rückkehr an diesem Sonntagabend, ist Löw bei der Pressekonferenz am Samstag gefragt worden. Man stellt sich also vor, wie er Silberkugeln, Holzpflöcke und Knoblauch in eine alte Ledertasche packt für den Kampf gegen all die Monster, die dort auf ihn lauern.

Die Blamage vom 13. Oktober 2018 hat den gegenwärtigen Umschwung im deutschen Team forciert, vielleicht stellt sich eines Tages heraus, dass dieses 0:3 in der Nations League sogar etwas Gutes hatte für den deutschen Fußball. Löw jedenfalls gibt sich selbstbewusst und zuversichtlich. Mit verjüngtem Kader und ohne die drei damals in der Startelf befindlichen Münchner Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller wird Deutschland um 20.45 Uhr (im SZ-Liveticker) in Amsterdam zum ersten Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 2020 antreten. Löw wird auf Bekämpfungsmittel aus Gruselfilmen verzichten. Er sagte: "Ich habe kein mulmiges Gefühl."

Es zeugt von einer gewissen Ironie, dass die Niederlande für ein deutsches Vorbild gehalten werden

Vier Tage nach dem mittelprächtigen 1:1 im Test gegen Serbien wird mit allerhand Veränderungen in der Startelf gerechnet. In Wolfsburg hatte die Grundformation ein Durchschnittsalter von 24,2 Jahren. Nur drei Spieler waren älter als 24: Manuel Neuer, 32, Ilkay Gündogan, 28, und Marcel Halstenberg, 27. Nun, da es gegen die Niederlande um wichtige Punkte für die EM-Teilnahme geht, prognostizieren viele eine Anhebung des Altersdurchschnitts. Nach allgemeinem Dafürhalten könnten Matthias Ginter, 25, Antonio Rüdiger, 26, Nico Schulz, 25, Toni Kroos, 29, und Marco Reus, 29, beim Anpfiff auf dem Platz stehen. Das Durchschnittsalter stiege dann auf 25,5 Jahre an, nur noch vier Spieler wären jünger als 24 Jahre: Thilo Kehrer, 22, Niklas Süle, 23, Leroy Sané, 23, und Serge Gnabry, 23. Löw aber hat sich bedeckt gehalten. Er verriet bislang bloß, dass Neuer im Tor und dass Kroos von Real Madrid beim Anpfiff im Mittelfeld stehen wird. Mehr wollte er noch nicht verraten, auch nicht, ob er mit einem 3-4-3- oder einem 4-3-3-System spielen lässt. "Wir können beides", sagte er lakonisch.

Es zeugt von einer gewissen Ironie, dass die Niederlande in Sachen Fußball plötzlich für ein deutsches Vorbild gehalten werden. Als sie 2016 die Europameisterschaft und 2018 die Weltmeisterschaft verpasst haben, hat die Fußballwelt sie noch verspottet. Die beiden blamablen Turnierversäumnisse haben es dann schlichtweg erfordert, einen Generationswechsel ein Jahr früher einzuleiten als in Deutschland. "Die Holländer, muss man zugeben, sind schon sehr eingespielt", sagte Löw. Seiner Ansicht nach ist das momentan der größte Vorteil der Nachbarn. "Unsere Mannschaft hingegen muss sich noch finden", sagte er, "da müssen sich auch noch Hierarchien bilden."

Ein Scheitern in der Qualifikation würde erhebliche Verwerfungen auslösen

Skeptischen Beobachtern ist aufgefallen, dass die deutsche Mannschaft im Laufe der Woche relativ wenig konkrete Trainingsarbeit auf dem Trainingsplatz geleistet hat. Für Löw nur logisch. Einerseits hat er die Spieler nicht überanstrengen wollen, andererseits schien ihm die eine oder andere Theoriestunde mit Gesprächen und Videoanalysen wichtiger: "Am Freitag haben wir 'ne Stunde über taktische Dinge gesprochen und sie probiert, abends hatten wir dann noch eine Sitzung über Abläufe und wie wir sie uns vorstellen." Auf die Frage, wie sich Löw den Fußball seiner Mannschaft bei der EM 2020 überhaupt so vorstellt, antwortete er: "Das würde jetzt hier die Grenzen sprengen." Darüber könnte er stundenlang referieren, weshalb er sich gar nicht erst in auch nur einem einzigen Detail verliert. Bekannt ist, dass es unter anderem um ballbesitzorientierte Torkreation, um mehr Tempo im letzten Drittel des Spielfeldes und um gesamtheitliches Verteidigen geht. Kreativität und Flexibilität sind relevante Stichwörter, und diesbezüglich wird sich in der Amsterdamer Arena unabhängig vom Ergebnis sicher schon Erhellendes beobachten lassen. "Wir sind aber noch in einem Findungsprozess", warnte Löw.

Dass die deutsche Nationalmannschaft trotzdem halbwegs gelassen in die Fünfer-Qualifikationsgruppe mit den Niederlanden, Weißrussland, Nordirland und Estland geht, hat vor allem damit zu tun, dass ja die beiden Gruppenersten zur EM fahren dürfen. Ein Scheitern ist damit so gut wie ausgeschlossen, andernfalls würde es im deutschen Fußball Verwerfungen von erheblichem Ausmaß auslösen. Mindestens genauso wie die Spiele will man aber verlorenen Respekt gewinnen. Der Bonus wäre, wenn man nach acht Qualifikationsspielen binnen acht Monaten als Gruppensieger bei der Auslosung am 30. November in Bukarest im Topf der Gruppenköpfe läge. Dann würde gewiss erst einmal niemand mehr fragen, ob dem Bundestrainer Joachim Löw bei überhaupt irgendetwas jemals mulmig ist.

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