Kommunalwahlen in der Türkei:Erdoğans Fundament bröckelt

Die AKP hat bei den Kommunalwahlen die Hauptstadt Ankara und wahrscheinlich auch Istanbul aus der Hand gegeben. Die türkische Demokratie lebt. Was dem Land fehlt, ist eine innere Versöhnung.

Kommentar von Christiane Schlötzer, Istanbul

Was hatten Recep Tayyip Erdoğan und seine konservativ-islamische Partei den Wählern nicht alles versprochen. Dass die Wirtschaftskrise nach der Wahl wie durch ein Wunder weggehext wäre, dass sie mit der Stimme für die AKP auch den Schlüssel für das Himmelreich in Händen hielten. Und gedroht hatte Erdoğan seinen Gegnern, ihnen eine "osmanische Ohrfeige" versprochen. Und nun das. Die Opposition hat mit klarem Vorsprung die Hauptstadt Ankara erobert, und wenn sich das Ergebnis vom Montagmorgen in Istanbul auch in den Nachzählungen bestätigen sollte, dann hätte sie der Regierungspartei nach 25 Jahren konservativer Dominanz auch noch die größte Trophäe, die Wirtschaftsmetropole Istanbul, aus den Händen genommen.

Aber auch wenn es am Ende in Istanbul noch anders ausgehen sollte - es war in jedem Fall äußerst knapp. Schon das ist eine herbe Niederlage für Erdoğan, der diese Kommunalwahlen selbst zu einem Referendum über seine Präsidentschaft gemacht hat. Für die türkische Opposition ist es ein unerwarteter, ja geradezu unwahrscheinlicher Erfolg. Sie hat sich diesmal einig gezeigt, von links bis rechts, das war ein Novum. Sie hat aber auch von der aktuellen Krise profitiert; viele Türken spüren die Folgen von Inflation und Rezession.

Die Opposition sprach von den Gemüsepreisen, Erdoğan von angeblichen Gefahren für den Bestand der Republik. Er wetterte gegen den Westen und verbreitete Endzeitstimmung. Erdoğan hat seine Macht auf ein stetes Wirtschaftswachstum gebaut. Seit die AKP 2002 landesweit erstmals Wahlen gewonnen hat, ging es immer aufwärts. Nun funktioniert das türkische Modell so nicht mehr, das Fundament wird brüchig. Dass die türkische Regierung dabei selbst Vertrauen von Investoren verspielte, indem sie beispielsweise die Justiz zum politischen Instrument degradierte, wollte Erdoğan nicht sehen. Oppositionschef Kemal Kılıçdaroğlu nannte die Wahlerfolge einen Sieg der Demokratie in der Türkei, und er hat recht. Die türkische Demokratie, von vielen schon totgesagt, lebt.

Auch an der Mittelmeerküste, in den Touristenhochburgen, hat die Regierungspartei verloren. Dort waren in den vergangenen Jahren viele Betten leer geblieben, weil Besucher, abgeschreckt von Erdoğans Konfliktkurs und seiner harschen Rhetorik, die Türkei mieden. Besonders das deutsch-türkische Verhältnis hatte gelitten, die Reparaturarbeiten dauern noch an.

Wenn es eine Lektion gibt aus dieser Wahl, dann müsste sie eigentlich lauten: Die Türkei braucht dringend eine innere Versöhnung, denn auch dieser Urnengang am Sonntag hat gezeigt, wie gespalten das Land ist. Im konservativen anatolischen Kernland ist die AKP nach wie vor stark, hier hat sie ihre treuesten Anhänger, aber an allen Rändern bröckelt es. Im Südosten dominiert wieder die linke Kurdenpartei HDP, trotz der pauschalen Diffamierungen ihrer Mitglieder als "Terrorliebhaber". Aber die AKP hat auch Anhänger unter religiösen Kurden, und sie konnte hier sogar dazugewinnen.

In der Türkei wird nun bis 2023 nicht mehr gewählt. Dies wäre eine Chance für eine Besinnung. Erdoğan kannte bislang aber immer, wenn er seine Macht bedroht sah, nur ein Rezept: Druck und noch mehr Druck. Ob er aus dieser Wahl gelernt hat, dürfte sich bald zeigen.

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