Klassik:Frühromantische Träumereien

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Klassik als Protest, wobei die Musik aber nie ihre Größe einbüßt: der Ausnahmepianist Igor Levit. (Foto: Jens Meyer/AP)

Der russisch-deutsche Pianist Igor Levit spielt im Münchner Prinzregententheater Beethovens "Hammerklavier­sonate".

Von Reinhard J. Brembeck

Der Pianist Igor Levit ist 32 Jahre alt und hat - genauso wie sein großes Idol Artur Schnabel und im Gegensatz zu vielen gleichaltrigen Kollegen - ein ausgeprägtes Faible für Ludwig van Beethoven. Dessen fünf letzte Sonaten, die ultimativen Meisterstücke des Genres, hat er vor sechs Jahren auf CD herausgebracht. Jetzt präsentierte Levit im Münchner Prinzregententheater, wo er über Monate hin alle 32 Beethoven-Sonaten spielt, die Sonaten Nr. 27-29. Darunter die dreiviertelstündige "Hammerklaviersonate", die in ihrer abgrundtiefen Daseinsmeditation und ihrer bizarren Hemmungslosigkeit noch moderne Virtuosen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringt.

Levit, der sich gern und mit einer wohltuenden linken Intellektualität in politische Debatten einmischt, ist kein Musikautomat, der akribisch Einstudiertes vorführt. Dieser lebenshungrige Pianist riskiert mehr, seine Neugier will eine neue Lösung für das jeweilige Recital. Also ist er immer etwas aufgeregt. Beethovens Träumereien spielt er impressionistisch frühromantisch: klar, nachgebend in der Rhythmik, ruhig und versonnen. So schließt sich das Auftakt-Allegretto der A-Dur-Sonate bruchlos an die genauso versonnene Welt der E-Dur-Sonate an, die Pause dazwischen war eine störenden Konzession ans Übliche. Im A-Dur-Alla-marcia mildert Levit sowohl das Bizarre wie das Marschmäßige, das Stück gerät ihm zu einem skurrilen Tanz voll Übermut und Doppelsinn. Und im Adagio führt Levit das Publikum in die Urgründe des Daseins: Staunen ob dieses Mysteriums. Aus dem sich Beethoven mit wilden Oktavsprüngen, Achtelakkorden und Tonleiterfragmenten befreit: Levits schlüssigste Interpretation.

Akkurat kümmert Levit sich um die rhythmischen Querschläger

In die Akkordberge der Hammerklaviersonate (der seltsame Titel bezieht sich darauf, dass Beethoven in der Partitur erstmals vermerkt, dass dieses Stück für das Hammerklavier und also nicht mehr für Cembalo & Co. komponiert ist) stürzt sich Levit dann mit Verve, Ungeduld, Stolz. Leises bringt er wie gewohnt impressionistisch. Zusammen mit den Hackorgien, dem Ausloten extremer Tiefen wie Höhen und den kurzatmigen Motivserien ergibt sich ein spannungsgeladenes Monstrum, dessen überschüssige Energien dann im Scherzo verbraucht werden. Diese Steigerung skizziert Levit elegant.

Levit ist viel weniger radikal als sein Vorbild Schnabel, der sich und seine Hörer stets aufs Äußerste forderte. Im extrem langsamen Satz wagt Levit sich dann auch nicht wie in der A-Dur-Sonate ins finale Mysterium vor. Akkurat kümmert er sich um die Details und kleinen Noten, die rhythmischen Querschläger. Misstraut Levit hier dem großen romantischen Gestus, der das Stück in einen Weihetempel der Musik verwandeln könnte? Will er bewusst die Machart betonen, um so eine deutlich hörbare Beziehung herzustellen zu den abschließenden wüsten Fugenexperimenten? Levit spielt immer spannend, besonders in der langsamen Einleitung zur Fuge. In der Fuge selbst spielt er risikofreudig rasant, verlässt sich aber mehr auf Beethovens exzentrische Einfälle, als dass er sie forcierend deuten würde.

© SZ vom 02.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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