Vorschlag-Hammer:Mit dem Herzen weinen

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Um Chauvi-Allüren geht es in Federico Fellinis neorealistischem Film La Strada, als die Leute Anfang der Fünfzigerjahre so arm waren, dass Eltern ihre Kinder verkauften

Kolumne von Eva-Elisabeth Fischer

Es gibt ja im realen Leben auch heute noch Kotzbrocken, von denen man meint, die seien längst ausgestorben. So einer geistert bei uns in der Straße herum, mit gut 80 ab und zu rausgeputzt wie ein spätgeborener Austrofaschist in nichtfarbenen Knickerbockern, einem Beinkleid, welches meine Freundin Schmid aus Mühldorf am Inn lautmalerisch Schoasdämpferhosn nennt. In solcher Kluft west er, der ewige Blockwart, der speziell Frauen grundsätzlich für dumm und für Dienstboten hält und sich selbst für den allwissenden großen Zampano. Der Jungversion seiner Art hängt eher der Jeansschritt in die Kniekehle, aber dank seiner Chauvi-Allüren hat so einer noch genug Anziehungskraft, sich ein Frauchen zu halten wie ein Stück Vieh. Darum geht es in Federico Fellinis neorealistischem Film La Strada, als die Leute Anfang der Fünfzigerjahre so arm waren, dass Eltern ihre Kinder verkauften. Marco Goecke hat die traurige Geschichte im Gärtnerplatztheater zu einem phänomenal getanzten Ballett gemacht, indem er Filmzitate atmosphärisch zu narrativ-bewegten Szenen verdichtete mit einem herzzerreißenden Schluss. Dann nämlich zerbröselt es den großen Zampano am Meeresgestade, denn seine geliebte Gelsomina, die er, als sie noch lebte, so schlecht behandelt hat, sie lebt da schon nicht mehr (am 3., 7. und 11. April).

Und weil es so schön ist, mit dem Herzen zu weinen und man sich fürs doppelte Schmerzvergnügen nur einmal an der Kasse beim Gärtnerplatztheater anstellen muss, nimmt man gleich noch eine Karte für die konzertante Aufführung der Perlenfischer von George Bizet (am 12., 14. und 22. April) mit. Die abstruse Handlung des in Ceylon spielenden Liebesdramas kann einem herzlich egal sein, und auch das Gros der Musik wird ja von den meisten nur so mitgenommen, bis endlich kommt, worauf man eigentlich hin fiebert: das schmelzende Männerduett "Au fond du temple saint". In den Tiefen des heiligen Tempels befindet sich Leila, jetzt Priesterin, die Zurga und Nadir einst beide liebten und der sie der unverbrüchlichen Männerfreundschaft zuliebe mit einem Schwur entsagten. Am Ende Überraschung: Da hat doch tatsächlich mal einer der Männer die Arschkarte.

Die heilige Tempel-Melodie bleibt einem dann tagelang als Ohrwurm der göttlichsten Art. Damit aber aus Buben und Mädchen keine Zampanos respektive verschleierte Leilas werden, müssen sie rechtzeitig lernen, mit ihren Gefühlen, ihrer Wut im Bauch oder den (Liebes-)Schmetterlingen darin umzugehen. Antje Pfundtner, auch in München geschätzte Choreografin in Hamburg, hat ein Stück zur Förderung des Eigensinns kreiert mit dem schönen Titel Für mich (ab acht Jahren). Damit gastiert sie vom 28. bis 30. März im Hoch X als Beitrag für das neue Netzwerk Explore Dance - Tanz für junges Publikum in München, Hamburg und Potsdam. Das Ziel: Namhafte Choreografen gewinnen, die Stücke für Jugendliche kreieren. Was in den Niederlanden oder in Israel längst gang und gäbe ist, scheint hierzulande leider immer noch die Ausnahme zu sein.

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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