Geldanlage:Jagd auf die Einhörner

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Im T-Shirt an die Börse: Auch der Bilderdienst Pinterest will nun den Sprung aufs Parkett wagen. (Foto: Jeff Chiu/AP)

In diesem Jahr streben so viele Tech-Unternehmen an die Börse wie seit Langem nicht. Wie gefährlich ist der Börsenrausch?

Von Victor Gojdka, München

In San Francisco geht die Angst um. Angst, dass Wohnungen dort noch gefragter, die Preise noch astronomischer werden könnten. Eine ganze "Flut von Millionären" könnte in die Stadt hereinbrechen, befürchten Bewohner. Auch vielen Maklern bleibt die Luft weg. "Die kaufen alles cash", sagte ein Immobilienexperte vor Kurzem auf einer Tagung. "Das wird uns den Atem verschlagen."

Für viele Kenner ist diese Millionärsflut die Nebenwirkung eines wundersamen Börsenbooms: Die Taxi-Apps Lyft und Uber, der Bilderdienst Pinterest, die Wohnungsvermieter von Airbnb - sie alle haben ihren Börsengang bereits in die Wege geleitet oder könnten das bald tun. Das könnte Mitarbeiter und Investoren über Nacht zu Millionären machen. Weniger als zehn Jahre alt, aber schon Milliarden Dollar Unternehmenswert: Unter Finanzexperten haben sich ihre Unternehmen den klingenden Spitznamen "Einhörner" erworben. Weil manche der Unternehmen schon mehr als zehn Milliarden Dollar wert sind, sprechen Börsianer inzwischen schon von "Decacorns", von Zehnhörnern. Und eine ganze Horde solcher Unternehmen trabt aktuell in Richtung Börse.

Die mythischen Begriffe lassen durchscheinen, was gerade an den Finanzmärkten los ist, welches Börsenfieber zwischen Kalifornien an der Westküste und Wall Street an der Ostküste der USA umgeht. "Viele Anleger haben derzeit Appetit auf Tech-Titel", sagt Börsengangsexperte Martin Steinbach von der Beratungsfirma EY.

Manchen Beobachter erinnert die neue Internet-Euphorie an die Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende, als Dutzende Unternehmen mit großen Hoffnungen an die Börse strebten - unter dem Strich aber nur Verluste schrieben. Denn auch heute sind die Bilanzen vieler Börsenkandidaten tiefrot getränkt. Sollte der Börsenboom Anlegern also Angst machen?

Das größte Rennen in Richtung Parkett liefern sich gerade die Fahrvermittler Lyft und Uber. Beide Dienste vermitteln über Handy-Apps Fahrer, die Kunden von A nach B bringen. Angreifer Lyft plant seinen Börsengang bereits für Anfang der Woche. Schafft das Unternehmen es, für jede Aktie etwa 62 bis 68 Dollar zu kassieren, käme es auf einen Börsenwert von mehr als 20 Milliarden Dollar. Anleger sollten sich das auf der Zunge zergehen lassen: 20 Milliarden Dollar für ein Unternehmen, dass im vergangenen Jahr seinen Umsatz zwar mehr als verdoppeln konnte - gleichzeitig seine Verluste aber dramatisch erhöht hat. Manche Beobachter sagen, das Taxiunternehmen verbrenne deshalb Geld wie die Autos seiner Fahrer Benzin. Ob das Unternehmen sich aus dieser verfahrenen Situation lösen kann, ist unklar. "Es ist sowohl für die Fahrer als auch für die Nutzer ganz einfach, mehrere Taxi-Apps zu benutzen", sagt David Trainer vom Analysehaus New Constructs. Im Klartext: Bietet eine andere Taxi-App dem Kunden einen billigeren Preis oder dem Fahrer mehr Geld, wäre Lyft abgemeldet.

Auch Taxi-Platzhirsch Uber will an die Börse, versucht sich jetzt zusätzlich an Essenslieferungen, hat im Grunde aber ähnliche Probleme wie Konkurrent Lyft. Trotzdem könnte der Gesamtwert des Unternehmens bei einem Börsengang im April auf astronomische 120 Milliarden Dollar taxiert werden. Das Techunternehmen wäre damit mehr wert als die Autobauer Ford und General Motors - zusammen.

Auch der Bilderdienst Pinterest, auf dem Nutzer nach Fotos zu Inneneinrichtung, Urlauben oder Kochrezepten suchen können, hat am Wochenende seinen Börsenprospekt veröffentlicht. Auch er ist im vergangenen Jahr zwar rasant gewachsen, schreibt aber Verluste.

Viele Beobachter befürchten nun eine zweite Internetblase an den Börsen. Börsenexperte Martin Steinbach von EY hält das aber für Angstmacherei: "Der Vergleich mit den alten New-Economy-Zeiten zieht nicht." Die meisten der heutigen Börsenkandidaten sind Firmen, die schon seit Jahren existieren, die funktionierende Apps entwickelt haben, die Millionen Kunden täglich nutzen. Kein Vergleich mit den einstigen Dotcom-Klitschen, die oft nur "Internet" auf ein Firmenschild schrieben und schon Unsummen einsammelten.

Trotzdem, sagt auch Steinbach, sollten Anleger genau hinschauen, wenn sie den Einhörnern an der Börse hinterherjagen. Manche Tech-Unternehmer könnten schlicht daran interessiert sein, Investoren einen Weg zu eröffnen, ihre alten Anteile gewinnbringend zu versilbern. Außerdem war die Stimmung an den Börsen lange nicht mehr so fragil wie derzeit. Manches Tech-Unternehmen könnte da schnell noch an die Börse rasen und frisches Geld einwerben, bevor die Stimmung kippt. Sollte es zu einem Kursrutsch an den Börsen kommen, wären jedoch die Anleger die Gelackmeierten: Tech-Titel spüren Turbulenzen zuerst und besonders heftig.

In jedem Falle ist der aktuelle Börsenrausch kurios. Ausgerechnet die Gründer des Zimmervermittlers Airbnb - so will es die Legende - kamen einst auf ihre Geschäftsidee, weil ihnen vor mehr als zehn Jahren die regulären Mieten in San Francisco zu teuer waren. Auch diese Firma könnte in diesem Jahr an die Börse gehen und neue Wohnungen in San Francisco damit noch teurer machen. Ausgerechnet.

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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