Europäische Union:Seemission ohne Schiffe

Weil die EU sich nicht auf die Verteilung von Flüchtlingen einigen kann, darf "Sophia" das südliche Mittelmeer nur noch aus der Luft überwachen.

Von Karoline Meta Beisel und Daniel Brössler, Berlin/Straßburg

Europäische Union: Seit 2015 haben Soldaten der EU-Mission im Mittelmeer fast 45 000 Schiffbrüchige aus dem Meer gerettet, nun dürfen sie nur noch beobachten. Deutsche Schiffe sind ohnehin schon seit Ende Januar nicht mehr an „Sophia“ beteiligt.

Seit 2015 haben Soldaten der EU-Mission im Mittelmeer fast 45 000 Schiffbrüchige aus dem Meer gerettet, nun dürfen sie nur noch beobachten. Deutsche Schiffe sind ohnehin schon seit Ende Januar nicht mehr an „Sophia“ beteiligt.

(Foto: Matthias Schrader/AP)

Die Mission "European Union Naval Force Mediterranean" - besser bekannt unter ihrem Spitznamen "Operation Sophia" - war ursprünglich mal als Einsatz auf dem Meer gedacht: 2015 zu Hochzeiten der Flüchtlingskrise gegründet, sollte die Mission Boote von Schleppern und Schmugglern im südlichen Mittelmeer finden und aus dem Verkehr ziehen, um deren Geschäftsmodelle zu zerstören. Bis auf Weiteres wird das "Naval" im Namen aber das einzige Überbleibsel dieser Idee sein: Wie die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini am Mittwoch bestätigte, haben die EU-Mitgliedstaaten einstimmig beschlossen, die Mission zwar um sechs Monate zu verlängern - sonst wäre sie Ende März ausgelaufen. Schiffe will die EU aber nicht mehr in das Gebiet schicken. Stattdessen soll dieser Teil des Meeres nur noch aus der Luft überwacht werden.

EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos hatte schon am Rande des jüngsten Treffens der Innenminister Anfang des Monats erklärt, wer über das Schicksal der Operation bestimmen würde: "Die Italiener müssen entscheiden, ob wir mit Operation Sophia weitermachen", sagte er. Italien hat bei dieser Mission das Oberkommando - aber Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini will nicht, dass aus Seenot gerettete Menschen nach Italien gebracht werden. In seiner Heimat könnte ihn das Wählerstimmen kosten. Seenotrettung gehört zwar offiziell gar nicht zu den Aufgaben von Operation Sophia - aus seerechtlichen Gründen ist aber jedes Schiff verpflichtet, Menschen in Seenot aufzunehmen. So haben die Soldaten der EU-Mission seit 2015 insgesamt fast 45 000 Schiffbrüchige aus dem Meer gerettet. Die Mitgliedstaaten können sich aber nicht einigen, wie diese Geretteten auf alle Mitgliedstaaten der EU verteilt werden sollen.

Das Aus für "Sophia" bedeute "das Ende der Seenotrettung in Europa", sagt die Grüne Ska Keller

Eine Seemission ohne Schiffe - die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Mogherini kommentierte das am Mittwoch eher schmallippig: "Wir bezweifeln, dass die Mission so ihr Ziel erfüllen kann." Deutlichere Kritik kam aus Straßburg, wo in dieser Woche das europäische Parlament tagt: "Das Aus für Operation Sophia bedeutet das Ende der Seenotrettung in Europa", sagt etwa die grüne Spitzenkandidatin Ska Keller. "Die Mitgliedstaaten dürfen vor den Rechtspopulisten in Italien nicht einknicken. Sie müssen die Seenotrettung fortsetzen und sich endlich auf eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen in der Europäischen Union einigen." Das EU-Parlament hat bereits im November 2017 einen Vorschlag gemacht, wie die Verteilung von Migranten in der Europäischen Union neu geregelt werden könnte; aber die Regierungen kommen mit den Verhandlungen nicht voran. "Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht", sagt der CDU-Abgeordnete Michael Gahler. "Aber wenn die Mitgliedstaaten nicht mitmachen, hilft es nichts."

Künftig soll die Operation Sophia sich auf die Überwachung der Region aus der Luft und die weitere Ausbildung der libyschen Küstenwache beschränken. Aus Sicht der Bundesregierung war es dennoch sinnvoll, die Mission zu verlängern. Die "technische Verlängerung" sei die "bestmögliche Übereinkunft" gewesen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes.

Deutsche Schiffe sind bereits jetzt nicht mehr an der Mission beteiligt. Ende Januar hatte die Bundesregierung ihre Fregatte abgezogen; zur Begründung hieß es, die Schiffe würden nicht mehr in Gegenden eingesetzt, in denen Schlepper unterwegs seien. Diplomaten vermuten dahinter eine Taktik des italienischen Oberkommandos: Wenn die Boote keine Migranten aus dem Meer fischen, muss Italien auch keine mehr aufnehmen.

"Das ist eine riesige Pleite und unfassbare Schande", sagte der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Stefan Liebich, zur Verlängerung ohne Schiffe. Schließlich heiße die Mission Sophia nach einem Baby, das nach der Rettung der Eltern auf einem Flüchtlingsschiff geboren wurde. Die Frage sei nun, wer künftig Ertrinkende rette. "Die bittere Antwort lautet: keiner", sagte Liebich.

Jedenfalls fast keiner: "Wenn Operation Sophia weg ist, sind wir das einzige europäische Schiff in der Region, das in der Lage und auch willens ist, Menschen zu finden und zu helfen", sagt Gorden Isler, Vorsitzender der Organisation Sea Eye. Ihr Boot Alan Kurdi - benannt nach einem ertrunkenen Jungen, dessen Bild um die Welt ging - ist derzeit vor Libyen unterwegs. Isler hofft auf eine neue Mission, dann mit dem expliziten Mandat, Schiffbrüchige zu retten. "Es kann nicht sein, dass Menschenleben mit Wählerstimmen aufgewogen werden", sagt er.

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