Podiumsdiskussion:Warum die Volksparteien zittern müssen

SPD-Chefin Andrea Nahles und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer debattieren über die Zukunft der Parteienlandschaft. Verfolgen Sie die Diskussion im Livestream.

Von Stefan Braun, Berlin

In der Verlustangst immerhin sind sie vereint. Steht die Frage im Raum, ob die Volksparteien nach dem Vorbild Frankreichs oder Italiens auch in Deutschland verschwinden sollten, dann warnen viele Wähler - und natürlich auch Parteivertreter - vor den Konsequenzen.

Laut einer aktuellen Umfrage des Instituts Allensbach für die Bertelsmann Stiftung sorgt sich eine große Mehrheit von mehr als 76 Prozent davor, dass mit schwächelnden Volksparteien eine Regierungsbildung immer schwerer werde. Mehr als 64 Prozent fürchten, dass Parteien für eine Koalition immer mehr Kompromisse machen müssten, und fast ebenso viele sagen voraus, dass dann größere Reformen immer schwerer durchgesetzt werden könnten.

Zu dieser Grundeinschätzung passt, dass fast 50 Prozent der Befragten sich auch für die Zukunft ein Parteiensystem mit einigen wenigen großen Parteien wünschen.

Und knapp 64 Prozent der in der Studie Befragten halten es nach wie vor für besser und attraktiver, wenn sich eine Partei nicht um die Interessen einer einzelnen gesellschaftlichen Gruppe kümmert, sondern die ganze Gesellschaft im Blick hat.

Entsprechend ähnlich hoch ist mit 62 Prozent der Anteil derjenigen, die selbst eher eine Partei wählen würden, die für alle Gruppen Antworten auf die wichtigsten Fragen bietet.

Schlechte Aussichten für die Zukunft

Soweit so schön also für die Volksparteien in Deutschland. Und wahrscheinlich würde es Union und SPD gut gefallen, wenn die Untersuchung, die der Süddeutschen Zeitung exklusiv vorliegt, an dieser Stelle endet. Das aber tut sie nicht. Und was sich in der zweiten Hälfte der Studie auftut, wird CDU wie SPD Sorgen bereiten. Denn die gleichen Menschen, die Volksparteien im Grundsatz gut finden, sagen den deutschen Volksparteien nichts Gutes voraus.

Gefragt, ob die Zeit für die Volksparteien Union und SPD vorbei sei oder ob sie sich noch einmal zu alter Stärke entwickeln, antworteten fast 54 Prozent der Befragten, sie rechneten nicht mehr mit einer Erholung.

Eng damit verbunden ist eine Botschaft, die früher anders aussah. Auf die Frage, ob es ihnen wichtig sei, bei Wahlen eine große Partei zu wählen, antworten heute knapp 56 Prozent, dass ihnen das mehr und mehr egal ist. Man will unbedingt beim Sieger sein - das ist heute längst nicht mehr so stark wie vor ein, zwei Jahrzehnten.

Was also ist da los? Auch darauf hat das Institut Allensbach im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung Antworten gesucht. Zu diesem Zweck wurden den Befragten Attribute und Eigenschaften vorgelegt, bei denen sie prüfen sollten, ob sie aus ihrer Sicht auf CDU/CSU oder SPD zutreffen. Das Ergebnis ist für beide Noch-Volksparteien ziemlich dramatisch.

So spricht der Union eine deutliche Mehrheit noch zu, dass sie eine große, mitgliederstarke und "bedeutende" Partei ist. Aber kaum weniger groß ist in der Umfrage die Zahl derer, die zu dem Schluss kommen, dass die Union einige Politiker in ihren Reihen hat, die "ausgesprochen unsympathisch" sind (53,3 Prozent); dass die Union oft "an den Sorgen und Wünschen der Bevölkerung vorbeiredet" (51 Prozent); und dass sie "vieles verspricht, was sie nicht halten kann" (49,2 Prozent).

Schon das wirkt wenig schmeichelhaft. Noch gravierender aber sind die Ergebnisse, wenn es um Fragen wie Zukunft, Optimismus und Vertrauen geht. Gerade mal 17 Prozent verbinden mit der CDU Politiker, denen man vertrauen kann; elf Prozent sind der Meinung, die CDU habe Konzepte, mit denen es den Menschen in Deutschland auf Dauer gut geht; nicht mal zehn Prozent verbinden mit ihr Optimismus; und genau 3,8 Prozent meinen, dass es mit dieser Partei aufwärts gehe. Ernüchternder könnte eine solche Studie für die Partei, die 20 Jahre von Angela Merkel geführt wurde, kaum ausfallen.

Bei der SPD ist die Lage sehr ähnlich. Mehr als 50 Prozent schreiben ihr zu, dass sie "vieles verspricht, was sie nicht halten kann"; knapp die Hälfte der Befragten, nämlich 45 Prozent, kommen zu dem Schluss, dass sie "keine klare Linie" verfolge. Bemerkenswert auch, dass ihr gerade noch knapp 13 Prozent zuschreiben, in ihren Reihen gebe es Politiker, den man vertrauen könne. Gerade zehn Prozent verbinden mit ihr Zuversicht und Optimismus und genau sechs Prozent glauben, dass es mit dieser Partei wieder aufwärts gehe.

Diese Ergebnisse zeigen, wie groß die Zweifel an Union und SPD geworden sind. Damit ist im März 2019 eines klar: Die Union liegt in den Umfragen zur Sonntagsfrage zwar deutlich vor der SPD. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass auch sie nicht sicher sein kann, ob sie dauerhaft überleben wird.

Was die beiden Frauen an der Spitze von CDU und SPD dazu sagen, kann man am Mittwochabend in Berlin verfolgen. Annegret Kramp-Karrenbauer und Andrea Nahles werden auf einer gemeinsamen Veranstaltung von RBB, Bertelsmann Stiftung und Süddeutscher Zeitung dazu Stellung nehmen. Sie wird auch im Livestream übertragen (siehe oben).

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